Große Corona-Sorgen in Europa - Gesundheitssysteme unter Druck

Fast überall in Europa bereiten steigende Corona-Infektionszahlen den
Regierungen neue Sorgen. In Ländern wie Frankreich und Spanien wird
schon über die Verhängung des Notstands nachgedacht.

Berlin (dpa) - In Europa ist die Zahl der täglichen
Corona-Neuinfektionen nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation
erstmals über die Marke von 100 000 gesprungen. Vielerorts sind die
Intensivstationen von Krankenhäusern bereits am Limit. Regierungen
verhängen strengere Maßnahmen, um die Ausbreitung der Pandemie
einzudämmen. Ein Überblick über die Entwicklung in der vergangenen
Woche in wichtigen Ländern:

SPANIEN ist mit 850 000 Infektionen besonders schlimm betroffen. Die
Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen lag
zuletzt bei 115. In der vergangenen Woche starben nach Angaben des
Gesundheitsministeriums von Freitag 541 Menschen. Der Anteil der
Covid-19-Patienten in den Krankenhäusern steigt. Landesweit gelten
strenge Beschränkungen und Maßnahmen, auch Maskenpflicht im Freien.
Viele Gebiete und Gemeinden sind abgeriegelt. Über die Hauptstadt
verhängte die spanische Regierung am Freitag den Notstand. In Madrid
und einigen Vororten dürfen die Menschen ihre Wohngemeinde nur mit
triftigem Grund verlassen - etwa für den Weg zur Arbeit oder für
Arztbesuche. Betroffen sind knapp 4,8 Millionen Menschen. Der
Notstand soll zwei Wochen gelten.

FRANKREICH hat in mehreren Großstädten bereits die höchste
Corona-Warnstufe verhängt - unter anderem in Paris, Lyon und
Marseille. Gesundheitsminister Olivier Véran warnt, dass es noch
schlimmer wird. Sorge herrscht über die Lage in den Pariser
Krankenhäusern. Dort nimmt der Anteil der Covid-19-Patienten auf den
Intensivstationen zu. Die Regierung reagiert etwa mit Schließungen
von Bars in den Regionen, in denen die Lage besonders ernst ist.
Generelle Ausgangsbeschränkungen im ganzen Land sollen verhindert
werden. Mit mehr als 20 000 Corona-Neuinfektionen binnen 24 Stunden
gab es am Freitag einen Tageshöchstwert.

TSCHECHIEN - ehemals ein Corona-Musterschüler - ist nach den jüngsten
Zahlen der EU bei den Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner zum
traurigen Spitzenreiter geworden. Im Schnitt steckten sich binnen 14
Tagen 374,6 Menschen je 100 000 Einwohner an. Am Donnerstag wurden in
dem 10,7-Millionen-Einwohner-Land 5394 neue Fälle verzeichnet - der
dritte Tagesrekord in Folge. Die Regierung hat Kultur- und
Sportveranstaltungen verboten. Sollte die Kurve nicht abflachen,
droht nach Ansicht von Experten bald ein dramatischer Engpass im
Gesundheitssystem.

GROSSBRITANNIEN leidet ebenfalls stark: Mangel an Tests, ein
Flickenteppich an Regelungen, marode Kliniken, Zehntausende
Todesfälle. Der im Frühjahr selbst erkrankte Premier Boris Johnson
steht zunehmend in der Kritik, ein schlechter Krisenmanager zu sein.
Seine Regierung spricht von einer «gefährlichen» Lage. Besonders
stark betroffen sind der Norden Englands, Schottland, Nordirland und
Teile von Wales. Experten zufolge stehen vor allem in Nordengland die
Kliniken vor dem Kollaps. Am Freitag meldeten die Behörden landesweit
knapp 14 000 neue Fälle.

ITALIEN sorgt sich über den steilen Anstieg der Infektionsfälle in
dieser Woche. Das Land, das im März Europas Corona-Hotspot war,
registrierte am Freitag 5372 neue Ansteckungen. Der große
Unterschied: Jetzt sterben pro Monat so viele Menschen an Covid-19
wie damals an einem Tag. Die Intensivstationen sind mit annähernd 400
Covid-Patienten nicht am Limit. Rom verschärft ständig die Maßnahmen

- nun gilt eine Maskenpflicht auch im Freien. Besonders stark
kletterten die Werte am Freitag in der Lombardei im Norden und in
Kampanien im Süden.

In den NIEDERLANDEN wurden am Freitag knapp 6000 Neuinfektionen
gemeldet, ähnlich viele wie auch am Donnerstag. Die Zahl der
Patienten in Krankenhäusern und auf Intensivstationen steigt schnell.
Kliniken haben die Versorgung für andere Patienten drastisch
reduziert und Hunderte Operationen abgesagt. Innerhalb von sieben
Tagen infizierten sich zuletzt 841 Menschen je 100 000 Einwohner.
Vergangene Woche wurden im Schnitt 16 Tote am Tag gemeldet. Bürger
und Experten fordern deutlich strengere Maßnahmen. Masken sind für
öffentliche Räume dringend empfohlen, bislang aber nicht Pflicht.

BELGIEN verzeichnete zuletzt ebenfalls rasch steigende Zahlen. Die
14-Tage-Inzidenz - die Zahl an Infektionen pro 100 000 Einwohner
innerhalb zwei Wochen - lag zuletzt bei 280,7. In der Hauptstadt
Brüssel sind Cafés und Bars nun für einen Monat geschlossen. Die
Regierung verschärfte auch die landesweiten Regeln: Bürger dürfen pro

Monat nur noch mit drei Personen außerhalb der Familie engen Kontakt
pflegen. Um 23.00 Uhr ist Sperrstunde.