Verantwortungslose PR? Polen sponsort der Nato Corona-Impfstoff

Rechtfertigt ein perfekt organisierter Nato-Gipfel das Risiko von
zusätzlichen Corona-Toten in Polen? In der Brüssel Bündniszentrale
wird diese Frage nicht gerne gehört. Dort wird gerade vorzeitig
geimpft - dank einer Impfstoff-Spende der Regierung in Warschau.

Brüssel (dpa) - Um eine reibungslose Organisation des ersten
Nato-Gipfels mit dem neuen US-Präsidenten Joe Biden zu ermöglichen,
werden derzeit rund 3500 Beschäftigte in der Brüsseler
Bündniszentrale vorzeitig gegen Corona geimpft. Nach Informationen
der Deutschen Presse-Agentur hat medizinisches Personal am Donnerstag
mit dem Spritzen der Vakzine begonnen. Bereits an diesem Samstagabend
soll die erste Impfrunde abgeschlossen sein. Als Termin für den
ersten Nato-Gipfel mit Biden wird derzeit der 14. Juni in Erwägung
gezogen.

Die Immunisierung des Nato-Personals kann erfolgen, weil sich Polen
trotz Impfstoffknappheit im eigenen Land dazu bereit erklärt, die
insgesamt rund 7000 notwendigen Dosen zur Verfügung zu stellen. Das
Nato-Gastland Belgien wollte nicht von der normalen Impfreihenfolge
abweichen. Nach ihr wäre in der Nato-Zentrale frühestens im kommenden
Monat geimpft worden. In Belgien werden derzeit nur Menschen geimpft,
die älter als 65 Jahre sind, in der medizinischen Versorgung arbeiten
oder zum Beispiel bestimmte Gesundheitsprobleme haben.

Die Regierung in Warschau begründete die Impfstofflieferung mit der
Bedeutung der Nato für das Land und mit der vergleichsweise geringen
Anzahl an Dosen, die für die Bündniszentrale benötigt werden. So
sollen die ersten 3500 Vakzine des Herstellers Astrazeneca weniger
als einem Prozent der Impfstoffmenge entsprechen, die das Land in
dieser Woche geliefert bekommen hat.

Zugleich zeigen allerdings von der EU veröffentlichte Zahlen, dass in
Polen zuletzt vergleichsweise viele Menschen an oder mit Covid-19
starben. Pro eine Million Einwohner wurden innerhalb von 14 Tagen
mehr als 100 Corona-Tote gezählt. In Belgien oder Deutschland waren
es beispielsweise je nur rund 30.

Aus der polnischen Opposition kommt deswegen Kritik. Der Abgeordnete
Michal Szczerba von der Bürgerkoalition KO schrieb auf Twitter, es
gebe in Polen immer noch Bewohner von Pflegeheimen, die nicht geimpft
seien. «Die Regierung macht eine Vorzeige-Aktion aus der Entsendung
von Ärzten und Impfdosen ins Nato-Hauptquartier. Eine hübsche Geste,
aber impft doch erstmal die Betagten und Kränklichen in Polen.»

Ähnlich äußerte sich der deutsche Bundestagsabgeordnete Jürgen
Trittin. «Es ist schon verwunderlich, dass bei anhaltender Knappheit
von Impfstoffen Polen den Schutz eigener besonders vulnerabler Bürger
für eine PR-Aktion zurückstellt», sagte der Grünen-Politiker der
Deutschen Presse-Agentur.

Andere deutsche Politiker zeigten unterdessen Verständnis. Der
FDP-Bundestagsabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff sagte, mit dem
Impfangebot mache Polen deutlich, dass der kommende Nato-Gipfel bei
Regierung und Bevölkerung des Landes höchste Priorität genieße. Die
s
sei verständlich - zum einem, weil dem ersten Nato-Gipfel mit Biden
eine besondere Bedeutung zukomme, zum anderen, weil die
«sicherheitspolitische Anspannung» in Polen wegen der Lage in der
Ukraine höher sei als in Deutschland.

Der CDU-Politiker Jürgen Hardt kommentierte, die Durchführung eines
Nato-Gipfels in Brüssel sei «außerordentlich wichtig für die
Sicherheitspartnerschaft». Er hätte nach eigenen Worten sogar
akzeptieren können, dass deutsches Schlüsselpersonal bei der Nato
vorzeitig mit Impfstoff aus Deutschland geimpft wird.

Dies ist allerdings nicht notwendig, weil die Mitglieder der
deutschen Delegation nun mit dem Astrazeneca-Impfstoff aus Polen
geimpft werden. Wenn am jeweiligen Dienstort nach den dortigen
Vorgaben die Impfung mit einem auch in der EU zugelassenen Impfstoff
möglich sei, rate man mit Blick auf den individuellen Schutz und die
Eindämmung der weltweiten Pandemie dazu, diese wahrzunehmen, hieß es
zu diesem Thema aus dem Auswärtigen Amt.

Zu der Frage, ob die Annahme des polnischen Impfangebots nicht
verantwortungslos gegenüber noch ungeimpften Polen sei, die ein
erhöhtes Risiko für einen tödlichen Verlauf einer Covid-19-Erkrankung

haben, wollten sich unterdessen weder Diplomaten noch
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg äußern. Ebenso blieb zunächst

unklar, warum der Impfstoff nicht von Ländern wie den USA oder
Großbritannien bereitgestellt wurde, in denen bereits wesentlich
größere Teile der Bevölkerung eine Corona-Impfung bekommen haben.

Die Entscheidung sei eine Polens gewesen, die er begrüße, erklärte
Stoltenberg auf Nachfragen. «Ich glaube, das zeigt das Engagement
Polens für die Nato.»