Ausnahmezustand im Kreis Esslingen - Warten auf den Rachenabstrich Von Felix Schröder, dpa

Esslingen ist Baden-Württembergs erster Corona-«Hotspot». Immer mehr

infizieren sich dort mit dem Virus. Die Menschen sind besorgt. Im
Testzentrum stauen sich die Autos.

Esslingen (dpa/lsw) - Das Coronavirus ist eigentlich unsichtbar. Aber
wenn man die lange Schlange vor der Abstrich-Station in Nürtingen
beobachtet, zeigt sich der Ausnahmezustand, den der Erreger
anrichtet, hier im Kreis Esslingen. Eine Mutter und ihre Tochter
warten mit Fieber und schweißnassen Gesichtern zwei Stunden im Auto.
Zwei Mitarbeiter eines großen Konzerns lassen sich testen, damit sie
Zutritt in ein Hotel in Sachsen bekommen. Der Kreis Esslingen ist nun
der erste Corona-«Hotspot» in Baden-Württemberg.

Der Landkreis hat als erste Region im Südwesten die Grenze von 50
Corona-Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben
Tagen überschritten. Deshalb wird das öffentliche Leben
eingeschränkt: Am Donnerstag verkündete Landrat Heinz Eininger eine
ab Freitag geltende Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen wie
Fußgängerzonen und Wochenmärkten. Die erlaubte Anzahl der Menschen
bei privaten und öffentlichen Feiern wird stark eingeschränkt - wer
öffentlich mit mehr als 25 Besuchern und zu Hause mit mehr als zehn
Menschen feiert, muss mit Bußgeldern rechnen.

Den meisten Autofahrern im Testzentrum ist nicht nach Feiern zumute.
Ein Mann wartet im Auto mit starken Kopfschmerzen und Schüttelfrost.
Der Familienvater weiß nicht wirklich, wo er sich angesteckt haben
könnte. Aber er vermutet, dass die hohe Zahl an Neuinfektionen auch
an dem dicht besiedelten Ballungsraum in Esslingen liegen könnte.
Diese Auffassung teilt auch Landrat Eininger. Bei einer extra dafür
anberaumten Pressekonferenz führt er die steigenden Corona-Zahlen
allerdings vor allem auf Reiserückkehrer aus den Balkanstaaten und
der Türkei zurück, die das Virus nach ihrer Rückkehr in ihre Familien

tragen. Ein Infektionsherd im Kreis Esslingen ist ein Frachtzentrum
der DHL in der Gemeinde Köngen.

Mehr als zwei, teilweise bis zu dreieinhalb Stunden mussten die
Autofahrer in den vergangenen Tagen auf das Stäbchen im Rachen in der
Abstrichstelle in Nürtingen warten, wie Christian Knapp sagt. Er
arbeitet als stellvertretender Rettungsdienstleiter in Esslingen und
Nürtingen. «Die Anfragen beim Kassenärztlichen Notdienst über die
Rufnummer 116 117 sind um 500 Prozent innerhalb der letzten drei Tage
gestiegen», sagt Knapp. Die Mitarbeiter seien am Limit.

Auch die Hausärzte sind laut Knapp überlastet. Aber die Menschen mit
Verdacht auf Corona wollten eben Informationen und seien auch an
Details zum Erkrankungsbild interessiert. Problematisch werde es
aber, wenn die Wartezeit für die Informationsnummer vielen zu lang
werde und sie anschließend den Notruf wählten. «Das ist
kontraproduktiv, wenn es sich nicht um einen Notfall handelt.»

Neben dem Testzentrum in Nürtingen soll eine weitere Abstrichstelle
bei der Messe Stuttgart wiedereröffnen, die bereits im Frühjahr
genutzt worden war. Aktuell gibt es Gespräche zwischen dem Kreis, der
Malteser-Hilfsorganisation und niedergelassenen Ärzten. «Im Laufe der
nächsten Woche soll das Zentrum eröffnet werden», teilte Landrat
Eininger mit.

Nach Ansicht von Rettungsdienstleiter Knapp ist es nun wichtig, wenn
sich die Menschen über die Stadt und Medien informieren. Nicht jedes
kleine körperliche Wehwehchen solle zu einem Anruf und Besuch der
Abstrichstellen führen. «Sonst kommen wir irgendwann an
Kapazitätsgrenzen nur um jemanden zu testen, der eigentlich keine
Symptome hat», sagt Knapp.