Déjà-vu nach sechs Monaten - Südwesten schaut auf die Corona-Zahlen

Gewinnt der Anstieg der Infektionszahlen weiter an Fahrt? Um die
Entwicklung zu stoppen, ziehen immer mehr Kommunen die Notbremse.
Oder bereiten sich zumindest darauf vor.

Stuttgart (dpa/lsw) - Die Wortwahl wird schärfer, die Auflagen werden
es auch: Weil die Zahl der Corona-Infizierten steigt, bereiten sich
immer mehr Kreise und Städte auf weitere Einschränkungen in ihrer
Region vor. Vor allem die Lage in den größeren Städten besorgt
Politik und Gesundheitsexperten und erinnert vage an die Situation im
Frühjahr. Nicht nur Stuttgart plant deshalb weitere Auflagen, sollte
sich die Lage weiter verschlechtern. Als Maßstab gilt der kritische
50er-Wert bei der sogenannten 7-Tage-Inzidenz. Er bildet die Zahl der
Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen ab.

Als erste Region in Baden-Württemberg hat der Kreis Esslingen diese
Warnstufe bereits erreicht und Konsequenzen gezogen. Nach
Einschätzung von Experten wird es nicht der einzige Hotspot im
Südwesten bleiben.

Angesichts der Ansteckungsgefahr vor allem auf privaten Feiern
appellierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann in eindringlichen
Worten an die Bürger: «Überlegen Sie es sich, ob die nächste Feier

oder Party wirklich sein muss.» Große Gruppen oder Gedränge müssten

gemieden werden. Freiheit gebe es nicht ohne Verantwortung. «Und das
bedeutet, dass wir in der Pandemie auch mal etwas lassen sollten,
obwohl es erlaubt ist», sagte der Grünen-Politiker in einer vorab
verbreiteten Ansprache, die am Freitagabend im SWR-Fernsehen
ausgestrahlt werden sollte.

Wo ist es besonders kritisch?

Im Kreis Esslingen stieg die Sieben-Tage-Inzidenz im Vergleich zum
Vortag von 54,6 auf 56,3. In der Landeshauptstadt Stuttgart sank der
Wert von 43,7 auf 41,2. Ebenfalls hohe Zahlen haben die Landkreise
Schwäbisch Hall (37,6), Ludwigsburg (34,3) Tuttlingen (33,4),
Göppingen (31,8) und Ortenau (30,6) sowie die Städte Heilbronn (34,0)
und Mannheim (31,9).

Was plant das Land angesichts der Zahlen?

Die Bundesländer können weitgehend in eigener Verantwortung über
Einschränkungen oder aber die Lockerung von Auflagen entscheiden.
Schärfere Regeln auf Landesebene sind zurzeit in Baden-Württemberg
nicht vorgesehen. «Eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum wird
derzeit nicht flächendeckend geplant», sagte eine Sprecherin. Zuletzt
hatte eine Mehrheit der Bundesländer zudem ein Beherbergungsverbot
für Reisende aus Orten mit sehr hohen Corona-Infektionszahlen
beschlossen, sofern die Touristen keinen maximal 48 Stunden alten
negativen Corona-Test vorlegen können.

Wie reagieren die Städte?

Städte wie Mannheim und Mühlacker folgen mit ihrer Verschärfung der
Empfehlung der Bund-Länder-Kommission von Ende September. Sie nimmt
vor allem Feiern im Familien- und Freundeskreis ins Visier. Deshalb
gilt in der Quadratestadt und anderen betroffenen Regionen eine
Beschränkung von Feiern auf 25 Personen in Privatwohnungen und 50 zum
Beispiel in Restaurants. Städte wie Mannheim ergänzen dies um weitere
Auflagen zum Beispiel für das nächtliche Alkoholverkaufsverbot an
Wochenenden. Auf öffentlichen Plätzen muss in Esslingen ein Schutz
über Mund und Nase getragen werden.

Wie ist die Lage in der Landeshauptstadt?

Die Stadt Stuttgart kündigte am Freitag weitere Einschränkungen an,
sollte sich die Lage verschlechtern. Sobald die Stadt die kritische
Stufe von mehr als 50 Infektionen auf 100 000 Einwohner erreiche,
werde für öffentliche Plätze in der Innenstadt eine Maskenpflicht
erlassen, sagte Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne). Außerdem sollen

die Auflagen für private Feiern verschärft und die erlaubten
Teilnehmerzahlen mehr als halbiert werden. Ebenfalls im Gespräch sei
ein nächtliches Alkoholverkaufsverbot. «Wir müssen uns leider auf
einen schwierigen Winter einstellen», warnte Kuhn.

Es wird mehr getestet. Reichen die Kapazitäten?

Das Sozialministerium verweist auf das flächendeckende Netz der
Corona-Ambulanzen durch die Kassenärztliche Vereinigung
Baden-Württemberg (KVBW). Tests könnten in den rund 50
Corona-Testzentren sowie in über 900 Corona-Schwerpunktpraxen
vorgenommen werden. Der am stärksten betroffene Kreis Esslingen baut
seine Kapazitäten zudem aus. Im Abstrichzentrum in Nürtingen können
laut Landratsamt pro Tag 600 Tests durchgeführt werden. Mit einem
zweiten Abstrich-Zentrum, das nun auf der Messe wieder eröffnet
werden soll, könnten täglich mehr als 1000 Menschen getestet werden,
hieß es.

Auch Hausärzte dürfen testen. Sind sie ausreichend ausgerüstet?

Es scheint so, ja. Derzeit gebe es keinen Mangel an Schutzausrüstung
und Abstrich-Kits, die Labore seien aus-, aber nicht überlastet,
sagte die KVBW-Sprecherin. «Da haben wir noch keine Krise.»

Und wie sieht es auf den Intensivstationen aus?

Am Freitagvormittag waren 2326 von 3221 verfügbaren Intensivbetten im
Land belegt. Zudem gibt es eine Notfallreserve von 1528 zusätzlich
aufstellbaren Intensivbetten, die innerhalb von sieben Tagen
verfügbar wäre. Das geht aus Daten des sogenannten Intensivregisters
hervor, auf die sich auch das baden-württembergische Sozial- und das
Innenministerium bei der Steuerung der Corona-Lage im Land berufen.
In Zusammenhang mit Covid-19 werden im Südwesten derzeit 66 Menschen
behandelt, 31 von ihnen müssen beatmet werden.