Seniorenheim will Kantine für Geimpfte öffnen - Verfassungsbeschwerde

Ein Seniorenheim in Südbaden schlägt Alarm wegen der strengen
Corona-Regeln. Jetzt, wo fast alle Bewohner geimpft sind, darf die
Einrichtung immer noch nicht lockern - und wehrt sich.

Karlsruhe/Lörrach (dpa/lsw) - Ein Seniorenheim in Südbaden will vor
dem Bundesverfassungsgericht erreichen, dass gegen Corona geimpfte
Bewohner wieder gemeinsam in der Kantine essen dürfen. Ein
entsprechender Eilantrag und eine Verfassungsbeschwerde seien an das
Karlsruher Gericht gegangen, teilte Rechtsanwalt Patrick Heinemann am
Freitag mit, der das Heim im Landkreis Lörrach sowie einen 79 Jahre
alten Bewohner vertritt.

Vor den Vorinstanzen war das Heim gescheitert. Ein Sprecher des
Bundesverfassungsgerichts bestätigte am Freitag den Eingang der
Beschwerde und des Eilantrags (Az.: 1 BvR 609/21). Die Deutsche
Stiftung Patientenschutz hält den Zug vor das Gericht für einen
wichtigen Schritt.

«Wir sind der Überzeugung, dass Prävention und Infektionsschutz
wichtig sind, aber auch ihre Grenzen haben», sagte Rechtsanwalt
Heinemann der dpa. Die Senioren in den Einrichtungen litten schon
seit einem Jahr massiv unter den Corona-Maßnahmen. Das Personal in
dem Heim in Steinen berichte, dass die Bewohner wegen ihrer Isolation
massiv abbauten, zum Teil verwahrlosten und Depressionen
entwickelten. Dabei seien bis auf wenige Ausnahmen alle Bewohner
geimpft. «Einen sichereren Schutz wird es auch auf lange Sicht nicht
geben», sagte Heinemann.

Der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim hatte in seinem Beschluss
argumentiert, es sei wissenschaftlich nicht ausreichend geklärt, ob
Geimpfte das Virus weitergeben könnten. Das stimme so nicht, sagte
Heinemann. Das Gericht habe sich auf veraltete Erkenntnisse gestützt.
Für die Verfassungsbeschwerde habe man Rückendeckung unter anderem
von Virologen und Patientenschützern bekommen.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch,
unterstützt die Verfassungsbeschwerde. «Es klingt wie eine Geschichte
aus Absurdistan», erklärte er. «Geimpfte Heimbewohner dürfen wegen

der Infektionsgefahr nicht zusammen Kaffee trinken.» Doch was in dem
Heim in Steinen geschehe, sei gängige Praxis in vielen der 12 000
Pflegeheime in Deutschland. Obwohl 95 Prozent der 900 000 Bewohner
eine Erstimpfung erhalten hätten und 73 Prozent eine Zweitimpfung,
herrschten strengste Kontaktbeschränkungen, erklärte Brysch.

Das Risiko, dass auch Geimpfte das Virus weitergeben könnten,
rechtfertige nicht die andauernden massiven Eingriffe in die
Grundrechte, argumentierte der Patientenschützer. «Deshalb ist
überfällig, dass jetzt das Bundesverfassungsgericht im Eilverfahren
Klarheit schafft. Sonst macht das politische Konzept keinen Sinn, mit
Impfen und Testen aus der Corona-Krise zu kommen.»