Moskau macht Impfstoff Sputnik V zum Exportschlager - trotz Problemen Von Ulf Mauder und Christian Thiele, dpa
Der Corona-Impfstoff Sputnik V soll nach dem Willen Russlands die
Welt erobern. Er findet nach anfänglicher Kritik reißenden Absatz.
Zwar hat sich Kremlchef Putin noch nicht spritzen lassen. Doch trotz
aller Aufregung um seine Politik sieht er sich schon als Sieger.
Moskau (dpa) - Das mittlerweile auch in Deutschland von vielen
Impffreunden herbeigesehnte russische Präparat Sputnik V wird in
Moskau sogar schon beim Shoppen oder in der Oper verabreicht. Wer
nicht anstehen will für den Impfstoff mit einer Wirksamkeit von mehr
als 91 Prozent gegen das Coronavirus, kann sich auch in einer
Poliklinik einen Termin geben lassen. Wartezeit? Nur wenige Tage.
Altersbeschränkungen? Keine. Auch Deutsche bekommen Sputnik V in
Moskau und müssen etwa in der GMS-Klinik nur den Reisepass vorlegen.
Eine Ärztin untersucht Nase und Rachen, hört die Lunge intensiv ab.
Sie informiert über mögliche Nebenwirkungen wie Kopfweh und leicht
erhöhte Körpertemperatur - und gibt dann das OK für die Spritze, die
das Pflegepersonal aufzieht und setzt. Die Kosten für den ärztlichen
Check samt Impfung liegen bei gut 50 Euro. In 21 Tagen muss noch eine
zweite Komponente verabreicht werden. Nach 42 Tagen insgesamt soll
sich die Immunität dann voll ausgebildet haben. Russische Bürger
bekommen die Impfungen gratis.
Zwar sind in Moskau nach städtischen Angaben erst etwa 400 000 Bürger
geimpft - von rund 13 Millionen. Doch der Andrang in der größten
Stadt Europas werde immer stärker, bestätigen die
GMS-Klinikmitarbeiter - wohl auch, weil in der medizinischen
Fachzeitschrift «The Lancet» nun erstmals russischen Daten von
unabhängigen Experten bewertet wurden. Das positive Urteil ist für
Russland, das wegen der frühen Freigabe im August international
kritisch beäugt wurde, ein Triumph.
Präsident Wladimir Putin gab damals den Startschuss für Sputnik V.
Staatsmedien feierten das Ereignis wie das Vordringen ins Weltall,
als Moskau 1957 mit dem Sputnik - dem ersten künstlichen Erdtrabanten
im Kosmos - die Welt in Schockstarre versetzte. Wie damals, als die
Sowjetunion einen Sieg im Kampf mit den USA und im Wettbewerb der
Systeme Kommunismus und Kapitalismus zelebrierte, wollte Russland
wieder eine Vorreiterrolle in der Wissenschaft einnehmen.
Die Kritik aus dem Westen folgte prompt, die Datenbasis sei schwach,
das Präparat nicht ausgetestet. Russland wiederum warnte davor, den
«Impfstoff für die ganze Menschheit» schlechtzureden. Putin lässt
derweil keine Gelegenheit aus, um etwa bei seinen Online-Auftritten
auf internationalen Konferenzen für «den besten Impfstoff» der Welt
zu werben. Dieser sei mit umgerechnet rund 8 Euro je Dose günstiger
als viele westliche Vakzine und viel leichter zu lagern - bei zwei
bis acht Grad Celsius, heißt es etwa zu den Vorzügen.
Russlands Staatsmedien widmen Sputnik V viel Sendezeit - über immer
neue Länder, die das Präparat zulassen und kaufen wollen; über
Prominente, die sich impfen lassen wie der mit Putin befreundete
US-Regisseur Oliver Stone. Sputnik V ist offiziellen Angaben zufolge
mittlerweile in mehr als 15 Ländern registriert. Ungarn hatte als
erstes EU-Land zwei Millionen Dosen des Präparats bestellt.
Doch Putin selbst hat sich immer noch nicht spritzen lassen - weshalb
auch viele Russen weiter zögern und erst mehr Vertrauen gewinnen
möchten. Erst sagte der 68-Jährige, das vom renommierten
Gamaleja-Forschungszentrum für Epidemiologie und Mikrobiologie
entwickelte Vakzin sei für seine Altersgruppe nicht zugelassen. Dann
kam die Zulassung. Und Chefentwickler Alexander Ginzburg hoffte, dass
der Präsident nun zum Impfen komme. Im Kreml aber heißt es dazu nur,
Putin entscheide selbst, wann er sich immunisieren lasse.
Unbeantwortet bleiben aber auch andere Fragen. Etwa dazu, wie viele
Menschen inzwischen geimpft sind oder wie es etwa um die
Produktionskapazitäten steht. Russlands staatlicher
Direktinvestmentfonds RDIF, der an der Finanzierung der Entwicklung
beteiligt ist, hatte angekündigt, dass mehr als eine Milliarde Dosen
- für eine halbe Milliarde Menschen - in diesem Jahr produziert
werden könnten. Unabhängig überprüfen lässt sich das nicht. Viele
Daten werden weiter wie ein Staatsgeheimnis gehütet.
RDIF-Chef Kirill Dmitrijew sagte allerdings mehrfach, dass Russland
offen sei für Kooperationen mit westlichen Partnern. Mit Blick auf
die Lieferengpässe in der EU hieß es in Moskau, im zweiten Quartal
könnten 100 Millionen Dosen bereitgestellt werden für 50 Millionen
Menschen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Europäische
Arzneimittelagentur EMA den Wirkstoff zulässt. Ein entsprechender
Antrag sei im Januar eingereicht worden, erklärte der Fonds.
Die EMA teilte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) jedoch
mit, dass noch kein Zulassungsantrag eingegangen sei. Der Entwickler
habe lediglich eine Anfrage wegen wissenschaftlicher Beratung
gestellt. Auch der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko),
Thomas Mertens, sagte der dpa, dass die im Fachblatt «The Lancet»
aufgeführten Daten gut aussähen. «Es muss aber noch ein
Zulassungsverfahren unter Vorlage der Originaldaten durchlaufen
werden. Das kann aber natürlich relativ rasch geschehen.» Der
Stiko-Chef sprach von einem «Zeitraum von Wochen».
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Gesundheitsminister Jens Spahn
(beide CDU) halten eine Zusammenarbeit mit Russland für möglich. Auch
Putin, der mit Merkel schon mehrfach telefonisch über den Kampf gegen
das Coronavirus gesprochen hat, ist an positiven Signalen aus seinem
Land interessiert. Denn das Verhältnis zum Westen ist wegen der
vielen politischen Konflikte - etwa um die Vergiftung des nun in
Moskau auch noch inhaftieren Kremlkritikers Alexej Nawalny - schwer
belastet.
Minister Spahn kann sich eine Produktion von Sputnik V in Deutschland
vorstellen, wie er sagte. In Moskau feierten Medien zuletzt Sputnik V
schon als den größten Exportschlager Russlands seit Jahren, der
höhere Milliardenbeträge einbringen könne als der russische
Waffenhandel.
Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK
Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.