Protest gegen Corona-Politik im Auto - Versammlungsfreiheit hohes Gut Von Julia Giertz, dpa
Protest auf vier Rädern statt auf zwei Beinen - ein Phänomen breitet
sich im Land aus. Autokorsos sind das neue Mittel des Protests gegen
die Corona-Einschränkungen. Das nervt manch einen. Aber juristisch
haben die «Querdenker» und ihre Sympathisanten gute Karten.
Pforzheim/Ulm (dpa/lsw) - Erst sollten es 100 Autos sein, dann 200
bis 300, schließlich nahmen 1000 Fahrzeuge an einem Autokorso gegen
die Corona-Einschränkungen Ende Januar in Pforzheim teil. Ein
Höhepunkt der zahlreichen Auto-Demonstrationen der
Corona-Politik-Kritiker. Auch in anderen Städten wie Ulm, Radolfzell,
Villingen-Schwenningen, Heidelberg, Oberndorf am Neckar, Balingen,
Freiburg und Ludwigsburg hat die Bewegung den Protest auf vier Rädern
statt auf zwei Beinen gewählt.
Am Samstag versammelten sich dann bei einer nicht angemeldeten
Demonstration nach Polizei-Angaben rund 1200 Menschen in rund 600
Autos auf einem Parkplatz in Mannheim. Auch sie wollten einen
Autokorso bilden. Die Demonstration wurde aber nach einer Verfügung
der Versammlungsbehörde der Stadt Mannheim aufgelöst. Ebenso kamen am
Sonntag in Heilbronn laut Polizei rund 350 Fahrzeuge zusammen. Ihr
Autokorso verlief demnach störungsfrei, führte aber zu größeren
Verkehrsbehinderungen.
Mit Hupen, Blinken und Plakaten bewegen sich die Gegner der
Corona-Regeln durch die Städte, behindern den Verkehr und lösen Ärger
bei Passanten aus. «Querdenken»-Gründer Michael Ballweg hatte nach
einer Winterpause bundesweit zur Teilnahme an einer Stuttgarter
Autodemo «für Frieden und Freiheit» aufgerufen, zu der mehrere
Hundert Fahrzeuge kamen.
Dieser neue Weg der Gegner der Corona-Auflagen, ihren Unmut zu
zeigen, errege mehr Aufmerksamkeit als die traditionellen
Kundgebungen und Märsche, sagt der Ulmer SPD-Landtagsabgeordnete
Martin Rivoir. «Mit 50 Fahrzeugen kann man den Verkehr blockieren und
damit weit mehr Wirkung erzielen, als wenn sich dieselbe Zahl von
Demonstranten vor dem Münster positioniert». Er wäre froh, wenn diese
Art der auch umweltschädlichen Demos bald passé wäre, sagt er mit
Blick auf einen Autokorso im November in Ulm.
Das ist jedoch eher nicht zu erwarten, schätzt doch die Justiz
Versammlungsfreiheit als sehr hohes Gut ein. Rivoir hat sich mittels
einer Anfrage ans Innenministerium informiert, welche juristischen
Fragen im Umgang mit den Autokorsos zu beachten sind. Im Grundsatz
stehen sich hier die Verkehrssicherheit und die grundgesetzlich
geschützte Versammlungsfreiheit gegenüber. Die Entscheidung, was in
der konkreten Situation vorrangig ist, obliegt im Einzelfall der
Polizei, heißt es in der Antwort des Ministeriums.
Unnützes Hin- und Herfahren in geschlossenen Ortschaften ist erlaubt,
sofern sich andere nicht belästigt fühlen. Was «unnütz» ist, kann
nur
im Einzelfall geklärt werden. Klarer ist die Gesetzeslage, wenn es
sich bei dem Korso um eine angemeldete Versammlung handelt. Diese
kann nur untersagt werden, wenn die Sicherheit des Verkehrs durch
nichts anderes als eine Auflösung der Demonstration gewährleistet
werden kann; Verkehrsbehinderungen fallen nicht darunter, weil sie
quasi unvermeidlich sind. Hingegen spielt es eine Rolle, ob im
Notfall Polizei, Rettungsdienste und Feuerwehr durchkommen. Die
Veranstalter müssen ein Sicherheitskonzept vorlegen.
Auch die weiteren Auswirkungen eines Autokorsos sollen mitbedacht
werden: Erhöht sich das Ansteckungsrisiko, wenn Passanten durch den
Zusatzverkehr zu eng nebeneinander stehen müssen? Selbst wenn dem so
wäre, müsste zuerst eine Alternativroute gesucht werden. «Erst wenn
der Infektionsschutz nicht auf diese Weise sichergestellt werden
kann, kommt eine Untersagung als Ultima Ratio in Betracht», heißt es
in der Antwort auf Rivoirs Fragen.
In Pforzheim uferte die Ansammlung unter dem Titel «Unternehmer und
Bürger zeigen Gesicht» so aus, dass einige der ursprünglich
getroffenen Absprachen und Vereinbarungen zum Ablauf oder der
Streckenführung nicht umgesetzt wurden. Als Folge beschwerten sich
Passanten. Eine Polizistin wurde bei der Überprüfung eines
Autofahrers verletzt. Nach der überraschenden Resonanz auf den Korso,
so die Stadt, müsse das Verfahren bei ähnlichen Anmeldungen im Detail
mit dem Veranstalter und der Polizei abgestimmt werden.
SPD-Mann Rivoir hat beobachtet, dass die Ordnungsämter seit einem
Verwaltungsgerichtsurteil vom November vergangenen Jahres
zurückhaltend sind, solche Korsos auszubremsen. «Sonst riskieren sie
eine Niederlage vor Gericht», sagt Rivoir. Diese Annahme ist nicht
unbegründet, nachdem das Verwaltungsgericht Sigmaringen das Verbot
eines Autokorsos in Ulm kippte und unter Auflagen genehmigte wie eine
zeitliche Verschiebung, um den Feierabendverkehr nicht zu behindern.
Nach grober Schätzung beteiligten sich mehrere Dutzend Fahrzeuge an
der Demonstration.
Für Markus Haintz, Rechtsanwalt der Ulmer Anmelder, ist der
Sigmaringer Beschluss «wegweisend» für andere Verfahren in
Deutschland. Die Autokorsos seien eine Reaktion auf Verbote von
Demonstrationen und Kundgebungen gegen freiheitsbeschränkende
Maßnahmen wegen vermeintlich nicht eingehaltener Abstands- und
Hygienevorschriften. «Wenn ihr uns nicht laufen lasst, dann fahren
wir eben», bringt er seine Strategie auf den Punkt. Autos seien jetzt
als Demonstrationsmittel anerkannt, wenn der Zweck etwa durch Plakate
an den Fahrzeugen klar sei. Die Verlagerung des Protests in beheizte
Fahrzeuge bringe im tiefsten Winter Vorteile.
Freiburg verzeichnet in diesem Jahr schon vier Autokorsos mit jeweils
25 bis 55 Fahrzeugen. Vor Abfahrt werden die Teilnehmer und Fahrzeuge
hinsichtlich Verkehrssicherheit und Corona-Regeln überprüft - bislang
ohne Verstöße. Auf die Frage, ob die beiden Grundsätze
Verkehrssicherheit und Versammlungsfreiheit sich nicht widersprächen,
antwortet die Polizei versöhnlich: «Beides ist derzeit miteinander
vereinbar.»
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