Länder bei Corona uneins - Saarland prescht bei Lockerungen vor Von Birgit Reichert, dpa

Die Corona-Zahlen steigen. Betroffen sind immer mehr Kinder und
jüngere Erwachsene. Trotzdem reißen Rufe nach Lockerungen nicht ab.
Eine einheitliche Linie unter den Ländern ist immer weniger in Sicht.

Berlin (dpa) - Nach dem Verzicht auf eine bundesweite Osterruhe
driften die Corona-Regelungen in den einzelnen Bundesländern immer
weiter auseinander. Das Saarland kündigte am Donnerstag an, die
Beschränkungen nach Ostern in einem «Modellprojekt» weitgehend zu
lockern. Andere Länder wie Bremen verschärfen die Regeln hingegen
notgedrungen wieder. Die Infektionszahlen steigen vor allem bei den
Jüngeren. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rief alle staatlichen
Ebenen auf, im Kampf gegen die Pandemie besser zu werden. In einer
Regierungserklärung vor dem Bundestag sagte sie: «Wenn wir uns
ausruhen auf dem, was wir haben, reicht es nicht.»

Merkel hatte am Mittwoch die beiden geplanten Extra-«Ruhetage» über
Ostern, die Bund und Länder gemeinsam beschlossen hatten, wieder
gekippt und um Verzeihung gebeten. Am Donnerstag zog der Bund auch
die Bitte an die Kirchen zurück, über Ostern auf Präsenzgottesdienste

zu verzichten. Grundsätzlich gilt aber weiterhin, dass sich nur zwei
Haushalte mit höchstens fünf Leuten treffen dürfen. Bei mehr als 100

Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern und sieben Tagen in einer
Region sollen schärfere Regeln gelten. Zudem soll von Sonntag an eine
Testpflicht für Urlauber gelten, die aus dem Ausland zurückkommen -
zum Beispiel aus Mallorca.

Mit der sogenannten Notbremse, wonach Lockerungen bei einer stabilen
Sieben-Tage-Inzidenz über 100 zurückgenommen werden müssen, gehen die

Länder unterschiedlich um. Der amtierende Vorsitzende der
Ministerpräsidentenkonferenz, Berlins Regierender Bürgermeister
Michael Müller (SPD), sagte für Berlin: «Ich glaube, dass es kein
gangbarer Weg ist, jetzt wieder alles zurückzudrehen, was wir uns in
den letzten Tagen und Wochen an Möglichkeiten und Freiheiten erkämpft
haben.»

Das Saarland will sogar deutlich lockern. Ministerpräsident Tobias
Hans (CDU), kündigte an, am Dienstag nach Ostern Kinos, Theater,
Fitnessstudios und die Außengastronomie wieder zu öffnen. Wer dies
nutzen will, braucht einen negativen Schnelltest, der höchstens 24
Stunden alt ist. «Es muss uns nach einem Jahr Corona-Pandemie mehr
einfallen als nur zu schließen und zu beschränken», sagte Hans. Die
Sieben-Tage-Inzidenz im Saarland liegt derzeit um die 70 - eine der
niedrigsten bundesweit. Der bundesweite Wert betrug am
Donnerstagmorgen 113,3 (Mittwoch: 108,1).

Bundesweit steigen die Infektionszahlen laut Robert Koch-Institut
besonders stark bei Kindern und Jugendlichen. Vor allem in privaten
Haushalten, zunehmend aber auch in Kitas, Schulen und Betrieben kommt
es demnach zu Ausbrüchen. Bei Kindern bis 14 Jahren hat sich die
Sieben-Tage-Inzidenz in den vergangenen vier Wochen bundesweit mehr
als verdoppelt. Binnen eines Tages gab es 22 657
Corona-Neuinfektionen, ein Anstieg um mehr als 5000 im Vergleich zur
Vorwoche. Die Zahl der Todesfälle stieg um 228 auf nun 75 440.
Experten erwarten, dass mit dem Vorherrschen der wohl tödlicheren
britischen Virusvariante voraussichtlich zunehmend Jüngere sterben.

Das Saarland ist das einzige Bundesland, das grundsätzlich öffnen
will - zum Missfallen anderer. Mecklenburg-Vorpommerns
Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte: «Dafür habe ich
kein Verständnis. Solidarität ist keine Einbahnstraße.» Das Saarlan
d
erhalte 80 000 zusätzliche Dosen Impfstoff, weil es dort die
südafrikanische Mutation gebe. «Wie sollen andere Länder ihren
Bürgern erklären, dass sie keine zusätzlichen Impfstoff erhalten und

diese Öffnungsschritte nicht gehen können?» Der
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sprach in der «Rheinischen
Post» von einem «Experiment, das zu einer schnellen Verbreitung
gefährlicherer Mutationen in Deutschland führen kann».

Im Bundesland Bremen treten wegen hoher Infektionsraten kommende
Woche wieder schärfere Regeln in Kraft. Das sogenannte Terminshopping
wird ausgesetzt, Museen müssen schließen. In Bremerhaven lag die
Inzidenz am Mittwoch bei 193,6. Einige andere Länder wollen an diesem
Freitag beschließen, welche Corona-Beschränkungen über Ostern gelten.


Die geplante Testpflicht für Reiserückkehrer auf dem Luftweg soll
nach Plänen des Gesundheitsministeriums an diesem Sonntag um 00.00
Uhr in Kraft treten. «Personen, die einen entsprechenden Testnachweis
nicht vor Abreise ihrem Beförderer vorlegen können, dürfen nicht
befördert werden», hieß es. Die Testpflicht soll - anders als bisher

- auch für Heimkehrer gelten, die nicht in einem Risikogebiet waren.

Kanzlerin Merkel mahnte zu noch mehr gemeinsamen Anstrengungen. «Es
werden jetzt nicht mehr 90-Jährige sein, die in den Krankenhäusern
liegen. Es werden 50-, 60- und 70-Jährige sein. Und das sind Menschen
mit sehr vielen Jahren Lebenserwartung.» Bund, Länder und Kommunen
müssten schauen, wo sie beim Impfen und Testen besser werden könnten.
Es sei Licht am Ende des Tunnels sichtbar, auch wenn das noch einige
Monate dauern werde.

Die Opposition prangerte schlechtes Krisenmanagement an. Insbesondere
verlangte sie eine Verlagerung der Entscheidungen ins Parlament. Der
AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland sagte: «Freunden wir uns
langsam mit dem Gedanken an, dass Lockdowns wenig bis nichts
bewirken. Intelligente Hygienekonzepte bewirken etwas.»
FDP-Fraktionschef Christian Lindner sagte, «Showdown-Situationen,
nächtliche Sitzungen und spontane Entscheidungen» seien nicht
zielführend.

Die Linken-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali warf Merkel vor:
«Wenn Ihre Bundesregierung bei der Impfstoffbeschaffung und bei der
Teststrategie nicht so kläglich versagt hätte, dann hätte diese
dritte Welle entscheidend abgemildert, wenn nicht sogar vermieden
werden können.» Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sagte,

Deutschland stecke mitten in der dritten Welle in der Sackgasse.