Vier lange und schwere Monate Von Ulrich Steinkohl, dpa

Wochenlang hat die Opposition mehr Mitsprache bei den Entscheidungen
über Corona-Maßnahmen verlangt. Am Donnerstag bekommt sie diese im
Bundestag. Doch nur Mitreden reicht vielen Abgeordneten nicht. Die
Kanzlerin zeichnet ein düsteres Szenario für den Winter.

Berlin (dpa) - Es geht nicht einmal zwei Minuten lang gut. Angela
Merkel hat gerade die ersten Sätze ihrer Regierungserklärung zur Lage
Deutschlands im Corona-Herbst 2020 vorgetragen. Einschließlich der
bedeutungsschweren Aussage «Wir befinden uns zum Beginn der kalten
Jahreszeit in einer dramatischen Lage». Und deshalb hätten die
Regierungschefs von Bund und Ländern am Vortag weitere Maßnahmen
beschlossen. Da bricht es in den Reihen der AfD-Fraktion los: «Gar
nichts haben Sie zu beschließen», «Grundgesetz» und «Wir sind das

Parlament» schallt es der Kanzlerin entgegen. Bundestagspräsident
Wolfgang Schäuble (CDU) greift zur Glocke, um für Ruhe zu sorgen.

In diesem Moment ist klar: Es wird ein anstrengender Vormittag für
die Parlamentsstenografen, die jedes Wort, jeden Zwischenruf, jede
Unmutsäußerung festhalten müssen. Seit Wochen fordert die Opposition

vehement eine stärkere Parlamentsbeteiligung bei den einschneidenden
Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie ein. Die FDP hat
wiederholt - und vergeblich - eine Regierungserklärung Merkels
beantragt. Nun steht die Kanzlerin am Rednerpult. Und der Bundestag
erlebt eine hoch emotionalisierte Debatte.

Diese dreht sich im Kern um drei Fragen: Wie ernst ist die Lage?
Welche Gegenmaßnahmen sind erforderlich? Wer entscheidet darüber?

Merkel nutzt ihre Rede, um die Bürger auf harte Zeiten einzuschwören
- und darauf, weiter solidarisch zu handeln. «Der Winter wird schwer.
Vier lange schwere Monate», sagt sie. Und: «Miteinander und
füreinander, nur so kommen wir durch diese historische Krise.» Jeder
Einzelne könne aktiv zu ihrer Bewältigung beitragen, lautet Merkels
Botschaft. «Aktiv dazu beitragen, das heißt in diesem Fall:
Verzichten - auf jeden nicht zwingend erforderlichen Kontakt.»

Merkel weiß um die «ungeheuere Belastung» für viele Bürger und di
e
Wirtschaft durch diese Maßnahmen. «Sie treffen uns im Kern unseres
menschlichen Miteinanders.» Das Wort «alternativlos» nimmt sie nicht

in den Mund, doch sie meint es im Grunde, wenn sie betont: «Die
Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen, sind geeignet, erforderlich und
verhältnismäßig.» Dass sie den Satz gleich zweimal sagt, spricht f
ür
sich. Und die Kanzlerin warnt: «Wir dürfen uns nichts schön reden.
Beschwichtigendes Wunschdenken oder populistische Verharmlosung wäre
nicht nur unrealistisch, es wäre unverantwortlich.»

Mit ihrer Warnung vor «populistischer Verharmlosung» dürfte sich die

Kanzlerin bestätigt fühlen, als nach ihr Alexander Gauland loslegt.
Der AfD-Fraktionsvorsitzende vergleicht die Corona-Pandemie mit dem
Straßenverkehr, wo es auch immer wieder Unfälle mit Toten gebe - und
trotzdem verbiete ihn niemand. Vielmehr habe man die Zahl der Toten
durch Alkoholverbote, Geschwindigkeitslimits und andere Maßnahmen
reduziert. «Das müssen wir nun auf die Corona-Krise übertragen.»

Augenscheinlich steckten sich vor allem aktive und jüngere Menschen
an, die eine Infektion gut verkraften könnten oder sie gar nicht
bemerkten. «Diese Zeitgenossen brauchen keinen Schutz. Und es muss
ihnen nichts verboten werden.» Man müsse vielmehr Risikogruppen
schützen. Gauland wettert über das «Infektionszahlen-Bombardement»,

das «eine Art Kriegspropaganda» sei. «Wozu ja auch passt, dass wir
neuerdings von einer Art Kriegskabinett, dem Corona-Kabinett, regiert
werden.» Gaulands Forderung: «Hier in diesem Hause soll über
Maßnahmen gegen die Pandemie entschieden werden und nirgendwo sonst.»

Der Satz fällt später in ähnlicher Form noch öfter. FDP-Fraktionsch
ef
Christian Lindner moniert, dass der Bundestag Beschlüsse von
Regierungsspitzen nur nachträglich zur Kenntnis nehmen könne. «Solche

Entscheidungsprozesse gefährden nicht nur die Akzeptanz der
Corona-Maßnahmen, sie enthalten auch erhebliche rechtliche Risiken
und drohen unsere parlamentarische Demokratie zu deformieren.»
Lindner vermisst eine langfristige Strategie der Regierung. «Was
passiert, wenn nach den Weihnachtsferien die Fallzahlen erneut
steigen? Droht dann im Januar mit der dritten Welle auch der dritte
Lockdown?» Das dürfe nicht sein.

Der Bundestag sei sehr wohl in der Lage, über Corona-Maßnahmen zu
entscheiden, betont die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin
Göring-Eckardt. «Die Beschlüsse gehören hierher.»

Schließlich sieht sich Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus genötigt,
die Abgeordneten auf die Gewaltenteilung und die zwischen Bund und
Ländern austarierten Zuständigkeiten hinzuweisen. Eine «kleine
Nachhilfe in Verfassungskunde» nennt das der CDU-Politiker. «Es ist
nicht die Aufgabe des Deutschen Bundestags, darüber zu entscheiden,
wie groß die Quadratmeterzahl von Möbelhäusern ist, die offen
gehalten werden können.» Dies falle vielmehr in die Zuständigkeit der

Exekutive.

Allerdings: Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich sieht
Handlungsbedarf, schlägt «konkrete rechtliche Leitplanken für die
Exekutive» vor. So solle die Generalklausel im Infektionsschutzgesetz
für Entscheidungen auf dem Verordnungsweg präzisiert werden. Auch
müsse es einen Genehmigungsvorbehalt des Bundestags und regelmäßige
Berichtspflichten des Gesundheitsministers geben.

Nach gut zwei Stunden Debatte sorgt die letzte Rednerin für einen
Eklat. Mit der Maske in der Hand - und nicht wie vorgeschrieben im
Gesicht - geht die fraktionslose Frauke Petry ans Rednerpult. Und
obwohl Vizepräsidentin Petra Pau die einstige AfD-Bundesvorsitzende
auffordert, auf dem Rückweg zu ihrem Platz die Maske aufzusetzen,
verweigert sie dies. Ein Ordnungsruf ist die Folge - beim nächsten
Mal könnte es damit Geld kosten.

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