Information in Kurven: Corona und die Exponentialfunktion Von Sebastian Fischer, dpa
Von 300 auf 19 200 - so hat die Kanzlerin einmal die Entwicklung der
Neuinfektionen vorgerechnet. Dahinter steckt ein Klassiker des
Schulunterrichts: die Exponentialfunktion.
Berlin (dpa) - Bei ihrer letzten Schulstunde dürften viele gemeint
haben, dass der Umgang mit mathematischen Kurven und Funktionen nun
hinter ihnen liegt. Doch seit mehr als einem Jahr erscheint ein
Klassiker aus Schulzeiten in Zeitungen, Nachrichtenportalen und
TV-Nachrichten: die Exponentialfunktion. Etwa in Kurven zu
Neuinfektionen oder zur Belegung von Krankenhaus-Intensivbetten, die
mal steil nach oben gehen, dann wieder sinken, abflachen oder
Plateaus bilden.
Die Mathematik soll «helfen, die Ausbreitung des Virus zu verstehen,
zu überwachen und zu kontrollieren», heißt es von der Internationalen
Mathematischen Union (IMU) in Berlin anlässlich des Welttages der
Mathematik. Er wird am Sonntag (14. März) zum zweiten Mal begangen
und wurde zuvor vielfach bereits als Pi-Tag gefeiert - in Anspielung
auf die amerikanische Datumsschreibweise 3/14. Diese erinnert an den
Wert der Zahl Pi (3,14159...), die das Verhältnis des Umfangs eines
Kreises zu seinem Durchmesser beschreibt. Auch ein Mathe-Klassiker.
Mit mathematischen Kurven und Funktionen sind alle möglichen
physikalischen und biologischen Gesetze darstellbar. Gerade in der
Corona-Krise zeigt sich das eindrücklich. «Wenn Sie mich fragen, was
ist das, was mich beunruhigt, dann ist das der exponentielle
Anstieg», hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Herbst 2020 mit
Blick auf die damaligen Neuinfektionen gesagt.
Und kaum eine Szene hat sich mehr eingebrannt als ihre Aufzählung bei
einer Pressekonferenz am 29. September: Über die Monate Juli, August
und September hätten sich die täglichen Neuinfektionszahlen dreimal
verdoppelt, sagte die promovierte Physikerin, «300 auf 600, 600 auf
1200 und 1200 auf 2400». Setze sich dieser Anstieg über Oktober,
November und Dezember fort, «würden wir von 2400 auf 4800, auf 9600,
auf 19 200 kommen».
Mit Blick auf Weihnachten klang das nach Horrorszenario. «Sie wollte
ja deutlich warnen», sagt Alexander Mielke von der
Humboldt-Universität zu Berlin und dem Weierstraß-Institut für
Angewandte Analysis und Stochastik. «Diese Modellrechnung finde ich
perfekt», so der Mathematikprofessor.
Allerdings ist Merkels Prognose letztlich nicht eingetreten - es
wurde weitaus schlimmer: Die 19 200 innerhalb eines Tages gemeldeten
Neuinfektionen wurden schon rund fünf Wochen nach der Pressekonferenz
erreicht, nicht erst drei Monate später.
In der Schule basieren Funktionen auf Formeln. «Die Corona-Zahlen
sind hingegen datenbasierte Kurven», sagt Mielke. Es gebe keine
endgültige Gleichung, um sie zu beschreiben. «Sonst könnten wir
nämlich die Werte etwa für den 7. Oktober 2021 ausrechnen.» Die Kurve
werde zum Beispiel von politischen Entscheidungen beeinflusst. Auch
das Verhalten der Menschen spielt eine Rolle und zumindest ein
bisschen auch die Jahreszeit.
Klar ist jedenfalls: Glücklicherweise kann eine stark steigende Kurve
auch wieder sinken - und auch das kann exponentiell verlaufen. Den
Wendepunkt in Deutschland brachten strengere Lockdown-Regelungen:
Nach Weihnachten sank die Zahl bundesweiter Neuinfektionen je 100 000
Einwohnern innerhalb von sieben Tagen, die sogenannte
7-Tage-Inzidenz, wieder: von 196 am 24. Dezember auf knapp 57 am 19.
Februar.
Seither allerdings stockt der Rückgang - Experten zufolge wohl
zumindest zum Teil durch die immer dominierender werdende britische
Variante, aber auch durch das nachlassende Durchhaltevermögen der
Menschen, sich weiter an alle Regeln zu halten. Kanzlerin und
Experten warnen vor einer drohenden dritten Pandemie-Welle - oder
sehen sie bereits im Gang.
«Die dritte Welle beginnt dann, wenn wir deutlich nach dem Minimum
sind», so Mielke. Die aktuellen Zahlen gingen schon wieder nach oben,
derzeit sogar signifikant. «Wenn wir jetzt die Inzidenz von 70 wieder
überschreiten, dann würde ich das als Beginn der dritten Welle
bezeichnen.»
In der Pandemie stellt die Mathematik «ihre Modelle und Werkzeuge zur
Verfügung», heißt es von der IMU. Sie hat sich für die Einführung
des
Welttages der Mathematik bei der Unesco stark gemacht. Seinerzeit mit
dabei: Alexander Mielke. Hauptsächlich gehe es darum, die
Sichtbarkeit der Disziplin für die moderne Gesellschaft zu fördern,
so der Forscher. «Die Mathematik ist eine Schlüsseltechnologie, die
fundamental ist für die wirtschaftliche Entwicklung - insbesondere
auch in Schwellen- und in Entwicklungsländern.»
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