Kretschmann und die Erstmal-Nix-Strategie Von Nico Pointner und Henning Otte, dpa

Lockern, Lockdown, Lockern, Lockdown. Der Kurs von Ministerpräsident
Kretschmann in der Krise schwankt zwischen Bremsen und Beschleunigen.
Gerade da alle Zeichen auf Öffnung stehen, gibt er erneut den Mahner.

Stuttgart (dpa/lsw) - Monatelang warb Winfried Kretschmann bei den
Bürgern um Disziplin, Eigenverantwortung und um Verständnis für
strenge Einschränkungen. Der Staat könne in einer solchen Situation
nur paternalistisch sein, sagte er etwa in einem Interview. Da
klingen seine Sätze von Dienstag fast nach Resignation. «Die Leute
machen was sie wollen», sagte er mit Blick auf Einkaufstouristen.
«Die suchen Lücken und die haben Zeit und was weiß ich.» Weil die
Bayern die Baumärkte diese Woche geöffnet hätten, müsse er eben nun

mitziehen, weil die Shopper sonst über die Grenze führen. «Das setzt

mich natürlich unter Zugzwang», sagte der grüne Regierungschef. «Ob

ich das nun für richtig halte, den so früh zu öffnen, oder nicht.»


Kretschmann spricht dann von der «Macht des Faktischen», die manche
gute Idee ruiniere. Krisenmanager Kretschmann, der kapituliert
angesichts bayerischer Alleingänge und der Aufmüpfigkeit der Bürger?


Lockern, Testen, Lockdown, Impfen - kurz vor der Bund-Länder-Schalte
am Mittwoch existiert ein bundesweiter Flickenteppich an Konzepten
zum weiteren Vorgehen gegen die Corona-Krise. Kretschmann selbst
verkörpert derzeit einen bemerkenswerten Zickzackkurs. Monatelang gab
er den strengen Mahner, der immer wieder den Gesundheitsschutz als
oberstes Ziel unterstrich und die Öffnungswünsche des
Koalitionspartners CDU abbügelte. Gleichzeitig hatte Kretschmann
stets betont, wie wichtig bundesweit ein einheitliches Vorgehen sei.

Da kam es umso überraschender, dass der Ministerpräsident vergangene
Woche mit einem Impulspapier herauspreschte, dass eine stärkere
Lockerung des Lockdowns mit Hilfe von Schnelltests vorsieht -
Kretschmann denkt an Läden, Restaurants, Museen und perspektivisch
auch Hotels. Und das obwohl das Impfen stockt, die Mutanten unterwegs
sind und die Inzidenzwerte wieder steigen. «Das ist kein
Strategiewechsel», verteidigt Kretschmann am Dienstag sein Vorgehen.
Das Testen eröffne neue Möglichkeiten, weshalb man mehr öffnen könn
e.

Aber wahr ist auch: Der Frühling steht vor der Tür und die Menschen
sind des Lockdowns überdrüssiger und pandemiemüder denn je. Die
Wirtschaft macht gehörig Druck. Die Zeichen stehen bundesweit derzeit
auf Öffnung. Nach einem Beschlusspapier für die Bund-Länder-Schalte
zeichnen sich regional abgestufte Öffnungsschritte ab, abhängig von
den Sieben-Tage-Inzidenzen. Außerdem: Auch wenn Grüne wie CDU
beteuern, mit Corona keinen Wahlkampf zu machen, wird in zwei Wochen
gewählt im Ländle. Jede Entscheidung wird auch auf ihre möglichen
Auswirkungen auf den Urnengang abgeklopft.

Vize-Regierungschef Thomas Strobl drängte am Dienstag ebenfalls auf
eine breitere Öffnung für Wirtschaft und Gesellschaft. Bei privaten
Begegnungen etwa müsse man noch mal schauen, ob sich ein Haushalt nur
wirklich mit einer weiteren Person treffen dürfe oder ob es nicht
auch wieder ein zweiter Hausstand sein könnte. Auch für die Ostertage
brauchten die Menschen eine Perspektive. Die Südwest-CDU pocht schon
länger auf massenhafte, kostenlose Tests, um Öffnungen zu flankieren.
Auf den Kurs schwenkte Kretschmann mit seinem Impulspapier ein.

Umso verwirrender aber, dass der Ministerpräsident am Dienstag schon
wieder ganz anders klingt als noch vor ein paar Tagen, als er sich an
die Spitze der Testfans mit seinem Papier setzte. Zwar könne man mit
massenhaften Schnell- und Selbsttests demnächst Öffnungen angehen,
doch das gehe nicht von heute auf morgen. «Das ist ein großer
organisatorischer Aufwand.» Die Test-Infrastruktur müsse schon da
sein, «damit man die Teststrategie mit der Öffnungsstrategie
verbinden kann», erklärte er.

Kretschmann zeigte sich auch skeptisch, dass die weiterführenden
Schulen - wie von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU)
vorgeschlagen - schon am kommenden Montag schrittweise wieder öffnen
können. Um Schülerinnen und Schüler zweimal in der Woche testen zu
können, müssten die Test-Kapazitäten an den Schulen deutlich
ausgebaut werden. «Ich kann mir nur ganz schlecht vorstellen, dass
das bis zum 8. März auf die Beine gestellt werden kann.» Es sei klar,
dass das Gesundheitsministerium die Tests besorgen müsse. Für die
Umsetzung sei aber die Kultusministerin zuständig. «Wenn sie es
hinbekommt in den jetzt verbleibenden Tagen, dann okay», sagte er.

Die Zahl der Infektionen auf 100 000 Einwohner innerhalb von sieben
Tagen sei weiterhin der entscheidende Wert bei der Frage, wie stark
man lockern könne - und die 7-Tage-Inzidenz steige wieder, mahnte
Kretschmann. Regional unterschiedliche Öffnungen, wie sie die
Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten beschließen könnte, seien «ei
n
Ritt auf einem Grat.» Eine regionale Herangehensweise sei zudem
kommunikativ schwierig. Die Öffnung der Baumärkte rechtfertigte
Kretschmann mit den aufmüpfigen Bürgern und dem Vorpreschen Söders,
auf die Frage, was denn sonst rasch geöffnet werden könne, sagte der
Grünen-Politiker schlicht: «Erstmal nix.»

Ob es dabei bleibt, wird man spätestens nach der Bund-Länder-Schalte
wissen.

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