Zurück auf Anfang - Schwedens Corona-Lage bleibt angespannt Von Steffen Trumpf, dpa

Die Neuinfektionszahlen bekommt Schweden seit Monaten einfach nicht
entscheidend in den Griff, nun steigen sie stattdessen wieder stärker
an. Neue Beschränkungen über Ostern stehen den freizügigen Schweden
wohl trotzdem nicht ins Haus. Ist es das wert?

Stockholm (dpa) - Der Preis der Freizügigkeit lässt sich in Schweden
einmal mehr an vergleichsweise hohen Corona-Zahlen ablesen. Im
Gegensatz zu ihren dänischen Nachbarn und anderen Ländern haben es
die Schweden seit Jahresanfang einfach nicht geschafft, ihre
Neuinfektionszahlen auf ein vertragbares Niveau herunterzudrücken.
Stattdessen stagnierte die Zahl zuletzt bei einem unverändert hohen
Wert, nun geht es wieder deutlicher in die falsche Richtung. An einen
erstmaligen Lockdown etwa über Ostern ist dennoch vorerst nicht zu
denken für die Schweden - auch wenn sich die Regierung die
entsprechenden Möglichkeiten dazu mittlerweile geschaffen hat.

«Leider haben wir in den vergangenen beiden Wochen eine ziemlich
ordentliche Zunahme von ungefähr 18 Prozent gehabt», sagte Schwedens
Staatsepidemiologe Anders Tegnell am Dienstag. Nach einer relativ
leichten Steigerung in den Vorwochen geht es damit wieder schneller
hinauf mit den Neuinfektionen, derzeit sind es über 600 Fälle pro
100 000 Einwohner in den vergangenen 14 Tagen - zu viel und «nicht
nachhaltig», so Tegnell. «Das ist ein klarer Moment der Besorgnis.»

Bereits vergangene Woche hatte Karin Tegmark Wisell von der
Gesundheitsbehörde Folkhälsomyndigheten festgestellt: «Wir befinden
uns in einer Situation, wie wir sie zu Beginn der Pandemie 2020
hatten, als es erst im Mai eine Dämpfung gab.»

Alles wieder auf Anfang also, trotz über einem Jahr Corona? Manches
hat sich verändert im Corona-Kampf der Schweden, teils zum positiven,
teils zum negativen: Zum einen ist die britische Virus-Variante
mittlerweile fast in allen schwedischen Regionen die dominierende,
zum anderen hat das skandinavische EU-Land seine dramatisch hohen
Todesfallzahlen in den Altersheimen endlich in den Griff bekommen.

Und auch am vielbeachteten schwedischen Sonderweg hat sich etwas
getan. Dazu muss gesagt werden: So locker und zügellos wie von
Querdenkern und auch manchen Meinungsmachern beschrieben, ist die
schwedische Strategie gegen das Coronavirus niemals gewesen.

Ja, die Corona-Maßnahmen waren und sind deutlich freizügiger als in
Deutschland. Aber nein, ganz ungehemmt lebte es sich mit dem
weltumspannenden Virus auch nicht in Bullerbü-Schweden: Auch hier
galten und gelten Beschränkungen. Seit November dürfen sich nur noch
acht Personen versammeln, Restaurants und Kneipen müssen um 20.30 Uhr
schließen. Wettkampfveranstaltungen mit Ausnahme des Spitzensports
wurden untersagt, Besucherzahlen in Geschäften, Fitnessstudios und
weiteren Einrichtungen begrenzt. Hinzu kommen klare Appelle, Vernunft
walten zu lassen und sich an Empfehlungen zu halten.

Dennoch ist all das weitaus freizügiger gewesen als in den meisten
anderen EU-Ländern. Ein Resultat dieses Weges waren deutlich höhere
Infektionszahlen, aber weniger starke Probleme für die Wirtschaft.

Bis heute hat Schweden mehr als 750 000 Corona-Fälle und 13 300 damit

in Verbindung stehende Todesfälle registriert. Auf die Bevölkerung
von zehn Millionen Einwohnern heruntergerechnet wurden mehr als
doppelt so viele Infektionen wie in Deutschland verzeichnet, bei den
Toten ist die Zahl ebenfalls auf die gesamte Pandemie gerechnet höher
als in der Bundesrepublik. Insgesamt starben im Corona-Jahr 2020 7,9
Prozent mehr Menschen in Schweden als im Durchschnitt der Jahre 2015
bis 2019. Die Wirtschaftsleistung sank dagegen um vergleichsweise
milde 2,8 Prozent - verglichen mit 6,4 Prozent in der gesamten EU.

Die Neuinfektionszahl war in Schweden laut den Vergleichszahlen der
EU-Gesundheitsbehörde ECDC zuletzt wieder fast viermal so hoch wie in
Deutschland. Bei der schwedischen Todeszahl hat sich aber etwas
verändert: Sie ist seit Ende Januar stark gesunken und liegt
mittlerweile pro 100 000 Einwohner viel niedriger als in Deutschland.


Und noch etwas hat sich getan: Über all dem hängt in Schweden seit
einigen Wochen das Damoklesschwert des nun doch möglichen Lockdowns.
Die Regierung hat sich Anfang 2021 mit einem neuen Pandemiegesetz und
einer entsprechenden Verordnung die Möglichkeit für weitreichendere
Maßnahmen geschaffen. Seitdem besteht nun auch für die Schweden die
realistische Möglichkeit, dass sie auf dem Weg in Geschäfte,
Restaurants oder Fitnessstudios vor verschlossenen Türen stehen,
sofern das Regierung und Behörden für notwendig betrachten.

«Es gibt weiterhin Bedarf, mehrere Maßnahmen zu ergreifen, und es
kann aktuell werden, Teile der schwedischen Gesellschaft zu
schließen», sagte Sozialministerin Lena Hallengren Mitte Februar.
Bislang ist das ausgeblieben. Regierungschef Stefan Löfven bleibt
seiner Linie mit klaren Appellen treu. Das Coronavirus nehme keine
Rücksicht auf Festtage, machte er zuletzt mit Blick auf Ostern klar.
Große Feiern sollten die Schweden deshalb bitte unterlassen. «Der
Marathonlauf ist noch nicht vorbei.»

Staatsepidemiologe Tegnell rechnet nicht damit, dass seine Behörde
über Ostern mit neuen, verschärften Beschränkungen um die Ecke kommt.

«Nein, nicht, wie es derzeit aussieht», sagte er am Dienstag auf eine
entsprechende Frage einer schwedischen Reporterin. Wichtiger sei,
dass die bestehenden Regeln besser eingehalten würden.

Die Schweden setzen somit - vorerst - weiter auf Vernunft statt
Verbot. Tegnell wiederholte am Dienstag wie schon so häufig die
Empfehlungen und Maßnahmen, die er den Schweden in den vergangenen
Monaten immer wieder ans Herz gelegt hat: Hände waschen, Abstand
halten, wenn möglich von zu Hause arbeiten und wer sich krank fühle,
solle ebenfalls daheim bleiben. Und vor allem: Impfen lassen!

Insgesamt eine Million Schweden haben bereits ihre erste Impfdosis
erhalten, mehr als 400 000 bereits ihre zweite. Das macht gut zwölf
Prozent aller Erwachsenen im Land. «Wir sind auf einem guten Weg»,
sagte der unentwegt ruhige Tegnell dazu. Der Effekt auf die
Infektionslage müsse sich aber erst einstellen.

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