Erneut mehr als 4000 Corona-Neuinfektionen - Was heißt das?

Wieder wurde die 4000er-Marke überschritten. Gewinnt der Anstieg bei
der Zahl der Neuinfektionen an Fahrt? Auch die Kliniken nehmen mehr
Corona-Patienten auf. Virologe Drosten appelliert an alle Menschen.

Berlin (dpa) - Die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus in
Deutschland hat ein weiteres Mal über der Marke von 4000 gelegen.
Innerhalb eines Tages meldeten die Gesundheitsämter in Deutschland
nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) vom Freitagmorgen 4516
neue Corona-Infektionen. Von Mittwoch auf Donnerstag war der Wert von
2828 auf 4058 erheblich angestiegen.

Für eine konkrete Schlussfolgerung sei es noch zu früh, hatte der
Epidemiologe Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für
Infektionsforschung in Braunschweig am Donnerstag der Deutschen
Presse-Agentur gesagt. «Wir haben immer wieder sprunghafte Anstiege,
die sich nicht notwendigerweise als Vorbote eines exponentiellen
Anstiegs herausstellen.» Er riet, weitere Daten zu berücksichtigen.
«Wir müssen mehr auf die Erkrankungszahlen statt auf die reinen
Laborbefunde schauen.» Die Belegung der Intensivstationen sei ein
weiterer wichtiger Indikator.

Bei den intensivmedizinisch behandelten Covid-19-Patienten zeichnet
sich derzeit ein merklicher Anstieg ab, noch sind aber viele Betten
frei. Laut aktuellem RKI-Lagebericht wurden am Donnerstag 487
Corona-Infizierte intensivmedizinisch behandelt, 239 davon wurden
beatmet. Eine Woche zuvor (1.10.) hatte der Wert noch bei 362 (193
beatmet) gelegen, in der Woche davor (24.9.) bei 296 (166 beatmet).
Rund 8500 Intensivbetten sind in den deutschen Kliniken derzeit noch
frei.

Die steigenden Corona-Zahlen zwingen etwa die Berliner Charité jedoch
dazu, planbare Eingriffe wie im Frühjahr wieder zu verschieben. «Wir
müssen versuchen, die Intensivbetten für Covid-Patienten frei zu
bekommen», sagte Vorstandsmitglied Ulrich Frei am Freitag in Berlin.
Das sei keine leichte Aufgabe und führe zu schwierigen ethischen
Fragen, etwa im Umgang mit Herz- und Tumorkranken. Auf den
Intensivstationen lägen noch viele Patienten, deren Eingriffe und
Untersuchungen nach der ersten Corona-Welle vom Frühjahr nachgeholt
wurden. Zugleich fehlten aber Intensiv-Pflegekräfte.

Ähnlich äußerte sich der Chef des Uni-Klinikums Frankfurt, Jürgen
Graf. Der Spätsommer habe in der Pandemie ein Gefühl der falschen
Sicherheit gebracht, weil die Neuinfektionen seltener zu Erkrankungen
geführt hätten. Jetzt müssten wieder mehr Patienten stationär
aufgenommen werden.

Auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck warnt davor, die reinen
Infektionszahlen zum Maßstab im Kampf gegen Corona zu machen. «4000
Neuinfektionen pro Tag zur Zeit bedeuten nicht mehr das Gleiche, was
sie im März und April bedeutet haben», erläutert er in einem
Gastbeitrag für das «Handelsblatt» (Freitag). Abhilfe könne ein
Ampelsystem schaffen, das auf dem Zusammenspiel von
Infektionszahlen, Anzahl der Tests, stationärer und
intensivmedizinischer Belegung basiert.

Generell gelte es, sich an ein Leben mit Corona zu gewöhnen, so
Streeck weiter. Das bedeute «auch zu akzeptieren, dass Sars-CoV-2 bei
uns heimisch wird». Auch Todesopfer ließen sich vielleicht
minimieren, aber nicht vermeiden.

Die höchste Zahl vom RKI erfasster Neuinfektionen hatte es Ende März,
Anfang April gegeben, als der Wert mehrfach über 6000 lag. Der
bisherige Höchstwert war 6294 am 28. März. An dem Tag wurden 325
Todesfälle gemeldet - am Freitag waren es 11. Zu beachten ist bei dem
Vergleich, dass die Dunkelziffer nicht erfasster Fälle im Frühjahr
sehr wahrscheinlich deutlich höher war als derzeit, weil noch
wesentlich weniger Tests durchgeführt wurden.

«Das Virus hat sich nicht verändert», betonte der Berliner Virologe
Christian Drosten. Die Infektionssterblichkeit - wie viele der
Angesteckten sterben - liege in Deutschland bei einem Prozent oder
etwas mehr, falls das Virus durch die gesamte Bevölkerung durchlaufe.

Drosten appellierte an alle Menschen mitzuhelfen. Das Effizienteste
gegen eine Corona-Ausbreitung sei eine Kombination aus Masken-Tragen
und gezielten Maßnahmen gegen Cluster, sagte der Direktor des
Instituts für Virologie an der Charité in Berlin am Freitag. Die
jetzigen Maßnahmen seien schon dafür geeignet. Mit einem
Cluster-Kontakttagebuch etwa könne man sehen, wo man sich vor sieben
bis zehn Tagen infiziert habe. «Das ist eine sehr wertvolle
Information an das Gesundheitsamt.»

Entscheidend sei die Informiertheit der Bevölkerung. «Die
Kooperation, das Verständnis jedes Einzelnen oder jeder Einzelnen,
dieses Treffen von richtigen Entscheidungen im Alltag, weil man es
verstanden hat, das ist das, was uns retten wird vor einer
schwierigen Situation.»

Seit Beginn der Corona-Krise haben sich nach RKI-Angaben mindestens
314 660 Menschen in Deutschland nachweislich mit dem Virus Sars-CoV-2
infiziert (Datenstand 9.10., 0.00 Uhr). Die Zahl der Todesfälle im
Zusammenhang mit einer Corona-Infektion lag demnach bei 9589. Rund
271 800 Menschen haben die Infektion nach RKI-Schätzungen
überstanden.