Angst vor Einsamkeit - Corona verändert den Umgang mit Sterbenden Von Anika von Greve-Dierfeld, dpa
Corona hat so vieles verändert: Beruf, Freizeit, Mobilität, Lernen,
Studieren - ganze Lebenswelten wurden auf den Kopf gestellt. Und die
Welt des Sterbens auch. Mit steigenden Infektionszahlen wächst wieder
die Angst vor dem Tod in Einsamkeit.
Karlsruhe (dpa) - Das erschüttert Martina W. noch heute. Fast ein
Jahr hatte die 51 Jahre alte Sterbebegleiterin eine bettlägerige und
alleinstehende alte Dame in einem Pflegeheim in Esslingen in
Baden-Württemberg betreut - und hätte sie gerne bis in den Tod
begleitet. Doch im März kam Corona - und mit der Pandemie ein quasi
flächendeckendes Besuchsverbot in Pflegeheimen. Über Monate durfte W.
nicht zu der fast 100-Jährigen. Die alte Frau starb alleine - an dem
Julimorgen, als W. das erste Mal wieder zu ihr gedurft hätte. Das
Versprechen, dass sie sie nicht im Stich lassen würde, konnte die
Sterbebegleiterin nicht halten.
Eine Zeit wurden die Corona-Beschränkungen gelockert. Doch dann
stiegen die Infektionszahlen drastisch an und seit dem 2. November
gilt ein Teil-Lockdown. Corona-Ausbrüche in Altenheimen wie etwa in
Marxzell bei Karlsruhe oder im niedersächsischen Bad Essen sorgen für
Ängste bei den Betroffenen. Bund und Länder haben betont, dass die
neuen Regelungen nicht zu einer «vollständigen sozialen Isolation»
der Betroffenen führen dürfen.
Die Menschen seien verunsichert, sagt der Geschäftsführer des
Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verbandes, Benno Bolze. Aus Angst vor
Besuchsverboten stellten sich manche die Frage, ob es nicht besser
sei, gleich zu Hause zu bleiben. Beruhigende Nachrichten gibt es zwar
auch. «Einrichtungen haben mittlerweile alle ein Schutz- und
Hygienekonzept und auch Schutzkleidung ist mittlerweile vorhanden»,
sagt Bolze. Doch schon die erste Coronawelle, anfangs oft ohne oder
nur mit sehr eingeschränkten Möglichkeiten von Besuch und Betreuung
Sterbender, hat Spuren bei den Angehörigen hinterlassen.
«Eigentlich sind Hospize große Gemeinschaftseinrichtungen», sagt zum
Beispiel Susanne Kränzle vom Hospiz- und PalliativVerband
Baden-Württemberg. Aber gemeinsam Kaffeetrinken, gemeinsam essen -
all das sei nicht mehr in der Form möglich wie vor Corona.
Petra Baader, Leiterin des ambulanten Bereichs am Hospiz Ettlingen,
berichtet von starker Nachfrage nach Angeboten zur Trauerarbeit für
Angehörige, die um die Begleitung ihrer Liebsten gebracht wurden. «Da
versuchen wir aufzuarbeiten, was Corona angerichtet hat.»
Es stehen auch nicht mehr so viele ehrenamtliche Begleiter zur
Verfügung wie vor der Pandemie. «Da viele der Ehrenamtlichen selbst
einer Risikogruppe angehören, wird sich hier die Zahl der
Sterbebegleitungen radikal reduziert haben», vermutet auch der
Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. «Jetzt
rächt sich auch, dass der Gesetzgeber darauf gesetzt hat, viele
Lücken in der Versorgung Sterbender durch Ehrenamtliche zu
schließen.»
Verändert hat sich auch die Begleitung selbst. Nur mit Masken sollen
die Begleiter zu den Menschen. Am Bett soll Abstand gehalten werden,
Berührungen sind nicht mehr so unbefangen möglich, wie es vor Corona
der Fall war. Sabrina Kehl, die in einer Karlsruher Einrichtung für
junge Pflegebedürftige eine 44 Jahre alte schwerkranke Frau betreut,
findet eigene Wege. «Wenn ich gehe, streichele ich ihr über die
Schulter», sagt sie. Und auf dem Balkon habe sie die Maske auch mal
abgenommen, damit die 44-Jährige ihr Gesicht sehen konnte.
Aber insgesamt sei die Atmosphäre schon eine andere als vor der
Pandemie, erzählt Kehl. Und die Frau, die sie derzeit begleitet, habe
durchaus Angst vor einer möglichen coronabedingten Schließung des
Heimes. «Dann bliebe wieder nur noch das Telefon.»
Was Baader besonders beunruhigt, ist, dass seit zwei Wochen kaum noch
Anfragen von Pflegeheimen zur Begleitung Sterbender kämen. Die
Senioreneinrichtungen hätten angesichts steigender Infektionszahlen
alles wieder heruntergefahren - aus Angst, jemand von außen könnte
das Coronavirus in die Heime bringen, vermutet Baader. «Der Schutz
der Menschen steht wieder über der Würde der Menschen», sagt sie.
«Das treibt mir wirklich die Tränen in die Augen.»
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