Niedersachsen verschärft Corona-Kurs - Beherbergungsverbot gekippt Von Michael Evers, Jan Petermann und Christopher Weckwerth, dpa

Angesichts weiter steigender Infektionszahlen will Niedersachsen
schneller zu Restriktionen greifen. Das von der Tourismusbranche
heftig kritisierte Beherbergungsverbot wurde unterdessen per Gericht
gekippt. Ob das aber die Herbstsaison noch rettet, ist offen.

Hannover (dpa/lni) - Niedersachsen verschärft angesichts der auf
einen Rekord gestiegenen Zahl von Neuinfektionen den Corona-Kurs.
Problem-Regionen wurden bei sich verschlechternden Lage angewiesen,
schneller zu Beschränkungen zu greifen, sagte Ministerpräsident
Stephan Weil (SPD) am Donnerstag in Hannover. Auch eine Sperrstunde
in der Gastronomie ab 23.00 Uhr ist von Freitag an möglich. Per
Gericht gekippt wurde das Beherbergungsverbot, mitten in den
Herbstferien eine gute Nachricht für die Tourismusbranche, die den
Schritt heftig kritisiert hatte.

Beherbergungsverbot: Das Oberverwaltungsgericht erklärte das Verbot
des Landes für Reisende aus deutschen Corona-Hotspots in einem
Eilverfahren für rechtswidrig. «Mit sofortiger Wirkung» müssten
Hotels und Pensionen sich nicht mehr an die Verordnung halten,
erklärte das Gericht in Lüneburg. Es sei zweifelhaft, ob das Verbot
geeignet und erforderlich sei, hieß es. Der Hotel- und
Gaststättenverband reagierte erleichtert. «Wir hoffen, dass die
Hotellerie die restlichen Urlaubstage noch einfahren kann», sagte
Hauptgeschäftsführer Rainer Balke. Allerdings habe die Verordnung der
Landesregierung bei vielen Reisewilligen zu Verunsicherung geführt.

Die Infektionslage: Bis Donnerstag wurden 24 367 Corona-Infektionen
registriert. Im Vergleich zum Vortag wuchs die Zahl um 479, der
bisherige Höchstwert hatte am 27. März bei 449 bestätigten Fällen
binnen eines Tages gelegen. Die wichtige Sieben-Tages-Inzidenz - die
Durchschnittszahl der Neuansteckungen auf 100 000 Einwohner über eine
Woche - lag bei 27,4. Regional ist das Infektionsgeschehen aber sehr
uneinheitlich: Während es in der Stadt Delmenhorst (163,7) oder im
Kreis Cloppenburg (96,7) sowie in etlichen westniedersächsischen
Regionen wie der Grafschaft Bentheim (87,5), dem Kreis Vechta (76,3)
oder dem Kreis Emsland (64,8) hohe Werte gibt, ist die Lage in
anderen Gebieten entspannter - teilweise mit Werten unter 5 und einer
rückläufigen Entwicklung. Mittlerweile starben 709 Menschen in
Niedersachsen im Zusammenhang mit Covid-19.

Die Lage in den Kliniken: In niedersächsischen Kliniken werden
derzeit 324 Corona-Patienten behandelt: Davon liegen 263 Erwachsene
auf Normalstationen und 55 Erwachsene auf der Intensivstation. Davon
müssen 25 künstlich beatmet werden. Fünf Kinder werden im Krankenhaus

auf Normalstationen, eines auf einer Intensivstation behandelt.

Angekündigte Maßnahmen: Die meisten der schärferen Corona-Regeln, die

beim Bund-Länder-Treffen am Mittwoch in Berlin abgesteckt wurden,
gelten in Niedersachsen ohnehin bereits. Wenn es in einer Region mehr
als 35 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner über sieben Tage gibt,
sollen sich etwa höchstens noch 25 Menschen im öffentlichen und 15 im
privaten Raum treffen dürfen. Eine Maskenpflicht im Freien kann dort
angeordnet werden, wo Abstände nicht eingehalten werden können.
Steigt der relative Wert auf 50 Neuansteckungen, sind es bei privaten
Feiern maximal zehn Menschen aus zwei Hausständen - weitere
Verschärfungen sind möglich. Bei Veranstaltungen wird die Zahl der
Teilnehmer auf 100 begrenzt.

Nicht notwendige Reisen vermeiden: Der Ministerpräsident appellierte
an die Menschen, ihre Mobilität möglichst zu begrenzen und auf nicht
nötige Reisen zu verzichten. «Ein Blick zu unseren Nachbarn in den
Niederlanden zeigt deutlich, dass es sehr schnell zu einem
dynamischen Infektionsgeschehen mit erneuten massiven Einschränkungen
kommen kann», betonte er. Dort gilt inzwischen wieder ein teilweiser
Lockdown mit geschlossener Gastronomie. «Das wollen wir in
Deutschland und in Niedersachsen unbedingt verhindern.»

Hilfe bei der Kontakt-Nachverfolgung: Nach Einschätzung Weils lassen
sich lokal abgestimmte Maßnahmen gegen das Infektionsgeschehen noch
angemessen steuern. «Vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
der Gesundheitsämter kommen aber teilweise bei der
Kontakt-Nachverfolgung an ihre Belastungsgrenzen.» Gegenseitige
Unterstützung zwischen Bund, Ländern und Kommunen sei daher wichtig,
um Beschäftigte zu entlasten - «auch durch die weitere Unterstützung

durch die Bundeswehr». In etlichen Ämtern helfen Soldaten bei der
Aufbereitung der Daten und Ermittlung von Kontakten Infizierter mit.

Reicht das alles aus? «Ich glaube das sind angemessene Maßnahmen und
ich glaube es kann uns gelingen, damit eine Wende beim
Infektionsgeschehen herbeizuführen», sagte der Ministerpräsident. «
Es
steht hier viel für uns alle auf dem Spiel.»