Notfallsanitäter startet Petition für besseren Tarifabschluss Interview: Lennart Stock, dpa
Die Beschäftigten im kommunalen Rettungsdienst sind nach Ansicht des
Auricher Notfallsanitäters Timo Niebuhr bei den aktuellen
Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst nahezu vergessen worden.
Mit einer Petition will er nun Druck auf die Arbeitgeber ausüben.
Aurich (dpa/lni) - Die Beschäftigten der kommunalen Rettungsdienste
sind nach Ansicht des Notfallsanitäters Timo Niebuhr bei dem
Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst nicht ausreichend
berücksichtigt worden. Dabei sei die Arbeitsbelastung in den
vergangenen Jahren gestiegen, sagt Niebuhr im Interview der Deutschen
Presse-Agentur. Zusammen mit anderen Beschäftigten hat der Auricher
nun eine Petition gestartet, um eine Nachverhandlung zu erreichen.
Sie fordern von der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA)
eine Reduzierung der Arbeitszeit oder aber mindestens eine Erhöhung
der Wechselschichtzulagen. Der VKA betont dagegen, dass die
Beschäftigten im Rettungsdienst auch von der allgemeinen
Entgelterhöhung und Corona-Sonderzahlungen profitieren. Eine
Nachverhandlung schließt die Vereinigung aus.
Frage: Von dem Tarifabschluss im öffentlichen Dienst profitieren
viele Beschäftigte im Gesundheitswesen. Warum tut das der
Rettungsdienst aus Ihrer Sicht nicht?
Antwort: Wir sind mit nur einer Forderung in die Tarifverhandlungen
gegangen, nämlich der Reduzierung der Arbeitszeit von 48 auf 45
Stunden. Das haben die Arbeitgeber vehement abgelehnt und auch kein
akzeptables Gegenangebot gemacht. Es gab sogar die Forderung, im
Rettungsdienst flächendeckend wieder in 24-Stunden-Schichten zu
arbeiten. Das steht völlig im Gegensatz zu dem, was wir wollen.
Frage: Sie schreiben in Ihrer Petition, Sie arbeiten insgesamt über
400 Stunden pro Jahr ohne Bezahlung. Wie kommen Sie auf diese Zahl?
Antwort: Der Tarifvertrag sieht eine Wochenarbeitszeit von 39 Stunden
vor. Für den Rettungsdienst gilt aber eine Ausnahmeregelung. Da
beträgt sie 48 Stunden. Unterm Strich bekommen wir 30 Stunden als
Vollarbeitszeit vergütet, 18 weitere kommen als Bereitschaftszeit,
also das Warten auf der Wache, oben drauf. Als der Vertrag einst so
aufgesetzt wurde, war das sicher richtig. Heute ist die
Arbeitsbelastung aber gestiegen und viel Arbeit wird auch in der
Bereitschaftszeit geleistet. Diese Zeit wird aber nur zur Hälfte
vergütet, die übrigen neun Stunden leisten wir unbezahlte Arbeit -
das sind mehr als 400 Stunden pro Jahr. Der VKA geht davon aus, dass
wir zu einem großen Teil unserer Arbeitszeit auf der Rettungswache
sitzen, auf Einsätze warten und nichts tun. Das ist nicht so.
Frage: Wie genau ist denn die Arbeitsbelastung gestiegen?
Antwort: Das lässt sich pauschal nicht sagen. Der kommunale
Rettungsdienst hat Wachen in Städten und auf dem Land. Im ländlichen
Bereich ist die Auslastung natürlich geringer als im städtischen
Bereich. Auf dem Land gibt es Kollegen, die sagen, vier bis fünf
Einsätze in 24 Stunden sind gut zu schaffen. Ich arbeite auf einer
Wache, die städtisch gelegen ist. Wir haben 12-Stunden-Dienste. In
diesen Schichten kann es durchaus sein, dass man 9 Stunden oder mehr
mit dem Rettungswagen unterwegs ist oder auf der Wache arbeitet.
Frage: Was hat sich denn in den vergangenen Jahren verändert - warum
ist die Arbeitsbelastung zuletzt gestiegen?
Antwort: Früher war es oft so, wenn der Melder ansprang, sind wir zu
einem Notfall gefahren. Da hatte der Patient akute Atemnot oder eine
schwere Verletzung. Inzwischen ist die Hemmschwelle, den Notruf zu
wählen, arg gesunken. Wir werden häufig zu Fällen alarmiert, mit
denen die Patienten eigentlich zum Hausarzt gehen müssten - oder aber
die Patienten haben kein Auto, wollen lange Wartezeiten vermeiden und
rufen deshalb eher uns. Dazu kommt: Jetzt in der Corona-Pandemie
haben wir einen deutlich erhöhten Hygieneaufwand.
Frage: Wäre eine Lösung nicht auch, dass die Kommunen mehr Personal
einstellen könnten?
Antwort: Wenn Stunden reduziert werden, braucht es mehr Personal. Wir
verstehen auch nicht, dass sich die VKA dagegen wehrt, denn das
Personal im Rettungsdienst ist refinanziert durch die Kostenträger,
nämlich die Krankenkassen. Eine Reduzierung der Arbeitszeit würde die
Kommunen also nichts kosten. Dass das möglich ist, zeigen die
Hilfsorganisationen. Beispielsweise sind 45 Stunden Arbeitszeit im
Tarifvertrag des Deutschen Roten Kreuzes bereits verankert.
Frage: Die Petition hat bislang 38 000 Unterzeichner. Sie ist für den
VKA aber nicht bindend - welche Hoffnung verbinden Sie dennoch damit?
Antwort: Wir wollen VKA-Präsident Mädge zeigen, dass er mit seiner
Meinung, im Rettungsdienst könne man 48 Stunden pro Woche arbeiten,
recht alleine dasteht. Die Hilfsorganisationen haben die Arbeitszeit
teilweise auf 40 Stunden reduziert, und über 38 000 Menschen haben in
kürzester Zeit ebenfalls gezeigt, dass sie die Haltung der VKA nicht
nachvollziehen können. Durch die zunehmende mediale und öffentliche
Aufmerksamkeit hoffen wir, dass Herr Mädge seine Entscheidung, uns im
Regen stehen zu lassen, revidiert.
ZUR PERSON: Timo Niebuhr (37) arbeitet seit 17 Jahren als
Rettungsassistent und Notfallsanitäter. Er lebt mit seiner Frau und
zwei Söhnen im ostfriesischen Aurich.
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