Tui auf dem Weg zum teilverstaatlichten Touristikkonzern Von Jan Petermann, dpa, und Steffen Weyer, dpa-AFX

Wenn sich der Bund an Firmen beteiligt, bleibt das nicht ohne Kritik.
Im Fall Tui muss der Staat in die Bresche springen - sonst könnte die
Pleite drohen. Der Reisekonzern bekommt Luft, um die nächsten Monate
zu überbrücken. Doch wird die Corona-Lage danach schon besser?

Hannover (dpa) - Kredite und Bürgschaften reichten nicht aus, jetzt
kommt auch der Staatseinstieg inklusive Kapitalerhöhung: Tui soll mit
dem Bund als Großaktionär die besonders harte Corona-Durststrecke im
Winter überstehen. Formal vollzogen ist der Tausch von Einlagen des
Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) in direkte Anteile am größten
Touristikkonzern der Welt zwar noch nicht. Die bisherigen Tui-Eigner
beschlossen auf einer außerordentlichen Hauptversammlung am Dienstag
jedoch fast einstimmig, dass der WSF nun das Recht dazu erhält.

Damit bekommt der Staat nach der Lufthansa bei einem weiteren
angeschlagenen Unternehmen der Reisebranche erheblichen Einfluss.
Aber auch private Eigentümer lassen Tui über eine Kapitalerhöhung
dringend benötigtes Geld zufließen. Teile früherer Hilfen sind
aufgebraucht, der Winter ist selbst ohne Pandemie eine schwache
Saison, und auch danach dürfte das Reisegeschäft nicht so schnell zu
alter Größe zurückfinden. Tui hätte der finanzielle Kollaps gedroht
,
wäre ein ergänzendes Rettungspaket nicht rasch zustande gekommen.

Die Gesamtkonstruktion ist komplex und teils auch umstritten. Nimmt
der WSF sein Recht in vollem Umfang wahr, darf er maximal 25 Prozent
plus einen Anteilsschein an Tui übernehmen. Das würde dem Bund unter
anderem eine Sperrminorität sichern, die ihm ein Mitspracherecht und
eine Blockademöglichkeit bei zentralen Entscheidungen gibt. Auch die
EU-Kommission hatte die dafür nötige Wandlung sogenannter stiller
Einlagen in Tui-Aktien kürzlich genehmigt - ebenso wie weitere
Kredite, die zum mittlerweile dritten «Stabilisierungspaket» gehören.


Wandelt der WSF die Einlagen sowie eine ergänzende Anleihe um, spielt
er zudem eine maßgebliche Rolle bei neuen Kreditaufnahmen, Verkäufen
oder Übernahmen. Tui-Vorstandschef Fritz Joussen machte indes klar:
«Der Fonds macht keine Vorgaben für das operative Geschäft.»

Die Begrenzung der Anteile auf gut ein Viertel würde wohl auch nur
ganz erreicht, falls das Land Niedersachsen am Tui-Hauptsitz Hannover
einen weiteren Teil des Geldes nicht absichert. Dies wird derzeit
diskutiert, stößt aber bei Grünen und FDP auf Ablehnung. «Es ist
nicht Aufgabe des Staates, die Tui-Investoren zu retten, die bislang
herzlich wenig zur Lösung beigetragen haben», so Grünen-Finanzexperte

Stefan Wenzel kürzlich. Die CDU sprach sich dagegen für die Gewährung

von Landesbürgschaften aus, denn auch Tui sei «systemrelevant».

Widerstand gibt es bei Kritikern - neben grundsätzlichen Bedenken zu
solchen Eingriffen des Staates in der Wirtschaft - vor allem, weil
der Konzern parallel 8000 Stellen weltweit streicht. Das Management
begründet die Einschnitte mit einer langfristig tragfähigen Struktur.
Die Pilotengewerkschaft Cockpit verlangt eine Schlichtung in den
Verhandlungen über Kürzungen bei der Fluggesellschaft Tuifly. Joussen
erklärte dazu: «Wir stehen für einen Dialog weiter zur Verfügung.
»

Der FDP-Bundestagsfraktionsvize Michael Theurer sprach mit Blick auf
die steuerfinanzierte Staatsbeteiligung insgesamt dennoch von «einem
ordnungspolitischen Sündenfall»: «Konzern um Konzern wird
rekapitalisiert, während kleine und mittlere Unternehmen auf die
Hilfen warten.» Schon in früheren schweren Wirtschaftskrisen waren
Not-Teilverstaatlichungen großer Unternehmen nicht ohne Widerspruch
geblieben. So kam es im Zuge der globalen Finanzkrise ab 2008 zu
langen Debatten über den Einstieg des Bundes bei der Commerzbank.

Vor der nun zusätzlich genehmigten Kapitalerhöhung bei Tui um rund
500 Millionen Euro summierte sich die Unterstützung aus Darlehen,
Garantien, Anleihen und Vermögenseinlagen bereits auf 4,8 Milliarden
Euro. Nach Angaben Joussen hat der Konzern derzeit 2,3 Milliarden
Euro an flüssigen Mitteln, wenn man die Kapitalaufstockung und das
neue Rettungspaket mitrechnet. Allerdings geht er davon aus, dass ein
Teil der Hilfen über den Winter und Frühling wieder abschmelzen
könnte - um bis zu mehrere hundert Millionen Euro pro Monat.

Die hoch verschuldete Tui will nach weiteren Finanzierungsquellen
suchen, wozu der Vertrag mit dem WSF laut Joussen auch verpflichtet.
Das Unternehmen prüft, bestimmte Teile abzustoßen, um später die
Rückzahlung der Kredite leichter zu schaffen. Dazu könnte etwa die
Auslagerung des Airline-Betriebs in Gemeinschaftsfirmen zählen. Und
bei den Hotels gibt es Überlegungen, etliche Häuser in Fonds zu geben
und für diese um Investoren zu werben - nur noch das Management
bliebe dann bei der Tui, nicht mehr die volle Eigentümerschaft.

Am Ende kommt es darauf an, dass sich die Reisekonjunktur rechtzeitig
erholt. Aktuell sieht es auch angesichts des schleppenden Impfbeginns
durchwachsen aus. Zwar gibt sich Joussen prinzipiell optimistisch:
«Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass das Reisen für die Menschen
nach der Pandemie an Bedeutung verliert.» Auch Studien zeigten, «dass
das Reisen die am meisten vermisste Aktivität im Lockdown ist».

Tui muss die Zeit fast fehlender Umsätze also irgendwie durchstehen,
bis größere Bevölkerungsschichten immun gegen das neue Coronavirus
sind und wieder mehr Betrieb möglich ist. Joussen appellierte an die
europäischen Staaten, mehr Antikörper-Schnellanalysen in der Breite
verfügbar zu machen: «Inzwischen gibt es verlässliche Tests, die
sichere Reisekorridore schaffen können. Wir können dann mehr testen,
unmittelbar vor dem Abflug, und erhalten umgehend Ergebnisse.»

Unklar ist auch, wie sich die beschlossenen Schritte auf die übrigen
Besitzverhältnisse auswirken. Die russische Milliardärsfamilie
Mordaschow - bisher mit knapp 25 Prozent größter Tui-Einzelaktionär -

wurde von der Finanzaufsicht Bafin von der Pflicht befreit, ein
Übernahmeangebot abzugeben, sollte ihr Anteil 30 Prozent erreichen.

Joussen zufolge sind bis zu 36 Prozent für die Mordaschow-Firma
Unifirm denkbar. Ob Großaktionäre wie die spanische Hotelgruppe Riu
oder der ägyptische Touristik-Unternehmer Hamed el Chiaty die
Bezugsrechte ausüben, «ist uns nicht bekannt». Eine Dividende soll es

erst wieder geben, sobald die staatlichen Kredite zurückgezahlt sind.

Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK

Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.

Jetzt der TK beitreten





Zur Startseite