Österreich beißt bei Impfstoff-Verteilung in der EU auf Granit

Einige EU-Staaten sind beim Corona-Impfstoff im Hintertreffen, weil
sie von bestimmten Herstellern wenig gekauft haben. Österreichs
Kanzler beschwor große Gefahren. Erreicht hat er beim EU-Gipfel aber
wenig.

Brüssel (dpa) - Österreich ist mit seiner Forderung nach einer
Umverteilung der Corona-Impfstoffe in der Europäischen Union vorerst
gescheitert. Die EU-Staats- und Regierungschefs bekräftigten bei
ihrem Videogipfel am Donnerstagabend den bisherigen Verteilschlüssel
nach Bevölkerungsgröße. Nach stundenlangem Streit wurde nur
vereinbart, über eine vorgezogene Teillieferung von zehn Millionen
Impfdosen «im Geiste der Solidarität» weiter zu verhandeln.

Österreich und fünf weitere EU-Staaten hatten eine ungleiche
Verteilung der Impfstoffe in der EU beklagt. Der österreichische
Kanzler Sebastian Kurz beharrte auf einem Korrekturmechanismus. Wenn
es keine Lösung gebe, könne das einen Schaden für die EU nach sich
ziehen, «wie wir es schon lange nicht erlebt haben», sagte Kurz.

Doch kamen die übrigen Staats- und Regierungschefs Österreich kaum
entgegen. «Sebastian Kurz hat sich verzockt», sagte ein EU-Diplomat.
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte, ein Blick auf
die Zahlen zeige, dass vor allem Bulgarien, Lettland und Kroatien ein
Problem hätten. Denen wolle man helfen. Bei Österreich könne er dies

hingegen derzeit nicht erkennen.

Das Ungleichgewicht bei der Impfstoffverteilung liegt daran, dass
nicht alle EU-Staaten die ihnen nach Bevölkerungszahl zustehenden
Mengen gekauft haben. Einigen Staaten war der neuartige Impfstoff von
Biontech/Pfizer suspekt oder zu teuer. Die Lieferschwierigkeiten von
Astrazeneca werfen einige Staaten nun zurück. Österreich könnte
demnächst in Rückstand geraten, weil es sein Kontingent des
Impfstoffs von Johnson & Johnson nicht ausgeschöpft hat, das ab Mitte
April geliefert werden soll.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, der Rat der Botschafter sei nach
langen Diskussionen beauftragt worden, eine «faire Lösung im Rahmen
der Solidarität» zu finden. «Das ist natürlich wie immer eine relat
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komplizierte Aufgabe, so was wie die Quadratur des Kreises.»

Kurz schrieb auf Twitter: «Wir haben uns intensiv dafür eingesetzt,
dass sich die Kluft innerhalb der EU bei der Durchimpfung der
Bevölkerung nicht weiter vergrößert. Durch die 10 Millionen
zusätzlichen Impfdosen soll eine gerechtere Auslieferung der
Impfstoffe in der EU im 2. Quartal erreicht werden.» Die 10 Millionen
Impfdosen stammen aus einer vorgezogenen Lieferung von
Biontech/Pfizer und sollen nun einige Löcher stopfen. Kurz sprach von
einer «guten Lösung für alle». Aber entschieden ist noch nichts.

Der akute Impfstoffmangel in allen EU-Staaten soll sich im zweiten
Quartal deutlich abmildern - dann sollen bis zu 360 Millionen
Impfdosen geliefert werden, nach 100 Millionen im ersten Quartal.
«Endlich kommen die Impfungen stetig voran», sagte
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Pandemielage sei
angesichts der Ausbreitung der Virusvarianten sehr schwierig. Aber
dass die Sterblichkeit weniger stark ansteige, zeige erste Erfolge
bei der Impfung der Menschen über 80 Jahre.

Eine gemeinsame Linie fand die EU zur Türkei: Dem Land wird wegen der
Entspannung im Erdgasstreit eine engere Partnerschaft in Aussicht
gestellt. So entschieden die 27 Staaten, mit den Vorbereitungen für
eine Ausweitung der Zollunion zu beginnen. Auch eine
Visaliberalisierung wurde Ankara indirekt in Aussicht gestellt.
Darüber hinaus will die EU die Zusammenarbeit in der
Migrationspolitik stärken. Dabei geht es vor allem darum, dass die
Türkei gegen unerwünschte Einwanderung in die EU-Staaten vorgeht. Als
Anreiz soll die EU-Kommission weitere Finanzhilfen für die Versorgung
syrischer Flüchtlinge vorbereiten.

Mit einem digitalen Kurzbesuch von US-Präsident Joe Biden beim Gipfel
wurde zudem der Neustart der transatlantischen Beziehungen gewürdigt
- aus Merkels Sicht eine «Geste, die sehr, sehr wichtig war». Die EU
und die USA seien wieder enger im Gespräch, sagte die Kanzlerin nach
dem Gipfel. Ministerpräsident Rutte sagte aber auch, Biden habe nicht
in Aussicht gestellt, Impfstofflieferungen aus den USA in die EU zu
erlauben. US-Präsident Biden machte nach Angaben des Weißen Hauses
deutlich, er wünsche sich eine starke EU. Dies sei im Interesse der
USA. Biden habe zudem auf die gemeinsamen demokratischen Werte und
die weltweit größte Handels- und Investitionspartnerschaft
hingewiesen.