Lauterbach: Im Kampf gegen das Coronavirus sind die Bürger gefragt

Corona bestimmt auch am Wochenende die Tagespolitik. Shutdowns
erscheinen wieder möglich, Merkels dramatischer Appell findet nicht
nur Unterstützer. Und: Was sagen die Bürger zum Corona-Management?

Berlin (dpa) - SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach zählt im Kampf
gegen das Coronavirus auf das Verhalten der Menschen - weniger auf
die Eindämmungsmaßnahmen. «Es wird darauf ankommen, wie sich die
Bevölkerung verhält. Das ist wichtiger als einzelne Maßnahmen. Viele

Auflagen lassen sich ohnehin schwer überprüfen», sagte der Mediziner

den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Online Sonntag, Print Montag).

Bei einer weiterhin so schnellen Ausbreitung des Coronavirus rechnet
Lauterbach mit lokalen Shutdowns in Deutschland. «Es ist ganz simpel.
Der R-Wert liegt bei etwa 1,3. Wenn wir den nicht runter bekommen,
steigen die täglichen Fallzahlen innerhalb kürzester Zeit so stark
an, dass die Kliniken und Gesundheitsämter überlaufen werden. Dann
kommen lokale Shutdowns.» Die auch R-Wert genannte Reproduktionszahl
gibt an, wie viele weitere Menschen ein Infizierter ansteckt. Laut
Lagebericht des Robert Koch-Instituts von Samstagabend lag der R-Wert
bei 1,4.

Am frühen Sonntagmorgen meldete das Robert Koch-Institut 5587
Corona-Neuinfektionen in Deutschland, eine Woche zuvor waren es 3483
neue Fälle. Am Samstag war mit 7830 zum dritten Mal in Folge einen
Höchstwert erreicht worden. An Sonntag und Montagen sind die
erfassten Fallzahlen meist niedriger, auch weil am Wochenende nicht
alle Gesundheitsämter Daten an das RKI übermitteln.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Menschen angesichts
sprunghaft gestiegener Corona-Infektionszahlen am Samstag
aufgefordert, soziale Kontakte zu beschränken und weniger zu reisen.
«Wir müssen jetzt alles tun, damit das Virus sich nicht
unkontrolliert ausbreitet. Dabei zählt jetzt jeder Tag», sagte die
CDU-Politikerin in ihrer wöchentlichen Videobotschaft.

Unterstützung für ihren Appell bekam die CDU-Politikerin von Bayerns
Ministerpräsidenten Markus Söder. Der CSU-Chef sagte «Bild am
Sonntag»: «Die Lage ist ernst. Wenn wir nicht rasch gegensteuern,
gerät Corona außer Kontrolle. Wer zögert, riskiert einen zweiten
Lockdown. Nie waren Umsicht, Vorsicht und Solidarität so wichtig wie
jetzt.» Kritik kam hingegen von FDP-Chef Christian Lindner, er sagte
dem Blatt: «Wenn die Bundeskanzlerin eine solche Dramatik sieht, muss
sie umgehend eine Regierungserklärung abgeben. Ein Podcast ersetzt
nicht die Debatte im Bundestag, wenn es um Grundrechte geht.»

SPD-Chef Norbert Walter-Borjans rief die jüngere Generation zu mehr
Umsicht und Solidarität auf. «Da müssen wir dieser Generation, die in

unserer Gesellschaft in vielen ethischen Fragen wie Klimaschutz oder
internationale Konflikte ein wichtiger Mahner ist, ganz
unmissverständlich sagen: Es geht auch hier nicht nur um Euch,
sondern Ihr gefährdet mit Eurem Verhalten auch andere, besonders die
Schwächeren», sagte Walter-Borjans dem «Spiegel». Er betonte
zugleich, man solle «nicht einer ganzen Generation schlechten
Charakter unterstellen».

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer fordert im Kampf gegen
das Coronavirus eine stärkere Unterstützung durch die Bundeswehr in
den Gesundheitsämtern. «Wir sind in der exponentiellen Phase», sagte

der CDU-Politiker der «Bild am Sonntag». «Wir müssen damit rechnen,

dass sich die Zahl der Neuinfektionen im Drei- oder
Vier-Tages-Rhythmus verdoppelt. Das bringt die Gesundheitsämter bei
der Nachverfolgung von Kontakten positiv getesteter Fälle an ihre
Grenzen und wir können die Infektionsketten nicht mehr unterbrechen.»

Laut Kretschmer müssen die Gesundheitsämter dringend personell
aufgerüstet werden. «Da muss die Bundeswehr stärker eingebunden und
Mitarbeiter aus den Landesministerien abgeordnet werden. Die Polizei
muss den Ordnungsämtern bei der Kontrolle der Maßnahmen helfen.»

Mehr als zwei Drittel der Deutschen sind einer Umfrage zufolge mit
dem Corona-Krisenmanagement der Bundesregierung tendenziell
zufrieden. 68 Prozent der Befragten beurteilten die Führung in einer
Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Kantar im Auftrag von «Bild
am Sonntag» als «eher gut». Für 27 Prozent ist sie «eher schlecht
».
4 Prozent antworteten mit «weiß nicht».

Am Samstag hatte das Bundespräsidialamt mitgeteilt, dass
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sich in Quarantäne begeben
habe. Einer seiner Bodyguards war positiv auf das Virus getestet
worden. Ein erster Corona-Test bei dem Staatsoberhaupt fiel negativ
aus. Steinmeier bleibe selbstverständlich weiter in Quarantäne,
derzeit befinde er sich in seiner Dienstvilla in Berlin-Dahlem, hieß
es. In den kommenden Tagen soll Steinmeier erneut getestet werden.