LSB-Präsident Härtel: «Katastrophale Auswirkungen auf Berliner Sport » Interview: Thomas Flehmer, dpa

Ein möglicher zweiter Lockdown würde den Berliner Sport wieder weit
zurückwerfen. LSB-Präsident Härtel erwartet nicht nur größere
finanzielle Notlagen, sondern befürchtet auch eine Austrittswelle von
Vereinsmitgliedern.

Berlin (dpa) - Den ersten Lockdown hat der Berliner Sport abfedern
können. «Ein zweiter Lockdown hätte auf den Berliner Sport
katastrophale Auswirkungen. Sowohl für den gemeinnützigen Sport, wie
auch für den Profisport», sagte Thomas Härtel, Präsident des
Landessportbundes Berlin, in einem Interview der Deutschen
Presse-Agentur. Härtel lobt aber auch die Eigeninitiative der Vereine
und glaubt - falls nötig - an eine finanzielle Aufstockung des
«Rettungsschirm Sport».

Frage: Herr Härtel, die steigenden Infektionszahlen innerhalb der
Coronavirus-Pandemie ziehen einen zweiten Lockdown in Betracht des
Möglichen. Welche Auswirkungen würden sich für den Berliner Sport
ergeben?

Antwort: Ein zweiter Lockdown hätte auf den Berliner Sport
katastrophale Auswirkungen. Sowohl für den gemeinnützigen Sport, wie
auch für den Profisport. Die Sportmetropole Berlin lebt natürlich
auch von unseren Leuchttürmen wie den Volleys und den Füchsen und
Eisbären, Alba oder unseren Fußball-Bundesligisten. Aber der
gemeinnützige Sport lebt von seinen Angeboten für die Mitglieder. Und
wenn dann die entsprechenden Angebote wieder so zurückgefahren werden
müssen wie im ersten Lockdown, wäre das eine sehr bittere Entwicklung
für den gemeinnützigen Sport.

Frage: Gerade der Sport steht als nicht unbedingt kontaktlose
Aktivität für eine gewisse Infektionsgefahr. Wie wird diese
umschifft?

Antwort: Wir appellieren immer wieder an unsere Mitglieder, alles
Mögliche zu tun, um Abstands- und Hygieneregeln konsequent
einzuhalten. Je konsequenter wir unsere eigenen Hygiene- und
Abstandsregeln einhalten, umso mehr sind wir in der Lage zu zeigen,
dass wir im Sport kein signifikantes Infektionsgeschehen haben - im
Vergleich zu großen Hochzeitsfeiern oder anderen privaten Feiern.

Frage: Nach dem ersten Lockdown wurde der Rettungsschirm Sport
installiert. Wie viele Vereine haben bereits ein Teil der sechs
Millionen Euro für gemeinnützige Vereine in Anspruch genommen?

Antwort: Mittlerweile haben wir 300 Anfragen von Vereinen und
Verbänden vorliegen, von den Anträgen sind rund 150 bewilligt. Bei
vielen Nachfragen sind wir auch erst einmal beratend tätig. Der
Gesamtschaden der 300 eingereichten Anfragen beläuft sich auf fünf
Millionen Euro.

Frage: Das heißt, dass die Mittel bald erschöpft sind?

Antwort: Die Vereine sind in der Antragsstellung sehr zurückhaltend,
sie schauen genau, wo sie Hilfe benötigen und geben genau an, was sie
selbst leisten können - wenn zum Beispiel die Vereinsgaststätte
wieder öffnen konnte. So ergibt sich bisher eine bewilligte Förderung
von 1,5 Millionen Euro. Die Vereine sind auch selbst bemüht, ihren
Beitrag zu leisten, aus dieser Krise herauszukommen. Das Wichtigste
an der ganzen Entwicklung ist, dass wir in den Vereinen bisher nicht
die befürchteten Austritte haben. Die Mitglieder halten die Treue.
Das ist die beste Solidarität, die es gibt und das zeichnet den Sport
auch aus.

Frage: Hält die Solidarität auch einen zweiten Lockdown aus?

Antwort: Bei einem erneuten Lockdown entstehen möglicherweise neue
und auch noch mehr Notlagen und Angebote brechen wieder weg. Das
könnte zur Folge haben, dass es dann zum Ende des Jahres doch mehr
Austritte gäbe, als allen lieb ist, weil bestimmte Angebote nicht
aufrechterhalten werden können.

Frage: Das heißt, dass Sie auch noch Anträge auf finanzielle
Unterstützung erwarten?

Antwort: Wir erwarten weitere Anträge. Gerade die Vereine im
Gesundheits- und Rehasport müssen sich auf kleinere Gruppen
einstellen. Zudem müssen Kräfte für die Umsetzung der Hygieneregeln
sorgen. Das bedeutet eine zusätzliche finanzielle Belastung. Damit
diese zusätzlichen Belastungen durch den Rettungsschirm abgedeckt
werden, sind wir gerade mit der Senatsverwaltung im Gespräch und sind
auch optimistisch, dass wir das hinbekommen.

Frage: Und wenn die finanziellen Mittel des «Rettungsschirm Sport»
nicht ausreichen?

Antwort: Eins haben wir positiv erfahren: Das Vertrauen der
Senatsverwaltung und des Parlaments in den Landessportbund ist sehr
groß. Sportsenator Andreas Geisel hat uns klar und deutlich
signalisiert, dass auch die zusätzlichen Belastungen des
Rettungsschirms aus seiner Sicht vertretbar sind. Er hat auch
angeboten, dass wir Anfang/Mitte November in die Bewertung des
Rettungsschirms einsteigen und dann schauen, wie es weitergeht.
Sollte ein weiterer Lockdown kommen, könnte man auch über eine
Aufstockung reden.

Frage: Glauben Sie daran, dass alle Vereine einen zweiten Lockdown
überleben werden?

Antwort: Gerade in diesen Zeiten zeigt sich: Wenn ein Verein
funktioniert und gut aufgestellt ist, übersteht er auch diese
Pandemie und wird auch für künftige Herausforderungen gewappnet sein.
In Krisen wird es immer Verlierer geben und es wird Gewinner geben.
In solchen Krisen liegt die Chance, nach vorne zu schauen und der
Sport kann zeigen, dass er lebt.

Frage: Welche Chancen hat der Sport?

Antwort: «Albas tägliche Sportstunde» ist ein tolles Angebot. Wir
haben mit fünf Vereinen «Move at Home» mit Unterstützung des rbb
initialisiert, wie man Übungen daheim anwenden kann. Das zeigt, dass
die Übungsleiterinnen und Übungsleiter bereit sind, auf diesen Wegen
mitzugehen. Man kann auf diese Weise den Kontakt aufrechterhalten.
Die Vereine, die sich da auf den Weg gemacht haben, die haben auch
eine Zukunft. Die Digitalisierung führt auch dazu, dass der einzelne
Verein über den Tellerrand schaut zum Nachbarverein. Daraus können
dann Kooperationen entstehen.

Frage: Wird der Sport irgendwann die Chance haben, zu einer
Normalität zurückzukehren?

Antwort: Die Normalität wird künftig anders aussehen - im Bereich der
Hygieneregeln, der Fitnessangebote, in der Reha, in den Sporthallen,
in den Angeboten, die wir machen. Dabei müssen wir die Infrastruktur
stärker in den Fokus nehmen. Da, wo jahrelang nicht saniert wurde, wo
Sportstätten verfallen, wo nicht regelmäßig saniert wird, da bekommen

wir ein Problem - auch ohne Pandemie. Diese Aspekte sind ganz wichtig
für den zukünftigen Weg.

Frage: Der Marathon musste ausfallen, das Istaf fand vor 3500
Zuschauern statt. Weitere Ausfälle würden die Veranstalter nicht
überleben, sind bisher bei den Förderungen nicht berücksichtigt
worden.

Antwort: Ich habe wiederholt auch in der Diskussion mit dem Bund
deutlich gemacht, der zusätzlich 200 Millionen Euro zur Verfügung
stellen möchte, dass auch unsere Leuchttürme wie der Berlin-Marathon
oder das Istaf auch gefördert werden müssen, die Gewinne für die
Stadt sind. Deshalb muss man das im Blick haben. Es ist nicht nur der
Sportler, der da läuft, sondern wir tun auch etwas für die Menschen
und die Familien, die sich freuen. Diese Freude fehlt derzeit.

Zur Person: Thomas Härtel (69) ist seit 2018 Präsident des
Landessportbundes Berlin. Er war während seiner politischen Karriere
unter anderem Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Bildung,
Jugend und Sport sowie später für Inneres und Sport in der Berliner
Senatsverwaltung.