Tübingen macht Schule - Debatte um weitere Corona-Testmodell im Land

Die Politik steht in der Corona-Pandemie gewaltig unter Druck. Die
Menschen sind lockdownmüde, immer lauter sind die Rufe nach einer
Öffnung. Das Tübinger Modellprojekt könnte nun Schule machen. Viele
Kommunen sind interessiert. Aber es gibt Kritik.

Stuttgart (dpa/lsw) - Fast spürbar steigt der Druck auf das Land,
Bürgermeister und Landräte scharren ungeduldig mit den Füßen, Hän
dler
und Gastronomen tun das eh seit Monaten. Wann gibt es eine Hoffnung
auf eine Corona-Öffnung, wann wird eine Strategie sichtbar? Einen
Hoffnungsschimmer sehen Dutzende Kommunen nun im sogenannten Tübinger
Modell mit massiven Schnelltests. Sie haben sich bereits beim Land
beworben als Modellregionen oder haben es noch vor. Ziel sei es,
möglichst bald Perspektiven zu haben - nicht nur für die
lockdownmüden Menschen, sondern auch für Hotels, Restaurant, Museen
und die Kultur, hieß es am Donnerstag aus zahlreichen Rathäusern.

«Allein in den letzten drei Tagen hat sich eine dreistellige Zahl an
Städten und Gemeinden bei mir gemeldet, die solche Modelle umsetzen
wollen», sagte der Präsident des baden-württembergischen
Gemeindetags, Steffen Jäger, der dpa. Die Zahlen aus Tübingen
zeigten, dass durch intensives Testen die Inzidenz tatsächlich
eingedämmt werden könne. «Wir halten deshalb weiterhin an unserer
Forderung fest, das Modell zeitnah landesweit zu ermöglichen.»

In sogenannten Modellkommunen oder -regionen werden mit strengen
Schutzmaßnahmen und Testkonzepten die Beschränkungen in einzelnen
Bereichen gelockert. Beim Land beworben haben sich unter anderem der
Kreis Calw als Modellregion sowie Neckarsulm, Ludwigsburg und Singen.
Die Kommunen und Kreise berufen sich auf einen Beschluss der
Bund-Länder-Konferenz. Dort war entschieden worden, dass die Länder
im Rahmen von Modellprojekten einzelne Bereiche des öffentlichen
Lebens unter strengen Voraussetzungen öffnen können.

Allerdings muss eine solche Bewerbung nicht automatisch erfolgreich
sein: Der Kreis Böblingen hat nach Angaben des Landratsamtes schon
eine Absage des Staatsministeriums kassiert. Ein entsprechendes
Modellvorhaben könne nur dort zugelassen werden, wo die Inzidenz
unter 50 liege, zitierte Landrat Roland Bernhard (parteilos) aus der
Begründung des Gesundheitsministeriums. «Das ist sehr bedauerlich»,
sagte er. «Mit diesen Vorgaben kann kaum ein Landkreis noch einen
solchen Antrag stellen.»

Keine Bewerbung wird es aus Karlsruhe geben: Oberbürgermeister Frank
Mentrup (SPD) sprach am Donnerstag von einem «Wettlauf der Städte und
Gemeinden». Notwendig sei vielmehr eine landesweite und neue
Corona-Strategie, die weniger die Inzidenzen in den Blick nehme,
sondern Rahmenbedingungen für die Außengastronomie, die Bibliotheken
oder auch die Kultur vorgebe. «Wenn die Veranstalter oder auch die
einzelnen Stadt- und Landkreise diese Bedingungen erfüllen, dann
sollte eine Öffnung auch möglich sein», sagte Mentrup.

In Tübingen läuft seit etwa eineinhalb Wochen und bis zum 4. April
ein Modellprojekt zu mehr Öffnungsschritten in Corona-Zeiten. An neun
Teststationen können die Menschen kostenlose Tests machen, das
Ergebnis wird bescheinigt. Damit kann man in Läden, zum Friseur oder
auch in Theater und Museen. In einer ersten Zwischenbilanz zeigte
sich Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) trotz Unregelmäßigkeite
n
bei der Testauswertung zufrieden.

Das Pilotprojekt in Tübingen habe einen wesentlichen Impuls gegeben
für weitere Initiativen auch über die Landesgrenzen hinaus, sagte ein
Sprecher des Staatsministeriums. Erwartungsgemäß seien bereits viele
Anfragen und auch Anträge für ein Modellvorhaben beim
Gesundheitsministerium eingegangen. «Wir sind gerade auf allen Ebenen
mit der kommunalen Seite über das Thema Modellprojekte im Gespräch»,

sagte er weiter. «Wir sind offen für weitere Modellversuche», sagte
Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne). «Allerdings muss natürlich
alles vor dem Hintergrund der Infektionszahlen gespiegelt werden.»

In Bayern hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Modellkommunen
bereits zur Chefsache gemacht und den Start dieser Projekte in acht
Kommunen vom 12. April an erklärt. Auch in anderen Bundesländern wie
Nordrhein-Westfalen gibt es Initiativen der Landesregierungen.

Der Städtetag ist vorsichtig. Kommunen oder Kreise müssten Modelle
testen, die dem Tübinger Pilotprojekt nicht glichen, damit neue
Erfahrungen gemacht werden könnten, sagte Geschäftsführerin Gudrun
Heute-Bluhm. «Ich will mehr in der Breite sehen.» Sie habe zuletzt
mindestens zehn mehr oder weniger ausgefeilte Konzepte von Städten
bekommen. «Aber die meisten wollen dasselbe wie Tübingen.»

Allerdings gehen nicht alle Kommunen oder Kreise in ihren Bewerbungen
vom selben Modell aus. Anders als Tübingen hat zum Beispiel der
Calwer Landrat für den Kreis zunächst die Hotellerie in mehreren
Touristenstädten im Blick, in einem zweiten Schritt würde er die
Ausflugsziele, danach die Gastronomie und schließlich den ganzen
Kreis öffnen. «Die Menschen und die Tourismusbranche brauchen in
dieser außerordentlich schwierigen Zeit eine Perspektive», sagte
Landrat Helmut Riegger (CDU) der dpa. «Die Geduld der Hoteliers ist
am Ende. Die stehen teilweise am Rande der Existenz.»