Berlin überschreitet Corona-Warnwert - Müller «sehr besorgt»

Seit Wochen steigen die Berliner Corona-Fallzahlen deutlich. Der
Senat hat reagiert und unter anderem eine Sperrstunde beschlossen.
Nun kommt die nächste Hiobsbotschaft.

Berlin (dpa/bb) - Der starke Anstieg der Corona-Infektionen mit
gleich mehreren Rekordwerten am Donnerstag könnte neue Beschränkungen
in der Hauptstadt zur Folge haben. «Es ist nicht auszuschließen, dass
wir uns vor diesem Hintergrund noch auf weitere Schritte verständigen
müssen», sagte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD).
«Einen Lockdown, wie wir ihn schon hatten, wollen wir unbedingt
vermeiden», fügte er hinzu.

Schon seit geraumer Zeit steigen die Corona-Zahlen in Berlin. Am
Donnerstag nun überschritt die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro
100 000 Einwohner innerhalb der vergangenen sieben Tage erstmals den
wichtigen Warnwert 50. Sie stieg auf 52,8, wie aus dem Corona-
Lagebericht der Gesundheitsverwaltung hervorgeht.

Berlin gilt nun nach den Kriterien des Robert Koch-Instituts als
Risikogebiet. Folge sind zunächst Reisebeschränkungen für Berliner in

anderen Bundesländern. In mehreren Berliner Bezirken liegt die
sogenannte Sieben-Tages-Inzidenz schon einige Tage teils weit über
50. Am Donnerstag meldete das Gesundheitsamt für Neukölln 114,3, was
bundesweit ein Spitzenwert ist. Es folgen Mitte (78,3),
Tempelhof-Schöneberg (72,4) und Friedrichshain-Kreuzberg (68,9).

Laut Lagebericht kamen am Donnerstag in Berlin 498 neue bestätigte
Corona-Fälle hinzu. Das ist der stärkste Anstieg seit Beginn der
Pandemie. Insgesamt erkrankten damit bislang nachgewiesen 17 112
Menschen in der Hauptstadt an Covid-19. 13 965 gelten als genesen -
178 mehr als am Vortag. Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit
Corona stieg um einen auf 233.

«Diese Entwicklung bereitet mir große Sorge», so Müller. «Sie zei
gt,
wie wichtig es ist, dass wir im Senat weitere Einschränkungen diese
Woche beschlossen haben.» Müller appellierte an die Menschen, keine
wilden Partys mehr draußen wie drinnen zu feiern, sich an
Abstandsregeln zu halten und soziale Kontakte einzuschränken. «Wir
sind in einer Situation, wo wir erneut aufeinander achten müssen.»

Am vergangenen Dienstag hatte der Berliner Senat bereits weitere
Maßnahmen zur Eindämmung des Virus beschlossen: Diese zielen mit
einer nächtlichen Sperrstunde von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr und
strengeren Kontaktverboten für drinnen und draußen besonders auf das
Nachtleben ab. Die Regeln gelten ab Samstag (10. Oktober) und sind
zunächst bis Ende Oktober befristet.

Die Behörden führten den Fallzahlenanstieg in den vergangenen Wochen
insbesondere auf private Feiern und illegale Partys zurück. Seit 3.
Oktober gelten in Berlin bereits weitere Beschränkungen, darunter
eine Maskenpflicht in Bürogebäuden. Bis sich solche Maßnahmen in den

Infektionszahlen niederschlagen können, dauert es einige Zeit.

Die Marke von 50 Corona-Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner
innerhalb der vergangenen Woche gilt als ein zentrales Kriterium:
Bund und Länder hatten vereinbart, dass in besonders betroffenen
Gebieten, die den Wert überschreiten, örtliche Gegenmaßnahmen
ergriffen werden. Für den Berliner Senat ist indes ein eigenes
Frühwarnsystem entscheidend: Die Corona-Ampel.

Dabei ist die Zahl der Neuinfektionen nur einer von drei Indikatoren.
Berücksichtigt werden auch die sogenannte Reproduktionszahl, bei der
die Ampel aktuell auf Gelb steht, und die Belegung von Intensivbetten
mit Corona-Infizierten - hier steht die Ampel auf Grün.

Die stark steigenden Infektionszahlen dürften vielen Berlinern bei
ihren Plänen für die Herbstferien endgültig einen Strich durch die
Rechnung machen. In vielen deutschen Regionen können sie nicht mehr
einfach ins Hotel oder in die Ferienwohnung.

Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci empfiehlt, zu Hause zu bleiben.
«Pandemiezeit ist weder Partyzeit noch Reisezeit», sagte die
SPD-Politikerin und Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz in
der ARD. «Deswegen finde ich, auch wenn die Regelungen bundesweit
unterschiedlich sind: Es ist jetzt einfach nicht die Reisezeit.»

Kalayci hält es nicht für sachgerecht, dass wegen Corona-Vorgaben bei
innerdeutschen Urlaubsreisen nun möglicherweise viele Reisewillige
getestet werden. «Wir dürfen die Testkapazitäten jetzt nicht für
Reisewillige verschenken. Die Kapazitäten brauchen wir woanders.»

Die Länder hatten am Mittwoch mehrheitlich beschlossen, dass Reisende
aus Gebieten mit sehr hohen Infektionszahlen nur dann beherbergt
werden dürfen, wenn sie einen höchstens 48 Stunden alten negativen
Corona-Test haben. Greifen soll dies für Reisende aus Gebieten mit
mehr als 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohnern binnen sieben Tagen.
Einige Länder - auch Berlin - wollen das indes nicht umsetzen.

Der Vorsitzende des Hausärzteverbands Berlin und Brandenburg,
Wolfgang Kreischer, rief angesichts der Lage ebenfalls dazu auf, auf
Reisen zu verzichten. Die Menschen sollten zu Hause bleiben und so
die zweite Welle vermeiden, sagte er.

Wer für sein Urlaubsziel einen negativen Corona-Test braucht, dürfte
es ohnehin vielfach nicht leicht haben in Berlin: Nach Einschätzung
des Amtsarztes im Bezirk Reinickendorf, Patrick Larscheid, dauert es
oft mehr als 48 Stunden, bis das Ergebnis vorliegt. In Berlin seien
die Testkapazitäten am Anschlag.