Wegen Corona: Europa stößt an seine Grenzen Von Birgit Reichert, dpa
Lange war die Grenze zwischen Deutschland, Frankreich und Luxemburg
kaum noch sichtbar. Die Corona-Pandemie hat in der Grenzregion die
Uhren um Jahrzehnte zurückgestellt. Aber nicht auf Dauer.
Luxemburg (dpa/lrs) - Plötzlich waren sie wieder da. Gesperrte
Grenzübergänge, Warteschlangen und uniformierte Kontrolleure mit
Fragen nach Reiseziel und Reisegrund. So hat die Corona-Pandemie
Europa im Jahr 2020 an seine Grenzen stoßen lassen. Den 26 Staaten
umfassenden Schengen-Raum, vor 35 Jahren für Reisen ohne
Grenzkontrollen gegründet, sowieso. Aber ganz besonders die
sogenannte «Großregion», wo Belgien, Deutschland, Frankreich und
Luxemburg aneinanderstoßen.
«Die Grenzschließungen waren ganz klar eine Art von
Kurzschlussreaktion», sagt Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn
der Deutschen Presse-Agentur. «Die spezifischen Bedürfnisse der
Grenzregionen wurden so zu einer Art Kollateralschaden.» Dass
Deutschland am 16. März die Grenzen zu Österreich, Frankreich,
Luxemburg, Dänemark und der Schweiz wochenlang für alle Reisenden
«ohne triftigen» Grund dichtmachte, hat Luxemburg besonders getroffen
- und verärgert.
Denn jeden Tag pendeln gut 200 000 Beschäftigte aus Belgien,
Deutschland und Frankreich in das gut 600 000 Einwohner zählende
Luxemburg morgens hinein und abends wieder hinaus. Zwei Drittel aller
in Luxemburg arbeitenden Pflegekräfte beispielsweise kommen aus dem
Ausland, davon die Hälfte aus Frankreich. Bei Dienstleistungen und
Handwerk sieht es ähnlich aus. Das wohlhabende Luxemburg sorgt mit
attraktiven Löhnen weit über seine Grenzen hinaus für Wohlstand - ist
aber auch auf die «Frontaliers», die Grenzgänger, angewiesen: «Das
Vertrauen in offene Grenzen wurde tief erschüttert», sagt Asselborn.
Auch andere Länder schotteten sich ab: Spanien schloss die Grenze zu
Frankreich, Norwegen kontrollierte die Grenze zu Schweden und auch
die Grenzen Italiens waren zeitweise dicht. Im Dreieck zwischen
Frankreich, Deutschland und Luxemburg sorgte vor allem der Umstand,
dass Berlin die Grenzkontrollen ohne Absprache mit den Nachbarn
einführte, für Verstimmung. Pendler brauchten plötzlich
Bescheinigungen der Arbeitgeber für den Weg zur Arbeit. Und die
Sperrung kleiner Übergänge zwischen dem Saarland und Lothringen
sorgte dafür, dass Pendler riesige Umwege fahren mussten.
«Die Coronavirus-Krise ist ein Crashtest für die deutsch-französische
Freundschaft», hatte der französische Abgeordnete Christophe Arend
aus dem bei Saarbrücken gelegenen französischen Ort Forbach gesagt.
Grenzpendler hätten auch über «Anfeindungen» geklagt. Die Kontrolle
n
an der Grenze hätten vereinzelt zu «beschämenden Auswüchsen in der
Grenzregion» geführt, hatte die stellvertretende saarländische
Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) im April gesagt. Unter
Hinweis auf Berichte, wonach Franzosen im Saarland beschimpft und
deren Autos mit Eiern beworfen seien, sagte sie: «Ich entschuldige
mich für diese Einzelfälle.»
«Die Grenzschließungen in diesem Jahr haben bewirkt, dass die Grenze
sich wieder in den Köpfen der Menschen, den Mentalitäten, etabliert
hat», sagt Asselborn. Allerdings stimme es ihn «optimistisch», dass
in der zweiten Covid-19-Phase im Winter niemand mehr Grenzen
schließen wollte. «Grenzschließungen sind im Fall einer Pandemie
keine Lösung.» In den Hauptstädten wisse man oft nicht, wie eng die
Grenzregionen miteinander verwoben seien: Künftig müsse «in allen
europäischen Entscheidungsprozessen den besonderen Realitäten der
Grenzregionen spezifisch und systematisch Rechnung getragen werden.»
«Eine Pandemie bekämpft man eben nicht mit nationalen Maßnahmen»,
sagte auch der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU). Das
war Anfang Mai, als bereits einiges politisches Porzellan an der
Grenzlinie zerbrochen war. Er hoffe, dass das bei der nächsten
Pandemie, die sicherlich komme, besser gehandhabt werde.
Und auch Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD), der am 16. Mai zur
Aufhebung der Kontrollen eigens nach Schengen reiste, hatte kurz
zuvor in Paris eingeräumt: «Ich glaube, wir haben im Frühjahr alle
schlechte Erfahrungen gemacht mit der zu schnellen Schließung von
Grenzen.»
Und es gibt Hoffnung, meint Asselborn, dienstältester
EU-Außenminister (seit 2004). Mittlerweile habe sich die Kooperation
in der Großregion «bedeutend verbessert», es habe auch viel
europäische Solidarität gegeben: «Ich hoffe, dass Europa im Jahr 2021
und darüber hinaus gestärkt aus dieser Krise hervorkommt.»
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