Zu viele Corona-Pfunde auf den Rippen - Gesundheitsexperten besorgt Von Elke Richter, dpa

So mancher Prominenter kokettiert gern mit seinem Corona-Bäuchlein.
Aber auch viele Normalos sind betroffen: Statt Vereinssport und
Fitnessstudio gab es Frustfuttern auf dem Sofa. Und es drohen schon
wieder neue Beschränkungen. Gesundheitsexperten sind alarmiert.

München (dpa/lby) - Es gibt sie wirklich: die Corona-Plauze. Was
spaßig, bei manchem gar anerkennend oder liebevoll klingt, erfüllt
Ernährungsmediziner mit Sorge. Denn gut ein Viertel aller Eltern und
neun Prozent der unter 14-Jährigen haben einer am Freitag
veröffentlichten Umfrage zufolge im Laufe der Pandemie zugelegt.
Zugleich geht schon die Angst vor dem nächsten Lockdown um - und
damit die Sorge vor weiteren überflüssigen Kilos und einem Anstieg
gewichtsbedingter Folgekrankheiten.

Im Fokus steht dabei besonders der Nachwuchs. «Das Risiko von
Übergewicht und Fehlernährung steigt, ganz besonders bei den
Schulkindern über zehn Jahren», erläutert Berthold Koletzko von der
Uni-Klinik München ein Ergebnis der repräsentativen Umfrage. «Das ist

eine sehr beunruhigende Beobachtung.» Denn die gesundheitlichen
Folgen können gravierend sein, zumal im Kindesalter die
Ernährungsgewohnheiten für's ganze Lebens gelegt werden.

Zwar zeigt die Umfrage, dass sich in vier Fünftel aller Familien die
Ernährungsgewohnheiten zwischen März und September nicht grundlegend
verändert haben. 14 Prozent aßen sogar gesünder, was auch mit einem
höheren Anteil selbst gekochter Mahlzeiten zusammenhängt - dies vor
allem in den Familien, in denen die Eltern im Homeoffice arbeiteten.

Dass die Kinder dennoch zulegten, lag neben der Popularität von Pizza
und Pasta vor allem am schnellen Griff zu Limo, Gummibärchen und
Chips. Für Kinder-Ernährungsprofi Koletzko besonders erschreckend:
«Wenn man dann die sozioökonomische Schichtung anschaut, sieht man,
dass Kinder aus Familien mit hohem Bildungsabschluss der Eltern wenig
betroffen sind, aber dass eines von vier Kindern von Eltern mit
Hauptschulabschluss eine Zunahme des Körpergewichts hat.»

Eine Beobachtung, die Ansgar Gerhardus nicht überrascht. «Gesundheit
korreliert sehr stark mit sozialer Lage.» Dementsprechend geht der
Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Public Health davon aus,
dass auch in der Krise weniger Qualifizierte besonders leiden, auch
wenn viele Studien dazu noch in Arbeit seien. Dies nicht nur, weil
sich Busfahrer und Verkäuferinnen leichter mit dem Coronavirus
anstecken als der Computerspezialist im Homeoffice. Sondern auch,
weil sozial Benachteiligte ohnehin stärker belastet seien und weniger
Ressourcen für den Umgang mit zusätzlichen Belastungen hätten.

Ein Beispiel: Kurzarbeitergeld. «Wenn Sie nur noch zwei Drittel von
wenig haben, ist das fast nichts mehr», rechnet Gerhardus vor. Dies
könne Existenzängste auslösen. Dennoch warnt der Fachmann vor simplen

Schlussfolgerungen. «Das ist zwischen Berufsgruppen unterschiedlich,
zwischen Altersgruppen, aber auch zwischen Individuen.»

So gebe es auch akademische Berufsgruppen wie Lehrer, die derzeit
unter starkem Stress stünden. «Generell hat die psychische Belastung
in vielen Jobs zugenommen», betont Gerhardus. «Es ist zu erwarten,
dass sich diese psychischen Belastungen sowohl in psychischen wie
körperlichen Beschwerden niederschlagen.»

Nicht das einzige, aber doch ein wichtiges Gegenmittel: gesundes
Essen. «Es gibt keine Ernährung, die in dem Sinne direkt vor Corona
schützt wie ein Medikament», betont Antje Gahl von der
Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Aber: «Ernährung und
Immunsystem hängen zusammen, und das Immunsystem ist gut aufgestellt,
wenn man sich insgesamt ausgewogen ernährt und ausreichend Vitamin C,
Zink, Selen oder Vitamin D zuführt.»

Auf den Tisch gehören deshalb möglichst viel Gemüse und Obst,
Getreideprodukte, regelmäßig Fisch, wenig Fleisch. «Wichtig ist,
nicht immer das Gleiche zu essen, sondern zu variieren», erklärt
Gahl. «Dann nimmt man das ganze Spektrum der Vitamine und
Mineralstoffe auf.» Und man verhindert Zusatz-Pfunde, was in
Corona-Zeiten indirekt Vorteile hat: «Krankhaftes Übergewicht ist
einer der Risikofaktoren für schwere Krankheitsverläufe bei
Covid-19», schildert der Direktor des Else Kröner-Fresenius-Zentrums
für Ernährungsmedizin an der TU München, Hans Hauner.

Letztlich aber müsse man aus dem Essen keine Wissenschaft machen,
betont Gahl - hin und wieder genossen sind auch Fischstäbchen mit
Pommes kein Problem. Ein wichtiger Rat zum Gesundbleiben in
Corona-Zeiten kommt daher von Beate Grossmann von der
Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung: «Gerade in so

einer Zeit sollte man keine unrealistischen Gesundheitsregeln
einhalten wollen, sondern generell etwas gütiger mit sich selbst sein
und nicht so streng mit sich ins Gericht gehen.»