Söder sieht Deutschland vor entscheidenden Wochen im Corona-Kampf

Die Erwartungen an die Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin sind
angesichts des drohenden Kontrollverlusts bei den Corona-Zahlen
gigantisch. Bayern dringt auf eine bundeseinheitliche Strenge.

München (dpa) - Ganz Deutschland steht nach Ansicht von Bayerns
Ministerpräsident Markus Söder im Kampf gegen die sich wieder
verschärfende Corona-Krise vor vier entscheidenden Wochen. «Wir
müssen jetzt Corona ausbremsen, bevor wir eine echte Notbremsung
machen müssen», sagte der CSU-Chef am Dienstag nach einer Sitzung der
Landesregierung in München. Söder sprach sich mit Blick auf die an
diesem Mittwoch in Berlin anstehende Ministerpräsidentenkonferenz
dafür aus, dass es eine erweiterte Maskenpflicht in ganz Deutschland
brauche, um die Pandemie besser unter Kontrolle zu halten. Auch
private Feiern müssten in den kommenden Wochen runtergefahren werden.

Wo genau es eine erweiterte Maskenpflicht brauche, das müsse auf der
Konferenz mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) besprochen werden. Söder
nannte als Beispiele öffentliche Plätze, öffentliche Gebäude, aber

auch Fahrstühle. «Wo ist der beste Ansatz für mehr Maske», dieser
Katalog müsse nun erarbeitet werden. Denn mit mehr Maske könne man
die Ausbreitung des Virus verzögern.

Söder betonte, Bund und Länder müssten am Mittwoch einen gemeinsamen

Regelungskanon beschließen, um auch die Bevölkerung für die kommenden

Wochen zu motivieren. «Wir müssen der Wahrheit ins Auge schauen, wir
sind in einer sehr ernsten Lage. Wir sind kurz davor, die Kontrolle
zu verlieren», sagte Söder. Dies zeige sich in vielen Nachbarländern

«überall um uns herum gibt es extrem negative Anzeichen».

Es sei «fünf vor 12», noch könnten gemeinschaftlich die Weichen
gestellt werden, sonst drohe es außer Kontrolle zu geraten, sagte
Söder. «Die Zahlen sind viel zu früh viel zu hoch.» Ein zweiter
Lockdown müsse aber unbedingt verhindert werden. «Wir brauchen einen
Ruck, in dem wir uns ehrlich machen», betonte Söder. Die Zahlen
würden sich vielerorts sprunghaft nach oben entwickeln, und es sei
ein Trugschluss zu glauben, dass Deutschland davon verschont bleibe.

Auch in Bayern wurden am Dienstag erneut in vielen Regionen kritische
Werte gemeldet. Corona-Brennpunkte sind nach Angaben des Landesamtes
für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL/Stand: 08.00 Uhr)
Stadt und Landkreis Schweinfurt, der Landkreis Rottal-Inn, die
Landkreise Regen, Berchtesgadener Land und Fürstenfeldbruck sowie die
Städte München, Memmingen und Rosenheim. Überall liegt die Zahl der
Neuinfektionen über dem kritischen Wert von 50 Neuinfektionen in
sieben Tagen pro 100 000 Einwohner. Seit Beginn der Krise haben die
Gesundheitsämter bayernweit 74 036 Corona-Fälle registriert, davon
starben 2687 Menschen an den Folgen, 64 600 gelten als genesen.

Um die Entwicklung zu stoppen, brauche es Einheitlichkeit auch in den
Regionen, in denen die Fallzahlen derzeit noch niedrig seien, sagte
Söder. Einheitliche Maßnahmen würden nicht nur helfen, die Zahlen in

den Hotspots zu senken, sondern auch dazu beitragen, dass die
niedrigen Zahlen nicht ansteigen. «Corona macht an keiner Grenze
halt.» Zudem müsse bundesweit sichergestellt werden, dass die
Vorgaben für den Infektionsschutz auch konsequent umgesetzt würden.
Söder gab sich vorsichtig optimistisch, dass die Länder eine
gemeinsame Linie finden könnten, die nicht nur aus dem kleinsten
gemeinsamen Nenner bestehe.

Für Bayern kündigte Söder mehr Personal zur Nachverfolgung von
Corona-Infektionen an: Ab sofort sollen 2000 weitere staatliche
Mitarbeiter eingesetzt werden. Die Kontaktverfolgung sei weiterhin
entscheidend, um nicht die Kontrolle zu verlieren. Deshalb werde auch
der vom Freistaat zur Verfügung gestellte Grundstock für die
Contact-Tracing-Teams (CTT) von 775 Mitarbeitern an den
Gesundheitsbehörden zunächst bis Ende Februar um weitere 500
Mitarbeiter aufgestockt. Ferner sollen alle Ressorts und die
Staatskanzlei mindestens 2550 Mitarbeiter als Unterstützungspersonal
im Bedarfsfall für die Bildung von CTT zur Verfügung stellen.

«Wir müssen die Zahlen reduzieren», sagte Söder, denn die
schwierigste Zeit stehe noch bevor. Er appellierte an alle Länder,
«kleine Streitigkeiten bei Seite zu lassen», es brauche jetzt eine
große Linie, dafür müsse jeder die notwendige Kraft aufbringen. In
dem Kontext sei er auch bereit, erneut über das umstrittene
Beherbergungsverbot für Menschen aus Hotspot-Regionen ohne einen
negativen Corona-Test zu sprechen.

Der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina,
Gerald Haug, ging hier noch einen Schritt weiter: «Das
Beherbergungsverbot sollte man nach den Herbstferien wieder sein
lassen», sagte er am Dienstag nach den Beratungen mit dem bayerischen
Kabinett. Jede Medizin habe auch Nebenwirkungen, und hier seien diese
«sehr stark». So würden etwa viele Menschen aus Berlin tagelang auf
die Ergebnisse warten und könnten so nicht in den Urlaub an die
Ostsee fahren. «Das sollte man überdenken.»

Haug forderte Bund und Länder eindringlich auf, sich auf einheitliche
Anti-Corona-Maßnahmen zu einigen. In Berlin müssten am Mittwoch «die

Weichen gestellt» werden, ob Deutschland unter 20 000 Neuinfektionen
pro Tag bleiben könne. In Nachbarländern sei die Entwicklung schon
«unkontrolliert weggelaufen». Deshalb gebe es die große Bitte der
Wissenschaft, es zu schaffen, mit einheitlichen Regeln verantwortlich
durch Herbst und Winter zu kommen.