Gegen Grippe impfen lassen? Was in Corona-Zeiten angezeigt ist Von Gisela Gross, dpa

Zwei Krankheiten, ähnliche Risikogruppen: Mit Covid-19 und Grippe
steht das Gesundheitssystem in diesem Herbst und Winter vor einer
doppelten Herausforderung. Was kann der Einzelne tun?

Berlin (dpa) - Ist harmlos? Wie eine banale Erkältung? Bei der echten
Grippe ist das eine Fehleinschätzung. Geschätzt 25 000 Tote gingen
bei der außergewöhnlich schweren Welle 2017/18 in Deutschland auf das
Konto der Influenza. Aber auch weniger heftige Grippewellen machen
sich in Arztpraxen und Krankenhäusern bemerkbar. Experten und der
Bundesgesundheitsminister werben nun auch wegen der Corona-Pandemie
dafür, dass sich Menschen bestimmter Gruppen impfen lassen sollten.
Dazu Fragen und Antworten:

Wie wird die kommende Grippesaison?

Das lässt sich nicht vorhersagen, der Verlauf ist jedes Jahr
unterschiedlich. In dieser Saison ist es aus Sicht der Fachleute aber
besonders wichtig, die Zahl der Fälle niedrig zu halten: wegen der
Corona-Pandemie. Gäbe es gleichzeitig zahlreiche Erkrankte durch
beide Erreger, könnte das die Krankenhäuser überlasten. Die
Entwicklung im Winter auf der Südhalbkugel - Australien, Neuseeland,
Südafrika und -amerika - kann allerdings optimistisch stimmen:
«Praktisch ausgefallen» sei die Grippewelle dort, sagte der Präsident

des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, am Mittwoch in
Berlin.

Helfen die Corona-Regeln also auch gegen Grippe?

Abstand zu anderen Menschen halten, häufig Hände waschen,
Alltagsmasken tragen und regelmäßig lüften: Was gegen Corona
empfohlen wird, nützt aus RKI-Sicht auch, um das Risiko einer
Ansteckung mit Influenzaviren zu reduzieren. Auch insgesamt träten
wegen der Covid-19-Maßnahmen weniger Infektionskrankheiten auf, sagte
Wieler. So habe es etwa seit März keinen Masernfall mehr hierzulande
gegeben. Der Lockdown im Frühjahr bereitete wohl der vergangenen
Grippewelle ein Ende: Sie fiel nach RKI-Daten mit einer Dauer von elf
Wochen kürzer aus als die Grippewellen der fünf Vorsaisons.

Wem wird die Impfung empfohlen?

Wie Covid-19 sei die Grippe besonders für Ältere und chronisch Kranke
gefährlich, sagte Wieler. Neben diesen beiden Gruppen wird eine
Impfung etwa auch Schwangeren und medizinischem Personal in
Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen empfohlen.

Wie gut ist der Schutz?

Nicht optimal. «Die Impfung wirkt nicht bei allen Geimpften gleich
gut», sagte Wieler. Die Schutzwirkung bei jungen Erwachsenen liegt
laut RKI bei bis zu 80 Prozent, bei Älteren zwischen 40 und 60
Prozent. Aufgrund der Häufigkeit von Grippefällen wird aber
angenommen, dass durch die Impfung immer noch eine große Zahl von
Erkrankungen verhindert wird - laut dem RKI-Chef im Schnitt 400 000
Fälle pro Jahr in Deutschland. Es sei der beste verfügbare Schutz,
ein «mächtiges Instrument». Wer trotz Impfung erkrankt, habe in der
Regel keinen so schweren Verlauf, sagte Wieler. Erkältungen, die von
anderen Erregern verursacht werden, kann man trotzdem bekommen.

Muss man einen schweren Grippeverlauf fürchten, wenn man nicht zur
Risikogruppe zählt?

Eine Grippe verläuft nach RKI-Angaben bei gesunden Kindern und
Erwachsenen unter 60 «in der Regel ohne schwerwiegende
Komplikationen». Fachleute weisen aber darauf hin, dass Kinder bei
der Influenza als Treiber von Infektionen gelten.

Sollten dann nicht besser alle Menschen geimpft werden?

Die Ständige Impfkommission (Stiko) stellte sich in einer
Stellungnahme vom Juli gegen die Idee der Impfung für Jedermann:
Auch, weil dann der Impfstoff für die Risikogruppen nicht reichen
könnte. Zum Schutz der Menschen und zur Entlastung der
Gesundheitssysteme sei der größte Effekt zu erreichen, wenn die
Impfquoten vor allem in den Risikogruppen «erheblich gesteigert»
würden, hieß es. Manche Krankenkassen kündigten dennoch an, allen
Versicherten die Impfung wegen der Pandemie gratis anzubieten.

Wie viel Impfstoff gibt es?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte, es stünden so
viele Impfdosen zur Verfügung wie noch nie: 26 Millionen. Laut dem
Deutschen Hausärzteverband nehmen allerdings viele Ärzte eine erhöhte

Nachfrage wahr und viele Praxen müssten auf die nächsten Chargen
warten. Spahn wies Befürchtungen vor Versorgungsengpässen am Mittwoch
zurück, es könne aber momentan lokal und zeitlich zu Lieferengpässen

kommen. Laut Paul-Ehrlich-Institut sind bislang rund 19 Millionen 
Dosen freigegeben. Spahn zufolge ist eine Impfung auch später im Jahr
noch sinnvoll. Es dauert bis zu 14 Tage, bis der Schutz aufgebaut
ist, der Höhepunkt der Grippewelle kommt in der Regel nach dem
Jahreswechsel.

Wie beliebt war die Impfung bisher?

Laut Stiko hat das Interesse in den vergangenen zehn Jahren
kontinuierlich abgenommen. Dass sich bei den Über-60-Jährigen nur
rund ein Drittel immunisieren ließ, wird als «völlig unzureichend»

gewertet. Spahn wertete die Berichte über die Nachfrage derzeit
insofern als ermutigendes Zeichen - in anderen Jahren seien Millionen
ungenutzte Impfdosen vernichtet worden. Würden in dieser Saison alle
verfügbaren Dosen genutzt, erreiche man eine so hohe Impfquote wie
noch nie, so Spahn.

Kann man gleichzeitig an Grippe und Covid-19 erkranken?

«Gleichzeitige Infektionen mit Grippe und einem anderen Virus sind
sehr, sehr unwahrscheinlich», sagte der Virologe Hendrik Streeck
kürzlich der Deutschen Presse-Agentur. Das Immunsystem sei im Moment
einer Infektion so in Alarm, dass eine zusätzliche mit einer weiteren
viralen Erkrankung sehr selten vorkomme.