Merkels Oster-Notbremse und die Mitverantwortung der Länder Von Jörg Blank, Christoph Trost und Magdalena Tröndle, dpa

Die im Hoppla-Hopp-Verfahren geplante Osterruhe ist gekippt. Sechs
Monate vor dem Ende ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft übernimmt Angela
Merkel die Verantwortung. Doch es ist nicht nur ihr Scheitern.

Berlin (dpa) - Angela Merkel spricht mit fester Stimme, im gewohnten
Tonfall. Doch was sie an diesem Mittwoch um 12.30 Uhr im Kanzleramt
verkündet, ist historisch. Sie habe entschieden, die Osterruhe «nicht
auf den Weg zu bringen, sondern sie zu stoppen», kommt Merkel ruhig
und klar auf den Punkt. Die Idee sei zwar in bester Absicht entworfen
worden, aber dennoch ein Fehler gewesen. Dann folgen Sätze, die man
aus Merkels Mund bisher nicht gehört hat: «Dieser Fehler ist einzig
und allein mein Fehler. Denn am Ende trage ich für alles die letzte
Verantwortung. Qua Amt ist das so.» Der Vorgang habe zusätzliche
Verunsicherung ausgelöst. «Das bedauere ich zutiefst, und dafür bitte

ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung.»

Eine Kanzlerin bittet um Entschuldigung, öffentlich, ohne Umschweife.
Das ist ungewöhnlich, bei Merkel hat es das nur selten gegeben. Noch
vor ein paar Jahren, in der Flüchtlingskrise nach 2015, war von
Kritikern und auch von Wohlmeinenden oft zu hören gewesen, Merkel
gebe auch deswegen keine Fehler zu, weil sie dann nach ihrem
Amtsverständnis zurücktreten müsste. Doch es ist jetzt auch eine
andere Situation, in diesen Pandemie-Zeiten. Und wer in den vier
Minuten von Merkels Statement genau hinhört, kann noch einen anderen
Grund entdecken, warum sie wohl diesmal meint, einen Fehler einräumen
zu können: Sie weiß, sie ist nicht alleine verantwortlich.

Gut möglich, dass Merkel hofft, mit diesem ungewöhnlichen Schritt
Vertrauen zurückzugewinnen. «Ein Fehler muss als Fehler benannt
werden, und vor allem muss er korrigiert werden. Und wenn möglich,
hat das noch rechtzeitig zu geschehen», sagt sie. Fehler eingestehen,
sich erklären - oft genug ist der Kanzlerin vorgehalten worden, hier
Fehler zu machen. Und auch sie hat die abstürzenden Umfragewerte der
Union und die Bundestagswahl in einem halben Jahr vor Augen.

Die Kanzlerin hatte die Ministerpräsidenten, die nicht einmal 36
Stunden zuvor in einer nächtlichen Marathonsitzung gemeinsam mit
Merkel die Osterruhe auf den Weg gebracht haben, am Vormittag
kurzfristig über ihren Schritt informiert.

Tatsächlich hatten die Entscheidungen der jüngsten Bund-Länder-Runde

einen nicht gekannten Proteststurm ausgelöst. Über Parteigrenzen
hinweg, auch in der Union, in der Wirtschaft und in weiten Teilen der
Bevölkerung. In einer zwölfstündigen Sitzung hatten sich Merkel und
die Ministerpräsidenten am frühen Dienstag auf die Osterruhe
verständigt: Am Gründonnerstag und am Karsamstag sollte das
wirtschaftliche Leben in Deutschland so weit wie möglich
heruntergefahren werden, nur Lebensmittelläden sollten am Samstag
öffnen dürfen. Auf die quasi aus dem Nichts geborene Idee folgte aber
rasch die Ernüchterung: viele offene Fragen, keine Antworten.

Insbesondere die Wirtschaft, die von der Blitzentscheidung der
Bund-Länder-Runde überrascht worden war, war auf der Palme. Doch auch
viele Bürgerinnen und Bürger waren verunsichert. Immer stärker war
der Unmut angeschwollen, auch in der Unionsfraktion am Dienstagabend
gab es massiven Protest.

Merkel hat nun ihre persönliche Notbremse gezogen. Zwei kleine Wörter
in ihrem Statement lassen aufhorchen. Sie trage die letzte
Verantwortung, «qua Amt» sei das so, sagt die Kanzlerin. Wer möchte,

kann die Bemerkung auch so verstehen, dass Merkel die Verantwortung
für das Oster-Debakel dann doch nicht auf sich allein sitzen lassen
möchte. Fakt ist: Merkel hat nicht alleine gehandelt und entschieden.

Als die Idee geboren wurde, waren tatsächlich einige in ganz kleiner
Runde mit dabei: Vizekanzler Olaf Scholz, Berlins Regierender
Bürgermeister Michael Müller (beide SPD) als derzeitiger Chef der
Ministerpräsidentenkonferenz, und Bayerns Regierungschef Markus Söder
(CSU) als MPK-Vize. Mitgetragen haben den Beschluss am Ende alle -
und noch bis Dienstag verteidigt, wenn auch nicht alle gleichermaßen.
Selbst wenn die Bundestagswahl im September in Sichtweite ist: Allen
beteiligten Regierungschefs aller Parteien scheint klar zu sein, dass
wohl keiner von ihnen Kapital aus dieser Krisen-Woche schlagen kann.
Eher steht die Glaubwürdigkeit der Politik als Ganzes im Feuer.

In der Ministerpräsidenten-Schalte am Mittwoch vor Merkels
denkwürdigem Auftritt gibt es laut Teilnehmerkreisen viel Lob für
ihren Schritt - und Bekenntnisse, dass alle gemeinsam die
Verantwortung trügen. CDU-Chef und NRW-Regierungschef Armin Laschet
sagt später: «Aber am Ende haben 16 Ministerpräsidenten gesagt, wir
machen es so.» Scholz sagt, es gebe Momente in der Politik, in denen
eine Entscheidung korrigiert werden müsse, auch wenn das nicht leicht
sei. Söder betont, es seien auch Ministerien in der Nacht beteiligt
gewesen, «an oberster Stelle» Scholz. «Wir haben das gemeinsam
entschieden. Also tragen wir alle gemeinsam Verantwortung, aber sagen
auch gemeinsam dann Entschuldigung.»

In der Regierungsbefragung im Bundestag zollen Merkel dann am frühen
Nachmittag selbst Oppositionspolitiker von Grünen und Linken für ihre
Entschuldigung Respekt. Zu Beginn wiederholt die Kanzlerin dort ihre
Erklärung, ausdrücklich bittet sie nochmals um Verzeihung, beim Volk
und den Volksvertretern. Zwischenrufe aus den Reihen der AfD-Fraktion
(«Dann ziehen Sie die Konsequenzen») übergeht Merkel gewohnt stoisch.


Selbst Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch spricht von Respekt für
die Kanzlerin. Als er Merkel dann aber - wie zuvor Redner von AfD und
FDP - rät, sich von ihrer Fraktion und der mitregierenden SPD das
Vertrauen aussprechen zu lassen, kommt eine klare Antwort jedenfalls
aus den Reihen der Union: Es gibt lauten Beifall für die Kanzlerin.

Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt bedankt sich
ausdrücklich bei Merkel, dass diese einen Fehler eingestanden habe.
«Das ist auch ein Dienst an der Demokratie. Ich sag' das ohne Aber.
Und auch ohne Klamauk.» Das Virus lasse sich «auch von populistischen
Wahlkampfspielen wie der Vertrauensfrage nicht aufhalten». Klar sei
aber dennoch, dass die Runde der Ministerpräsidenten mit der
Kanzlerin nicht länger der Ort der Entscheidungen sein könne. «Ab
sofort müssen die relevanten Entscheidungen über die notwendigen
Corona-Maßnahmen von Bundestag und Bundesrat getroffen werden.»

Zwar verteidigt Merkel die Bund-Länder-Runden später in der
Fragestunde grundsätzlich. Es gebe sehr viele und sehr gute gemeinsam
getragene Entscheidungen, auch wenn man über «die Verbesserung der
Arbeitsweise» noch einmal miteinander reden könne. Doch ob die
Kanzlerin das umstrittene Format mit ihrer Entschuldigung und den
Erklärungen im Parlament tatsächlich aus der Schusslinie nehmen kann,
ist offen. Denn neben den massiven Anlaufproblemen beim Testen und
Impfen ist es das Corona-Management der Ministerpräsidenten mit der
Kanzlerin an sich, das immer deutlicher in der Kritik steht.

Auch eigentlich Wohlmeinende räumen ein, dass diese chaotischen Tage
der Glaubwürdigkeit und dem Ansehen der Politik geschadet hätten -
und das in einer Zeit, in der angesichts der wieder steigenden
Corona-Zahlen doch ein Mitziehen möglichst Vieler unabdingbar ist.
«Natürlich gibt es einen Vertrauensschaden», sagt Söder - und forde
rt
mehr Transparenz und weniger Nachtsitzungen bei den nächsten Runden
von Bund und Ländern.

Wie geht es nun weiter, da die Osterruhe gekippt ist? Die anderen in
dieser Woche beschlossenen Maßnahmen sollen bleiben, auch die
konsequente regionale Umsetzung der harten Notbremse ab Inzidenz 100.
Die nächste Bund-Länder-Runde von Kanzlerin und Ministerpräsidenten
ist für 12. April geplant - bisher jedenfalls. Schon an diesem
Donnerstag wird die Diskussion auch im Parlament weitergehen. Auf
Antrag der FDP wird es bei der Regierungserklärung der Kanzlerin auch
um die jüngsten Oster-Beschlüsse gehen - und nicht nur wie geplant um
den EU-Gipfel am Ende der Woche.

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