«Kino hat keine richtige Lobby» - Betreiber fürchtet um Existenz Von Christina Sticht, dpa

Die mehr als 700 Kinos in Deutschland locken jährlich rund 120
Millionen Besucher an. Doch in der Corona-Pandemie müssen die
Leinwände monatelang dunkel bleiben. Kino-Pionier Hans-Joachim Flebbe
sieht seine Branche als Bauernopfer.

Hannover (dpa) - Hans-Joachim Flebbe, Gründer der Cinemaxx-Kette und
inzwischen Betreiber von Premium-Kinos, sieht die Kinounternehmer vom
Staat allein gelassen. Je länger der Lockdown dauere, desto größer
werde zudem die Gefahr, dass Produzenten Filme nur noch in
Streamingdiensten veröffentlichen, sagte der 69-Jährige im Interview
der Deutschen Presse-Agentur.

Frage: Ihre zehn Kinos waren monatelang geschlossen, dann durften sie
unter Auflagen öffnen. Seit Anfang November bleiben gezwungenermaßen
wieder alle Leinwände dunkel. Können Sie noch ruhig schlafen?

Antwort: In der Summe haben meine Kinos bisher rund acht Millionen
Euro Verlust gemacht. Mir helfen das Kurzarbeitergeld und
KfW-Kredite, die ich irgendwann zurückzahlen muss. Mir bereitet
schlaflose Nächte, dass ich vom Staat aus dem «Wumms-Paket» bisher
nur rund 48 000 Euro bekommen habe. Die unzureichenden Hilfen machen
den Mittelstand wütend, auch in anderen Branchen. Wir Kino-Betreiber
haben vor der Krise profitabel gearbeitet. Wir erwarten, dass der
Staat unsere unschuldig erlittenen Verluste zumindest teilweise
entschädigt.

Frage: Wird die Corona-Pandemie die vielfältige Kino-Landschaft in
Deutschland zerstören?

Antwort: Es wird sicherlich nicht wieder so werden, wie es vor der
Pandemie war. Es werden nicht alle überleben. Eine entscheidende
Frage ist: Dürfen wir am 15. Dezember wieder spielen? November und
Dezember sind die besucherstärksten Monate. Langfristig nehmen wir
Schaden, weil die Menschen sich an Netflix und Amazon gewöhnen und
Abos abschließen. Filmproduzenten veröffentlichen im Streamingdienst,
«Mulan» und «Soul» sind dafür Beispiele. Je länger die Lockdown
-Phase
dauert, desto mehr steht unser Geschäftsmodell unter Druck.

Frage: Schauen Sie jetzt notgedrungen auch Netflix?

Antwort: Ich habe bewusst keinen Streamingdienst abonniert, ich kaufe
auch nicht im Internet ein. Meine Familie ist bei Netflix und Amazon
aktiv, obwohl ich darüber schimpfe.

Frage: Ihre Karriere begann als Kartenabreißer im Apollo in Hannover,
seit Jahrzehnten betreiben Sie Filmtheater. Was machen Sie gegen den
Kino-Entzug?

Antwort: Selbst meine Kinder sagen, sie vermissen die große Leinwand.
Ich habe schon im ersten Lockdown ab und zu das Kino in Hamburg nur
für meine Familie aufgemacht, als geheime Privatvorstellung. Wir
haben zum Beispiel «The Greatest Showman» und «Bohemian Rhapsody»
gesehen, lieber hätte ich mir den neuen «James Bond» angeguckt.

Frage: Der neue «James Bond» sollte im Frühjahr in die Kinos kommen,

wurde dann auf November und nun abermals auf April 2021 verschoben.
Können Ihre Kinos noch so lange durchhalten?

Antwort: Uns hat bisher auch geholfen, dass fast alle Vermieter
bereit waren, die Miete in den Lockdown-Monaten zu halbieren. Die
Frage wird sein, ob die Filmverleiher uns weiterhin Filme zur
Verfügung stellen. Ich hoffe, dass die «James Bond»-Produzenten stark

genug bleiben und den Avancen von Netflix & Co. standhalten.

Frage: Der Profi-Fußball läuft, große Einkaufszentren sind geöffnet
.
Warum hat die Politik den Kulturbetrieb stillgelegt?

Antwort: Wir sind nicht systemrelevant. Das Kino hat keine richtige
Lobby. Die Politiker haben sich nicht getraut, so kurz vor
Weihnachten den Einzelhandel zu schließen. Ich hätte einen kompletten
Lockdown wie in Österreich sinnvoller und effektiver gefunden. Aus
meiner Sicht sind Kino, Oper, Theater und Museen ein Bauernopfer. Da
hat man draufgehauen, um zu zeigen, dass man was tut, und es hat am
Ende nicht den Rückgang gebracht, den man erreichen wollte. Das
erstaunt mich überhaupt nicht. Im Gegensatz zum Restaurant ist man im
Kino fokussiert auf die Leinwand, guckt nach vorn und redet nicht mit
seinem Nachbarn. Das Kino ist sicherer als die U-Bahn oder die
Gastronomie.

Zur Person: Hans-Joachim Flebbe (69) ist Gründer der Kinokette
Cinemaxx, aus der er 2008 im Streit ausschied. Seitdem konzentriert
er sich auf Filmtheater mit bequemen Sitzen und Service am Platz.
Standorte sind Berlin, Köln, München, Frankfurt am Main, Hamburg,
Hannover und Braunschweig. Flebbe stammt aus Hannover, lebt aber seit
25 Jahren mit seiner Familie in Hamburg.