Laschets Heine sei Dank - GroKo verschiebt Start des Superwahlkampfes Von Marco Hadem, Ulrich Steinkohl, Theresa Münch, David Hutzler, dpa
Mit der Corona-Krise ist der Koalitionsausschuss von SPD und Union in
Vergessenheit geraten. Zum Start des Superwahljahres meldet er sich
zurück. Und nicht nur das - es herrscht auch ungewohnte Harmonie.
Berlin (dpa) - Gelungene Premiere für den neuen CDU-Chef Armin
Laschet und die ungeliebte große Koalition: In überraschender
Harmonie haben die Spitzen von Union und SPD mit Kanzlerin Angela
Merkel (CDU) den Start ins Superwahljahr 2021 geschafft. Zahlreiche
strittige Themen wie einen Corona-Bonus für Familien und Menschen in
Grundsicherung, die Mehrwertsteuersenkung für die Gastronomie und
weitere Corona-Hilfen für Unternehmen konnte der Koalitionsausschuss
am Mittwochabend in knapp viereinhalb Stunden lösen.
Die gelebte Harmonie unter den Koalitionären war keineswegs zu
erwarten. Immer wieder hatten sich beide Seiten in den vergangenen
Tagen vorgeworfen, zu früh in den Wahlkampfmodus zu verfallen. Noch
am Morgen weist SPD-Kanzlerkandidat und Bundesfinanzminister Olaf
Scholz in seiner nordischen Gelassenheit Kritik zurück, wonach die
Forderungen seiner Partei «Wahlkampfmusik» seien.
Doch hinter den Türen, so ist zu hören, ist die Stimmung alles andere
als gereizt. Zur guten Laune dürfte auch Laschets Geschenk
beigetragen haben. Vor Beginn seines ersten Koalitionsausschusses im
Kanzleramt überreicht er allen Anwesenden Bücher mit gesammelten
Gedichten des Dichters Heinrich Heine. Ein Lesepräsent mit Zeilen des
in Düsseldorf geborenen Schriftstellers Heine aus der Hand des in
Düsseldorf regierenden NRW-Ministerpräsidenten ist naheliegend und
vieldeutig zugleich. Umso mehr, wenn man bedenkt, dass Laschet schon
in wenigen Monaten nach der Kanzlerschaft greifen könnte.
«Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf
gebracht, ich kann nicht mehr die Augen schließen, und meine heißen
Tränen fließen», heißt es in Heines berühmten Versen. Ob Laschet
bei
der Auswahl des Geschenks überhaupt an jenes Gedicht «Nachtgedanken»
dachte, dürfte wohl sein Geheimnis bleiben. Fest steht aber, besser
(und lyrischer) lässt sich die Situation der Anwesenden im Kanzleramt
zum Start ins Superwahljahr 2021 kaum beschreiben - sie alle eint in
der Corona-Krise die Sehnsucht nach einem schöneren Deutschland.
Dass Laschet bei seiner Premiere im Gegenzug auf politische Geschenke
hoffen konnte, durfte getrost bezweifelt werden. Vielmehr wartet auf
ihn ein ganz besonderer Spagat. So muss er sowohl dafür sorgen, dass
der Berliner Koalitionsmotor möglichst geschmeidig weiterläuft, damit
sich Merkel ohne Störfeuer um die Corona-Krise und die - wann auch
immer beginnende - Zeit danach kümmern kann. Zugleich muss gerade
Laschet klare Kante zeigen, will er sich für die Kanzlerkandidatur in
der Union empfehlen. Denn noch sehen die Menschen im Land einen
anderen Unionspolitiker mehrheitlich als deutlich besser geeignet
dafür an - den von Laschet beschenkten Markus Söder.
Das Fazit über Laschets Auftreten fiel denn Ende auch bei den
Beteiligten gut aus, auch wenn manche Teilnehmer fanden, dass er
nicht allzu viel gesprochen habe. Er habe sich «prima eingefügt»,
sagte Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU). Dank Laschets guter
Vernetzung in Berlin sei «gar keine Einarbeitungszeit notwendig
gewesen. Es war so, als wenn er immer da gewesen wäre».
Und dann sitzt mit der SPD auch ja noch eine Partei am Tisch, für die
es bei der Bundestagswahl am 26. September - und bei den
Landtagswahlen zuvor - einmal mehr ums Ganze geht. Mit Umfragewerten
von aktuell 15, 16 Prozent stehen die Sozialdemokraten nochmals
deutlich schlechter da als mit ihren 20,5 Prozent bei der Wahl 2017.
Um in der Bürgergunst zu klettern, müssen sich die SPD-Chefs Norbert
Walter-Borjans und Saskia Esken sowie ihr Kanzlerkandidat Olaf Scholz
mächtig anstrengen. Auch für sie geht es um einen Spagat: Einerseits
müssen sie zeigen, dass sich sozialdemokratisches Mitregieren lohnt -
und gleichzeitig müssen sie sich acht Monate vor der Wahl verstärkt
von der Union abgrenzen. Keine Frage - die Entlastungen für
Geringverdiener und Familien sind da wichtige Erfolge. Bleibt nur die
Frage, ob diese am Ende auch auf das Konto der SPD einzahlen werden.
Ungeachtet aller parteitaktischen Fragen zeigt die Koalition
zumindest an diesem Abend vielen Beobachtern, dass sie durchaus noch
Dinge bewegen kann - und will. Sogar beim konfliktträchtigen Thema
Eurodrohne finden beide Seiten eine Kompromissformel, die die
Anschaffung des unbemannten Flugobjekts durch die Bundeswehr noch im
März unter Dach und Fach bringen will. Dass dabei der eigentliche
Streitpunkt, die mögliche Bewaffnung der Drohne elegant ausgeklammert
wurde, zeigt, dass an diesem Abend keine Seite an einer Eskalation
interessiert war.
Auch das ist Anfang 2021 durchaus eine Nachricht. Ironische Stimmen
in der Koalition hatten es vor den Verhandlungen ja schon als Erfolg
gesehen, dass die GroKo Anfang 2021 überhaupt noch existiert.
Bei den Beratungen in der neuen Besetzung - unterbrochen von einem
deftigen Abendessen mit Rouladen, Kartoffeln und Rosenkohl und dem
ein oder anderen Heine-Zitat - dürfte es geholfen haben, dass sich
alle Beteiligten schon lange aus verschiedenen Rollen und Ämtern
kennen. Söder und Laschet, die beide ein Interesse daran haben
dürften, die Union weiter als geschlossen zu präsentieren.
Walter-Borjans und Laschet, deren Verhältnis nach vielen gemeinsamen
Düsseldorfer Jahren als ungetrübt gilt.
Nach dem konstruktiven Verlauf der Beratungen bleibt die Frage, was
die schon so oft für tot erklärten GroKo noch vor der Wahl alles
bewegen kann. Eine verlässliche Antwort für die kommenden Monate ist
nicht möglich. Und wie fragil die Harmonie ist, zeigten jüngst die
Spannungen, nachdem die SPD immer heftiger Gesundheitsminister Jens
Spahn (CDU) für dessen Corona-Management kritisiert hatte. Manche in
der Union erinnerte das Vorgehen an einen Untersuchungsausschuss.
Fortsetzung folgt.
Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK
Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.