Ärzte für Polen - verzweifelt gesucht Von Doris Heimann, dpa
Die Corona-Pandemie hat das Problem des Ärztemangels in Polen
schmerzlich spürbar gemacht. Über Jahre sind Mediziner in westliche
EU-Länder abgewandert. Nun wirbt das Land massiv um Spezialisten aus
der Ukraine und aus Belarus. Nicht alle finden das gut.
Warschau (dpa) - Gleich 15 Ärzte hat der polnische Unternehmer Kacper
Gasienica-Byrcyn in die Ukraine geschickt. Sie sollen für seine Firma
Optimus Work auf die Suche gehen - nach ukrainischen Medizinern, die
in Polen arbeiten wollen. Denn der Ärztemangel in Deutschlands
Nachbarland ist massiv: Nach dem OECD-Report «Health at a Glance
2020» kamen in Polen im Jahr 2017 auf 100 000 Einwohner 238 Ärzte -
so wenig wie in keinem anderen EU-Land. Entsprechend hoch ist die
Belastung für die Mediziner. Während ein polnischer Arzt im Jahr 2018
durchschnittlich 3200 Konsultationen erteilte, waren es in
Deutschland 2300.
«Momentan haben wir schon mehr als 500 Anträge von Ärzten», sagt
Gasienica-Byrcyn. Etwa 80 Prozent kämen aus der Ukraine, weitere 20
Prozent aus Belarus (Weißrussland). Ähnliche Erfahrungen hat auch
Krzysztof Inglot von der Firma Personnel Service gemacht. «Wir haben
ein großes Echo auf unsere Rekrutierung im Osten», sagt er. Mehr als
1500 Ärzte seien an Stellen in Polen interessiert. «Hauptsächlich
suchen wir Kardiologen, Lungenärzte, Virologen, Anästhesisten und
Internisten.»
Der Ausbruch von Sars-CoV-2 hat die Folgen des Mangels schmerzlich
vor Augen geführt. Polnische Medien sind voll von Berichten über die
Zustände in den neu eingerichteten Notkrankenhäusern für
Covid-Patienten: Diese hätten kaum Personal und könnten deshalb nur
wenige Erkrankte aufnehmen. Seit Polen 2004 der EU beigetreten ist,
sind Tausende Ärzte abgewandert - viele nach Deutschland, Österreich
und Skandinavien. Die Abwanderung und ein rigoroser Sparkurs der
Regierung haben das polnische Gesundheitssystem ausgeblutet.
Zudem hat die Corona-Pandemie die ohnehin extrem hohe
Arbeitsbelastung für Ärzte in Polen weiter verschärft. Zwar war die
Abwanderungswelle gen Westen zuletzt abgeebbt, doch manche sitzen
jetzt wieder auf gepackten Koffern. «Ich bin einfach müde, ständig
mit dem System kämpfen zu müssen», sagt Patrycia Matczuk,
Kinderärztin an einem Warschauer Krankenhaus. Sie sei zermürbt von
den organisatorischen und finanziellen Schwierigkeiten des
staatlichen Gesundheitsfonds NFZ: Krankenhäuser hätten nicht genug
Betten und seien am Rande der Pleite, schon das Bestellen eines
Medikaments werde zum Problem, überall fehle es an Ärzten,
Krankenschwestern und Sanitätern. Matczuk lernt Deutsch. Sie und ihr
Mann tragen sich mit Plänen, nach Österreich zu gehen.
Die klaffende Lücke im polnischen Gesundheitswesen sollen nun
Mediziner aus Ländern außerhalb der EU füllen. Ende November
verabschiedete das Parlament eine Gesetzesänderung, die die
Approbation von Ärzten aus Nicht-EU-Ländern vereinfachen und
beschleunigen soll. Demnach kann ein Arzt aus einem Drittland eine
Berufserlaubnis bekommen, wenn er eine Spezialisierung hat, drei
Jahre Erfahrung in diesem Feld nachweisen kann und eine Erklärung
abgibt, dass er über ausreichende Sprachkenntnisse verfügt.
Polnische Ärzte mögen über das nationale Gesundheitssystem stöhnen
-
für ihre Kollegen aus dem Osten sind die Bedingungen attraktiv.
Mediziner aus der Ukraine und Belarus könnten in Polen mit drei- bis
viermal so hohen Gehältern rechnen wie zu Hause, sagen die
Branchen-Insider Kacper Gasienica-Byrcyn und Krzysztof Inglot. Auch
die Möglichkeit, mit neuen Technologien und Geräten zu arbeiten, sei
für sie verlockend. In Belarus kommen laut Gasienica-Byrcyn
politische Motive hinzu: Viele Ärzte fühlten sich vom autoritären
Regime des Machthabers Alexander Lukaschenko unterdrückt.
Krankenhäuser und Gemeinden, die händeringend Ärzte suchen, bieten
den Interessenten häufig Wohnraum an. Auch ein Polnisch-Sprachkurs
gehört zum Paket. Aufgrund seiner Erfahrung mit der Rekrutierung von
Arbeitskräften aus der Ukraine gehe er davon aus, dass ein Arzt mit
Ukrainisch oder Belarussisch als Muttersprache innerhalb von drei
Monaten genug Polnisch lernen könne, um mit Patienten zu
kommunizieren, sagt Inglot. Er ist optimistisch, dass die ersten
Mediziner noch im Januar ihre Arbeit aufnehmen werden.
Kritik kommt von der polnischen Ärztekammer. Ihr Präsident warnte, es
gebe keine Sicherheit, dass ein medizinischer Abschluss aus einem
Drittland gleichwertig mit einem EU-Abschluss sei. «Ein zusätzliches
Problem ist, dass die Regierung plant, die Kriterien für die
Verifizierung der Fähigkeiten dieser Ärzte aus Nicht-EU-Ländern
lockerer zu fassen als für die landeseigenen Mediziner», kritisiert
Ärztekammer-Sprecher Rafal Holubicki. Auch die vorgesehene
Überprüfung des Sprachniveaus sei nicht ausreichend. «Das ist
beunruhigend. Besonders deshalb, weil es die Gesundheit und das Leben
unserer Patienten gefährden könnte.»
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