Retten die Schnelltests unseren Winter? Von Sandra Trauner, dpa

Zwei Hoffnungsschimmer zeichnen sich am Pandemie-Horizont ab: Neben
Impfstoffen auch Antigen-Tests. Sind diese Schnelltests Hilfe oder
könnten sie Menschen in falscher Sicherheit wiegen?

Frankfurt/Main (dpa) - Jeden Morgen beim Zähneputzen noch fix zu
Hause einen Corona-Test machen - das wird so schnell nicht möglich
sein. Die neuen Schnelltests sind trotzdem ein Fortschritt. Sie haben
Schwächen, aber auch Vorteile. Unternehmen und Veranstalter setzen
große Hoffnungen in sie. Die Behörden bemühen sich um Regulierung.
Auch Wissenschaftler sehen großes Potenzial - aber auch Grenzen.

Wie funktionieren Antigen-Tests?

Antigen-Tests suchen in Abstrich-Proben nicht aufwendig nach dem
Erbgut des Virus, sondern nach Molekülen, die charakteristisch für
die Viren sind. Ähnlich wie bei einem Schwangerschaftstest wird das
Ergebnis auf einem Teststreifen angezeigt. Nicht verwechseln darf man
Antigen-Tests mit Antikörper-Tests. Letztere weisen nach, dass
jemand eine Infektion überstanden und Antikörper gebildet hat.

Was sind die Vorteile und Nachteile?

Antigen-Tests reagieren weniger empfindlich als die bisher üblichen
PCR-Tests, liefern aber schneller ein Ergebnis - in der Regel nach 15
bis 30 Minuten. Sie erkennen eine Infektion nicht so gut im
Anfangsstadium und im späteren Verlauf. In der Phase, in der ein
Patient besonders ansteckend ist, können die Schnelltests das Virus
aber recht sicher erkennen. Wenn der Test positiv ausfällt, ist die
Testperson mit ziemlicher Sicherheit infiziert. Ein negatives
Ergebnis aber schließt eine Infektion nicht aus - besonders, wenn
eine niedrige Viruslast vorliegt.

Welche Tests gibt es?

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
listet alle Antigen-Tests auf, die laut Herstellerangaben bestimmte
Mindestkriterien erfüllen. Bis zum Wochenende waren dort bereits mehr
als 200 Produkte erfasst. In den letzten Wochen sei die Zahl der
Anbieter «explodiert», berichtet die Deutsche Stiftung
Patientenschutz. «Die Qualität der Tests zeigt deutliche
Unterschiede» sagt der Virologe Hans-Georg Kräusslich vom
Universitätsklinikum Heidelberg.

Gibt es Studien zur Wirksamkeit?

Ein Forscherteam der Berliner Charité hat sieben Anbieter getestet.
Dabei ging es vor allem um zwei Größen: Die Sensitivität gibt an, wie

zuverlässig der Test Erkrankte als solche erkennt. Die Spezifität
zeigt, ob der Test Nicht-Infizierte tatsächlich als gesund erkennt.
Die Spezifität der untersuchten Tests lag zwischen 88,24 Prozent und
100 Prozent. Die Sensitivität «überlappt mit den
Virenkonzentrationen», heißt es in der Studie. Das heißt: Je
infektiöser der Patient ist, desto besser kann der Test das erkennen.

Wie bewerten Virologen die Antigen-Tests?

Antigen-Tests eröffneten «neue Handlungsoptionen in der Pandemie»,
schreiben die Autoren der Studie. Sie könnten zum Beispiel dabei
helfen, zu entscheiden, wann eine Quarantäne aufgehoben werden kann.
Die Autoren gehen zudem davon aus, dass sich die Qualität der
Antigen-Tests in Zukunft weiter verbessern wird.

Am Eingangstor von Seniorenwohnheimen könnten sie «unglaublich viel
Gutes» leisten, sagte der Berliner Virologe Christian Drosten im
NDR-Podcast «Das Coronavirus-Update». Voraussetzung sei jedoch ein
Test, der die Infektion zuverlässig anzeige. Auch die Frankfurter
Virologin Sandra Ciesek plädierte dort für einen breiten Einsatz. Die
derzeit verfügbaren Tests würden zwar auf absehbare Zeit nicht für
alle Menschen ausreichen. Man könne damit aber «mehr Bereiche, die
uns wichtig sind, absichern», zum Beispiel Altenheime oder Schulen.

«Antigen-Tests sind eine sinnvolle Unterstützung, sie können aber die

PCR-Tests nicht ersetzen», sagt Martin Stürmer, Laborleiter im
Medizinischen Versorgungszentrum in Frankfurt.

Welche Rolle spielen Antigen-Tests derzeit?

Im Oktober wurde die Nationale Teststrategie um Antigen-Tests
erweitert. Einer Verordnung zufolge, die seit Mitte Oktober gilt,
sollen Schnelltests vor allem in Kliniken und Pflegeheimen zum
Einsatz kommen, etwa für Bewohner, Personal und Besucher. Ziel ist
es, vor allem asymptomatische Menschen mit einer Sars-CoV-2-Infektion
aufzuspüren. Die Einrichtungen müssen dazu ein Test-Konzept
erstellen. Dann legt das Gesundheitsamt fest, wie viele Tests gekauft
und auf Kassenkosten finanziert werden können. In Pflegeheimen sind
bis zu 20 Tests pro Monat pro Bewohner möglich.

Wie sieht es in anderen Ländern aus?

In manchen Ländern werden mit Antigen-Schnelltests bereits
Massenuntersuchungen der Bevölkerung organisiert. Den Anfang machte
die Slowakei, wo fast alle Bürger über zehn Jahre getestet wurden.
Danach durften Kirchen, Kinos, Theater, Fitnesszentren und
Schwimmbäder - mit beschränkten Besucherzahlen - wieder öffnen. Die
Regierung plant weitere dieser Testaktionen. In Südtirol lief am
vergangenen Wochenende ein Massentest mit Antigen-Schnelltests. Rund
zwei Drittel der Bürger konnten kostenlos und freiwillig daran
teilnehmen. Spanien plant Ähnliches in der Region um Madrid mit 6,6
Millionen Einwohnern.

Wer prüft, ob die Tests halten, was sie versprechen?

Patientenschützer verlangen geprüfte Angaben zur Zuverlässigkeit von

Corona-Schnelltests. Bisher verlasse man sich dabei allein auf die
Angaben des jeweiligen Herstellers, kritisiert der Vorstand der
Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Unabhängige Labore
müssten die Qualität evaluieren. Auch die EU-Staaten wollen
gemeinsame Standards für solche Tests. Die Kommission kündigte an,
die verschiedenen Tests auf dem Markt zu bewerten.

Gibt es Tests für zu Hause?

Heimtests für Laien zu entwickeln oder zu verkaufen ist in
Deutschland nicht erlaubt - anders als in den USA. Die
US-Arzneimittelbehörde FDA hat einen Corona-Test für den Hausgebrauch

zugelassen. Ein Arzt muss ihn allerdings verschreiben. Virologe
Stürmer sieht das kritisch: Ein schlechter Abstrich führe zu
schlechten Ergebnissen, auch beim Ablesen könnten Fehler entstehen.
Die Gefahr sei: «Man wiegt sich eventuell in falscher Sicherheit oder
man macht Panik.»

In Hessen soll die Studie «Safe School» die Anwendung der Tests durch
Laien erforschen. Rund 1000 Lehrer sollen jeden zweiten Tag selbst
Abstriche bei sich vornehmen und diese mittels Schnelltest
untersuchen. Auch die italienische Provinz Venetien erprobt
Heimtests. Die Studie soll rund einen Monat laufen. Parallel sollen
Abstriche vorgenommen werden, die im Labor untersucht werden, um die
Treffsicherheit zu überprüfen.

Was sagen die Kliniken?

«Antigen-Tests helfen uns sehr viel», sagt der Direktor der
Hessischen Krankenhausgesellschaft, Steffen Gramminger. «Sie sind ein
zusätzlicher und ein wichtiger Puzzlestein im Kampf gegen das Virus.»
Der Vorteil sei vor allem die Geschwindigkeit: Man kann Besucher und
ambulante Patienten vor Betreten der Klinik testen, um zu verhindern,
dass sie in Haus jemanden infizieren. Auch für Tests beim
Klinikpersonal seien sie hilfreich. «Und sie entlasten unsere
Labore».

Was sagen die Heime?

Hier gibt es auch kritische Stimmen. Der Geschäftsführer der
Senioreneinrichtungen des Landkreises Würzburg, Alexander Schraml,
sieht Schnelltests in Pflegeheimen «mit äußerst gemischten Gefühlen
».
Die Tests seien noch zu unzuverlässig. Er befürchtete, dass ein
negatives Testergebnis Besucher «in falscher Sicherheit wiegt und
dann Umsicht und Vorsicht verloren gehen.» Außerdem sei der Aufwand
für die Tests hoch, man brauche dafür geschultes Personal «und unser

Fachpersonal brauchen wir eigentlich für unsere Bewohner».

Sind Schnelltest eine Chance für die Wirtschaft?

Die Lufthansa hat 250 000 Schnelltests gekauft. «Erfolgreiches Testen
ganzer Flüge kann der Schlüssel zum Wiederbeleben des internationalen
Flugverkehrs werden», sagt Vorstandsmitglied Christina Foerster.
Erste Probeläufe laufen, dabei werden sämtliche Passagiere vor
Flugantritt getestet. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen
Luftverkehrswirtschaft (BDL), Peter Gerber, fordert mehr Tempo bei
der Einführung von Corona-Schnelltests für Flugreisende. Auch erste
Hotels bieten inzwischen Schnelltests an.

Sind Antigen-Tests eine Option für die Kultur?

Derzeit eher nicht, glaubt Virologe Stürmer. Ein Antigen-Test weise
nur nach, ob jemand gerade infektiös sei oder nicht. Falle er negativ
aus, so sei der Mensch «grob geschätzt mindestens 2 bis 6 Stunden
nicht ansteckend», sagt er. In bestimmten Situationen könne ein Test
das Leben etwas einfacher machen. Das gelte für Besuche in
Altenheimen oder Kliniken, für Konzerte aber eher nicht. Dort
benötige man sehr viel medizinisches Personal in kurzer Zeit, das
Abstriche nehmen und Tests auswerten müsse.