«Ein schwieriger Herbst» - Auch Schwedens Corona-Zahlen steigen Von Steffen Trumpf, dpa

Der schwedische Sonderweg in der Corona-Krise ist breit diskutiert
worden. Ein Resultat der Strategie waren in der ersten Jahreshälfte
vergleichsweise hohe Infektions- und Todeszahlen. Diesmal sieht es
besser aus. Aber auch im hohen Norden schrillen die Alarmglocken.

Stockholm (dpa) - Wer zuletzt einen Abstecher nach Stockholm gemacht
hat, der wird sich wie in einer anderen Welt vorgekommen sein: Die
Fahrt mit der vollen Tunnelbana, der U-Bahn der schwedischen
Hauptstadt, wirkt wie aus einer präcoronageschichtlichen Zeit -
Masken trägt so gut wie niemand, auf Anzeigen und Stickern wird
lediglich darauf hingewiesen, dass man Abstand zu seinen Mitreisenden
halten solle. Auch auf der Einkaufsmeile Drottninggatan erscheint das
Leben fast wie im Jahr 2019. Das zeigt: Schweden bleibt seinem
Sonderweg im Kampf gegen das Coronavirus auch im Herbst treu.

Doch an dem skandinavischen EU-Land mit der ausgiebig diskutierten
Corona-Strategie gehen wieder steigende Infektionszahlen ebenso nicht
vorbei wie an Deutschland und dem Rest Europas. Am Donnerstag kamen
in der Datenbank der Gesundheitsbehörde Folkhälsomyndigheten 3254
neue Infektionen und damit so viele wie noch nie seit Pandemiebeginn
innerhalb von 24 Stunden hinzu. Erst am Mittwoch war der Tageswert
erstmals über 2000 gestiegen, und schon in der vergangenen Woche war
die Zahl der registrierten neuen Corona-Fälle um 70 Prozent im
Vergleich zur Vorwoche in die Höhe geschossen.

«Das kann ja so aussehen, als hätten wir mehr Fälle als im Frühjahr
.
Aber das ist nicht wahr», betonte der Staatsepidemiologe Anders
Tegnell - für viele das Gesicht des Sonderwegs - am Donnerstag auf
einer seiner unzähligen Pressekonferenzen zur Corona-Lage. Die
Ausbreitung in der Bevölkerung sei damals um ein Vielfaches größer
gewesen, allerdings habe man damals nicht im Geringsten dieselben
Kapazitäten zum Testen gehabt wie heute. Dennoch bilanzierte Tegnell,
dass sich die Lage in Schweden zunehmend verschlechtere. Bereits am
Dienstag hatte er klargemacht: «Es ist ein schwieriger Herbst - und
es wird wohl noch schwieriger, bevor das hier vorbei ist.»

In Deutschland hat sich die Meinung festgesetzt, die Schweden könnten
trotz Pandemie weiterhin tun und lassen, was sie wollten. Das stimmt
so nicht. Auch in Schweden wurden Corona-Maßnahmen ergriffen, unter
anderem zum allgemeinen Abstandhalten angemahnt, Großveranstaltungen
und Versammlungen mit mehr als 50 Teilnehmern untersagt. Besuche in
Pflegeheimen waren bis Anfang Oktober monatelang verboten. Die
wissenschaftlich höchst umstrittene Herdenimmunität war nie erklärtes

Ziel der Gesundheitsbehörde, wie Tegnell mehrmals betont hatte.

Was stimmt: Die Corona-Maßnahmen fielen weitaus freizügiger aus als
in den meisten anderen Ländern. Geschäfte, Restaurants und Schulen
blieben durchweg offen, eine Empfehlung an Über-70-Jährige zur
Vermeidung von Kontakten wurde vor einer Woche gar zurückgenommen.
Insgesamt wurde nicht mit strikten Verboten auf die Eindämmung des
Coronavirus hingearbeitet, sondern mit Empfehlungen, Ratschlägen und
Appellen an die Vernunft der Bürger.

Die meisten Schweden folgten und folgen dem, viele von ihnen sind
beispielsweise wie von Behördenseite empfohlen längst ins Homeoffice
gewechselt. Aber nicht alle beherzigen die Aufrufe, wie zuletzt etwa
Aufnahmen von dichtem Gedränge in einer hippen Diskothek in Stockholm
zeigten. «Auf enge Partys zu gehen, die riskieren, die Ausbreitung
der Infektionen zu erhöhen: Ne, das ist nicht klug», sagte
Regierungschef Stefan Löfven dazu dem «Aftonbladet».

Der Sonderweg ist für die Schweden im Vergleich zu Deutschland und
dem Rest Skandinaviens mit hohen Infektions- und Todeszahlen
einhergegangen. Bis heute gab es mehr als 121 000 Infektionen und
über 5900 Tote in Verbindung mit Covid-Erkrankungen im Land - auf
100 000 Einwohner heruntergerechnet sind das doppelt so hohe
Infektions- und fast fünfmal so hohe Todeszahlen wie in Deutschland.
Besonders die hohe Zahl an Covid-Toten in den Pflegeheimen bedauerte
Tegnell. Die Corona-Zahlen gingen auf dem Weg in den Sommer zudem
erst einige Wochen später entscheidend zurück als anderswo.

Nun sieht es für die Schweden trotz der sich wieder zuspitzenden Lage
besser aus: Bei den Neuinfektionen der vergangenen 14 Tage pro
100 000 Einwohner liegt ihr Land etwas unter den Werten von
Deutschland und Dänemark. Europaweit können momentan nur wenige
Länder noch niedrigere Zahlen vorweisen, darunter die nordischen
Nachbarn Norwegen und Finnland.

Dennoch schrillen auch in Schweden die Alarmglocken: Besonders in der
Region um die Studentenstadt Uppsala nördlich von Stockholm sowie im
südschwedischen Skåne (Schonen) steigen die Infektionszahlen, aus
Stockholm selbst sowie den Regionen Västra Götaland um Göteborg und
Östergötland kommen ebenfalls beunruhigende Signale. «Insgesamt
betrachtet sind wir in einer ganz anderen Lage als die, die wir vor
nur einer Woche hatten. Und das ist eine ernste Lage», sagte Skånes
führende Infektionsschützerin Eva Melander am Dienstag.

Das hat nun Folgen: In Skåne werden die Menschen vorläufig bis zum
17. November dazu angehalten, Kontakt mit Personen aus anderen
Haushalten ebenso zu vermeiden wie den öffentlichen Nahverkehr und
soziale Veranstaltungen wie Fußballspiele und anderen Sport.
Ähnliches gilt bereits seit einer Woche in Uppsala, am Donnerstag
wurden die Maßnahmen auf die Stockholmer Hauptstadtregion, Västra
Götaland und Östergötland ausgeweitet. All das sind «allmänna r
åd»,
allgemeine Ratschläge - verboten wird in Schweden eben nur ungern.

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