Schotten dicht! Die Sperrstunde in Deutschland Von Sebastian Fischer, dpa

Neue Schließzeiten bringen das Nachtleben in Berlin und anderswo
vollends zum Erliegen. Pause statt Sause - nicht das erste Mal
während Corona. Lange schien dieser Gedanke utopisch.

Berlin (dpa) - Die letzte Bierrunde noch vor Mitternacht? Was für
viele Kneipengäste auf dem Land auch vor der Corona-Pandemie
alltäglich war, schien in Berlin und anderen Metropolen schon längst
in die Sphäre der Unmöglichkeiten zu gehören. Und sollte doch einmal

ein Barkeeper auf die letzte Bestellung gedrängt haben, war in der
Nähe sicher noch ein anderer Zapfhahn in Betrieb. Oder ein Spät-Kiosk
mit nicht minder ausschweifendem Sortiment für den nächtlichen Durst.

Doch das Coronavirus stellt alles auf den Kopf. Nach dem rasanten
Anstieg der Infektionszahlen müssen einige Großstädter in Deutschland

vermeintlich längst in die Geschichte verbannte Einschränkungen
erfahren. Nicht zum ersten Mal dieses Jahr: Nach dem Herunterfahren
des öffentlichen Lebens im Frühjahr, in dem auch die Gaststätten und

Bars dicht machten, waren die Wiedereröffnungen häufig verknüpft mit

Schließzeiten. In der Hauptstadt zum Beispiel wurden erst Mitte Juni
Restaurants und Kneipen wieder länger als bis 23 Uhr geöffnet.

RUND-UM-DIE-UHR-VERSORGUNG AN DER SPREE

Eigentlich schläft Berlin nie. Dank Kneipen, Spätis, Imbissen oder
Dönerläden können sich auch Nicht-Clubgänger normalerweise gut und

gern durch die ganze Nacht versorgen. Seit rund sieben Jahrzehnten
wird im Unterschied zu vielen anderen Bundesländern an der Spree ohne
Unterbrechung bis in den Morgen gefeiert - zumindest im Westen.

1949 wurde hier die Sperrstunde aufgehoben. Vorausgegangen war ein
Spiel der politischen Systeme: Im russischen Sektor waren die
Biertheken immer eine Stunde länger offen. «Wenn wir um 21 Uhr
schlossen, waren im Ostteil die Kneipen bis 22 Uhr auf. Verlängerten
wir auf 22 Uhr, schlossen die Ost-Kneipen um 23 Uhr», erinnerte sich
einmal der mittlerweile gestorbene damalige Obermeister des Hotel-
und Gaststättenverbandes, Heinz M. Zellermayer. Offenbar genehmigten
sich einige Gäste hin und wieder lieber den Drink auf sozialistischem
Terrain. Daher hoben die Westalliierten die Polizeistunde auf.

Nach und nach zog das Non-stop-Leben internationale Stars wie David
Bowie oder Iggy Pop an. Während quasi im Rest der Bundesrepublik
nachts die Lichter ausgingen, wurde West-Berlin zum Feier-Eldorado.
Legendäre Clubs wie der Dschungel oder das Big Eden öffneten.

Im Osten wachten die DDR-Oberen auf die Einhaltung der Polizeistunde,
um «der werktätigen Bevölkerung eine ungestörte Nachtruhe zu
sichern», wie es den entsprechenden Verordnungen von 1955 und 1980
heißt. An Werktagen war um Mitternacht Schluss, an Wochenenden um 1
Uhr. Ausnahmen gab es etwa in Bahnhofskneipen oder Hotelbars, wenn
auch mit Alkoholverbot. Auch sogenannte Nachtdiscos konnten mit
Sondergenehmigungen bis in den frühen Morgen öffnen.

IM RESTLICHEN DEUTSCHLAND

Das deutsche Gaststättengesetz erlaubt es den Landesregierungen oder
örtlichen Behörden, für Schank- und Speisewirtschaften eine Sperrzeit

festzusetzen. Zwar ist diese mittlerweile in fast allen Bundesländern
auf die Putz- oder Kehrstunde zwischen 5 und 6 Uhr morgens reduziert.
Nur in Baden-Württemberg müssen Kneipen unter der Woche zwischen 3
und 6 Uhr die Rollläden schließen, in Bremen schon um 2 Uhr.

Und dennoch kann es sein, dass Nachtschwärmer mancherorts länger auf
dem Trockenen sitzen. Städte wie Passau oder Deggendorf führten zum
Beispiel teilweise eine verlängerte Sperrstunde nach 2010 wieder ein
- obwohl auch in Bayern die Regelung bereits auf eine Kehrstunde
reduziert war. Gastronomen wiederum gingen gegen solche Regeln vor
und setzten sich zum Teil vor Gericht durch.

In Bamberg zum Beispiel gilt allerdings noch heute: Werktags müssen
um 2 Uhr die Schotten dicht gemacht werden, am Wochenende um 4 Uhr -
auch in Discos und Clubs. Häufig wird als Grund der Verlängerung von
Sperrzeiten etwa jugendliches Komasaufen, zu viel Lärm und
Schlägereien in den Innenstädten angegeben. Forscher der Uni Bamberg
und der TU Dresden stellten allerdings einmal fest, dass die
Maßnahmen kaum Einfluss auf die nächtliche Kriminalität hätten.

WENN DER NACHTWÄCHTER KOMMT

Dabei ist gerade das Thema Sicherheit seit Jahrhunderten eng
verknüpft mit der Sperre. Früher setzte in der Regel der Nachtwächter

die sogenannte Polizeistunde durch: Dann wurden die Stadttore
geschlossen und das Leben von der Straße in die Wohnhäuser verlegt.
Später - mit dem Aufkommen der industriellen Alkoholherstellung -
sollte mit der Maßnahme der Vollsuff unter den Arbeitern unterbunden
werden, die nach der Schicht gern mal das spärliche Gehalt lieber an
der Theke ließen als bei der Familie daheim.

In Berlin der Nachkriegszeit war das aber offenbar kein Thema mehr.
«Woanders gibt's ne Sperrstunde, bei uns die Müllabfuhr», sangen
Seeed in «Dickes B». Mit Corona muss man sich aber womöglich nun
musikalisch wieder umstellen. «Ja, so spät, Herr, die Zeit vergeht,
Herr, schließlich muss ein Ober auch amoi schlofn gehn», trällerte
einst der Österreicher Hans Moser. Das Lied: «Sperrstund is».