Virologe Schmidt-Chanasit: Corona-Regeln in Hamburg sind ausreichend

In Hamburg drohen weitere Eischränkungen, wenn die Corona-Zahlen
weiter steigen. Auch eine Sperrstunde für Bars und Restaurants ist im
Gespräch. Nach Ansicht des Virologen Jonas Schmidt-Chanasit reichen
die bisherigen Regeln aus - nur eingehalten werden müssen sie.

Hamburg (dpa/lno) - Der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit
hält schärfere Corona-Maßnahmen mit flächendeckenden Sperrstunden f
ür
Bars und Restaurants wie in Berlin in der Hansestadt für nicht
zielführend. «Die bestehenden Regeln reichen absolut aus und haben
funktioniert», sagte der Professor vom Bernhard-Nocht-Institut für
Tropenmedizin der Deutschen Presse-Agentur. Er hoffe, dass man in
Hamburg «stärker zielgerichtet einschreitet, da wo wirklich die
Probleme sind.»

Es gehe um die Dynamik der Infektionen. «Ein singuläres
Ausbruchsgeschehen, sagen wir die Hochzeitsfeier einer Großfamilie,
kann ja dazu führen, dass die Inzidenz von 35 überschritten wird. Und
wenn das der Fall ist, sollte das nicht Anlass sein, massenhaft
Restaurants und Bars um 23.00 Uhr zu schließen. Das wäre nicht
zielgerichtet.»

Hintergrund ist die Ankündigung des rot-grünen Senats, die Maßnahmen

zur Eindämmung der Pandemie zu verschärfen, sollte der sogenannte
Inzidenzwert drei Tage über 35 liegen. Der Wert gibt die Zahl der
Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen an und lag
am Donnerstag mit 36,1 erstmals seit Mitte April wieder über der
35er-Marke. Sollte er auf dem Niveau bleiben, tritt ab Montag eine
verschärfte Maskenpflicht in Restaurants, Einzelhandel und auf
öffentlichen Plätzen in Kraft.

Für den Fall, dass der Wert weiter steigt, hatte Wirtschaftssenator
Michael Westhagemann für die Gastronomie auch «eine mögliche
Sperrstunde, ein Alkoholverbot oder eine deutliche Reduzierung der
gleichzeitig anwesenden Gäste» ins Spiel gebracht.

«Eigentlich ist uns allen doch klar, wo die Infektionen auftreten»,
sagte Schmidt-Chanasit. Letztlich gehe es darum, dass das, was schon
beschlossen ist und was alle schon kennen würden, umgesetzt werde.
«Es können eben keine Familienfeiern mit 600 Leuten stattfinden, die
dann durch die Stadt fahren. Das geht einfach nicht und das leuchtet,
glaube ich, auch jedem ein.» Auch, dass man sich an Regeln halten
müsse, wenn man in Restaurants oder Bars gehe.

«Es gibt aber diese spürbare Zunahme der Corona-Müdigkeit. Vor allem

jüngere Leute halten sich weniger daran», sagte der Virologe. «Da
kann man - oder muss man - mit Kontrollen sehr viel mehr erreichen.
Und da, wo es nicht klappt, muss man die Betriebe dann eben
schließen. Das wurde ja in den vergangenen Wochen auch schon in
Hamburg gut gemacht und das finde ich dann auch verhältnismäßig.»

Wichtig sei aber auch, jungen Leuten Angebote für sichere
Veranstaltungen zu machen, zu denen sie gehen könnten. «Ansonsten
verschiebt es sich in den illegalen Bereich, der eben nicht zu
kontrollieren ist.»

Auch in puncto Einschränkung des Alkoholverkaufs müsse man
differenzieren, sagte Schmidt-Chanasit. «Wenn man jetzt keinen Wein
mehr trinken dürfte im Restaurant, wo ein Hygienekonzept vorliegt und
man sich ja eigentlich gar nicht anstecken kann, das wäre wieder
unverhältnismäßig.» Mit solchen pauschalen Regelungen würde man v
iele
von denen treffen, «die sich jetzt wochenlang sehr strikt an Regeln
gehalten haben». Das führe wiederum zu Unverständnis in der
Bevölkerung, «weil die Menschen die Sinnhaftigkeit nicht mehr sehen».


Zwar gebe es bei der Ausbreitung der Pandemie einen Punkt, an dem ein
Kontrollverlust droht. «Und das assoziiere ich immer mit der zweiten
Welle. Die zweite Welle ist für mich letztendlich der
Kontrollverlust», so der Virologe. Dieser Punkt variiere aber von
Stadt zu Stadt und von Landkreis zu Landkreis, weil Kapazitäten und
Ausstattung der Gesundheitsämter und die gesellschaftlichen
Strukturen jeweils anders seien, sagte Schmidt-Chanasit.

«Für Berlin-Neukölln würde ich sagen, da steht es schon auf der
Kippe. Aber für Hamburg sehe ich das noch nicht.» In Berlin-Neukölln

lag die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben
Tagen am Donnerstag bei 114,3. In ganz Berlin wurde die kritische
Schwelle von 50 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner in sieben Tagen
erstmals überschritten; er stieg auf 52,8.