Merkel: Mehr Impfstoffproduktion in Europa im Kampf gegen Corona

Steigende Corona-Zahlen diktieren wieder die Tagesordnung für die
Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel. Dabei sollten bei ihrer
Online-Sitzung ganz andere Themen in Vordergrund stehen.

Brüssel (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel baut auf eine starke
eigene Produktion von Corona-Impfstoffen in Europa, um die Versorgung
der EU-Staaten zu sichern und schneller zu impfen. Da Großbritannien
und die USA nur für sich selbst produzierten, sei man auf längere
Sicht darauf angewiesen, sagte die CDU-Politikerin am Donnerstag vor
dem EU-Gipfel. Sie bekannte sich zudem zur Impfstoffversorgung «für
die Welt». Sonst werde Europa immer wieder mit neuen Mutationen des
Virus konfrontiert werden.

Der Kampf gegen die Corona-Krise und die Beschleunigung der
Impfkampagne waren Topthema der Videokonferenz der EU-Staats- und
Regierungschefs, die am Nachmittag begann. Daneben hatten Merkel und
ihre Kollegen brisante Fragen zur wirtschaftlichen Entwicklung und
zur Digitalisierung sowie zu den Beziehungen zu Russland und zur
Türkei auf der Agenda. US-Präsident Joe Biden wollte sich am Abend
zeitweise zuschalten und über den Neustart der transatlantischen
Beziehungen sprechen.

Merkel verteidigte in einer Regierungserklärung im Bundestag erneut
den europäischen Weg. «Bei allen Beschwerlichkeiten glaube ich, dass
sich in der Pandemie wieder gezeigt hat, dass es gut ist, dass wir
diese Europäische Union haben.» Ausdrücklich nannte sie auch die
Impfstoffbeschaffung. «Es war richtig, auf die gemeinsame Beschaffung
und Zulassung von Impfstoffen durch die Europäische Union zu setzen.»

Da selbst bei kleinen Unterschieden in der Verteilung große
Diskussionen ausbrächen, wolle sie sich nicht vorstellen, was wäre,
wenn einzelne EU-Staaten Impfstoff hätten und andere nicht. «Das
würde den Binnenmarkt in seinen Grundfesten erschüttern», sagte
Merkel.

Der österreichische Kanzler Sebastian Kurz hatte zusammen mit fünf
weiteren EU-Staaten eine ungleiche Verteilung der Impfstoffe in der
EU beklagt. Sie kommt dadurch zustande, dass nicht alle EU-Staaten
die ihnen nach Bevölkerungszahl zustehenden Mengen von allen
Herstellern gekauft hatten. Nun hat vor allem Astrazeneca drastische
Lieferschwierigkeiten. Eine vorgezogene Lieferung von zehn Millionen
Dosen von Biontech/Pfizer könnte einige Löcher stopfen. Doch gelang
vor dem Gipfel keine Einigung über die Aufteilung.

Überall in der EU sind die Impfstoffe zu knapp, um steigenden
Infektionszahlen in der dritten Corona-Welle Paroli zu bieten. Die
EU-Staaten wollen deshalb noch mehr tun, um die Herstellung der
Vakzine hochzufahren, wie aus dem Entwurf der Gipfelerklärung
hervorgeht. Zudem hat die EU-Kommission die Anfang Februar
eingeführten Exportkontrollen erweitert - ohne generelle
Exportverbote. Auch darüber sollte beim Gipfel gesprochen werden.
Einige EU-Staaten haben Bedenken, dass Beschränkungen Lieferketten
für die Impfstoffe unterbrechen könnten.

Mit Volldampf sollen die Pläne für ein «digitales grünes Zertifikat
»
umgesetzt werden, mit dem künftig in ganz Europa Impfungen, Tests
oder eine überstandene Covid-Erkrankung nachgewiesen werden können.
Das gilt als ein Weg, wieder mehr Reisen in Europa zuzulassen.
Deutschland unterstützt das Ziel, dass die Technik bis 1. Juni steht.

Mit Blick auf die außenpolitischen Gipfelthemen warb Merkel für eine
Vertiefung der Beziehungen zur Türkei. Es sei eine gute Nachricht,
dass die Türkei nach «provozierenden Aktivitäten in den griechischen

Gewässern» Zeichen der Deeskalation gesetzt habe. Nun gehe es um die
Weiterentwicklung der Beziehungen. «Das werden keine einfachen
Gespräche, aber ich hoffe, wir zu einem Ergebnis kommen», sagte
Merkel.

Monatelange Spannungen im Verhältnis zur Türkei gingen vor allem auf
nicht genehmigte türkische Erdgaserkundungen in Mittelmeergebieten
zurück, die von Griechenland und Zypern beansprucht werden. Die
Regierung in Ankara zeigte sich zuletzt dialogbereit. Deshalb wird
jetzt über mögliche Belohnungen für die Türkei geredet, etwa
zusätzliche finanzielle Unterstützung für die Versorgung von
Flüchtlingen oder eine engere wirtschaftliche Kooperation.

Kompliziert sind auch die Beziehungen zu Russland nach dem Streit
über die Vergiftung und Inhaftierung des Kreml-Kritikers Alexej
Nawalny. EU-Ratschef Charles Michel wollte beim Gipfel über ein
Telefonat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin informieren.