Alarmstufe Rot in Esslingen - Landkreis verkündet Maskenpflicht

Der Kreis Esslingen ist der Corona-«Hotspot» im Land. Das öffentliche

Leben dort wird nun eingeschränkt. Werden andere Regionen folgen?

Stuttgart (dpa/lsw) - Mit verschärften Auflagen will der Kreis
Esslingen gegen die stark ansteigenden Corona-Infektionen in der
Region ankämpfen und eine Eskalation der Lage noch abwenden. Ab
Freitag müssen im ersten baden-württembergischen Corona-«Hotspot» a
uf
öffentlichen Plätzen wie in der Fußgängerzone oder auf Wochenmärk
ten
Masken getragen werden, wenn kein ausreichender Abstand eingehalten
werden kann. Das verkündete Landrat Heinz Eininger am Donnerstag auf
einer spontan anberaumten Pressekonferenz in Esslingen. Außerdem sind
private Feiern in öffentlichen oder angemieteten Räumen nur noch
erlaubt, wenn höchstens noch 25 Menschen teilnehmen. In privaten
Räumen dürfen nicht mehr als zehn Menschen zusammenkommen.

Im ganzen Land bleibt die Pandemielage angespannt. Die Zahl der
nachgewiesenen Coronavirus-Infektionen stieg am Donnerstag im
Vergleich zum Vortag um 584 Fälle. Insgesamt haben sich nun 52 806
Menschen nachweislich mit dem Erreger Sars-CoV-2 angesteckt. Die Zahl
der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus blieb konstant bei 1898.

Der Kreis Esslingen lag am Donnerstag weiter über der Kennziffer von
50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen.
Der Wert stieg sogar auf 54,6, wie die Gesundheitsbehörden
mitteilten. Die Landeshauptstadt Stuttgart bewegt sich mit 43,7
weiter auf diese kritische Marke zu. Ansonsten lag kein Landkreis
über der Vorwarnstufe von 35 - mehrere aber knapp darunter, wie der
Kreis Göppingen mit 34,9.

In Esslingen greift angesichts der hohen Infektionszahlen nun auch
das Beherbergungsverbot. Die Länder hatten am Mittwoch mehrheitlich
beschlossen, dass Menschen aus Orten mit sehr hohen
Corona-Infektionszahlen nur dann beherbergt werden dürfen, wenn sie
einen höchstens 48 Stunden alten negativen Corona-Test haben. Greifen
soll dies für Reisende aus Gebieten mit mehr als 50 Neuinfektionen je
100 000 Einwohnern binnen sieben Tagen - also auch für den Kreis
Esslingen. Fünf Bundesländer hatten zu dem Beschluss aber abweichende
Erklärungen abgegeben.

Nach Angaben Einingers ist einer der Infektionsherde im Kreis ein
Frachtzentrum der DHL in der Gemeinde Köngen. Dort arbeiteten
Flüchtlinge, die in Gemeinschaftsunterkünften in der Nähe wohnten.
Insgesamt seien zudem mindestens 26 Schulen, fünf Kindertagesstätten
und neun Flüchtlingsheime von Ausbrüchen im Landkreis betroffen,
sagte Eininger. Aus Pflegeheimen sei kein Fall bekannt.

Die im Paketzentrum positiv getesteten Mitarbeiter sowie deren
Kontaktpersonen hätten sich unmittelbar nach Bekanntwerden der
Infektionsfälle in Quarantäne begeben, teilte ein DHL-Sprecher mit.
«Derzeit gibt es übrigens keine abschließenden Erkenntnisse darüber
,
ob sich Mitarbeiter im beruflichen Umfeld infiziert haben oder im
privaten Umfeld.» Man habe in sämtlichen Bereichen des Betriebs
frühzeitig Vorkehrungen getroffen, etwa Hygienekonzepte oder den
Einsatz von Luftfiltern in Paketzentren.

Landrat Eininger führt die steigenden Corona-Zahlen vor allem auf
Reiserückkehrer aus den Balkanstaaten und aus der Türkei zurück, die

das Virus in ihren hier lebenden Familien verbreiteten. «Und aus den
Familien heraus wird es dann in die Kitas, Schulen und Betriebe
getragen», sagte Eininger. In der Türkei werde Corona von der
Staatsführung eher verharmlost, von dort kämen die Menschen zurück in

die Region. Der Ausländeranteil im Kreis liege bei etwa 27 Prozent,
sagte der Landrat. «Vor dem Hintergrund ist das, denke ich, auch
erklärbar, dass wir hier mehr als in anderen Landkreisen einen
stärkeren Aufwuchs der Fallzahlen im Augenblick sehen.» Der Landkreis
sei zudem «hochdichtbesiedelt».

Nach wie vor gebe es ein diffuses Infektionsgeschehen, so der
Landrat. Zwei Drittel der Infizierten seien zwischen 20 und 40 Jahre
alt und hätten viel mehr Kontakte. 50 Mitarbeiter aus anderen
Bereichen des Landratsamtes unterstützten bei der Nachverfolgung von
Kontakten.

Der Kreis will nun mehr Menschen auf Corona testen. Im bestehende
Abstrichzentrum in Nürtingen ließen sich wieder mehr Menschen testen,
sagte Christian Baron aus dem Landratsamt. Dort könne man pro Tag 600
Tests durchführen. Mit einem zweiten Abstrich-Zentrum, das nun auf
der Messe wieder eröffnet werden soll, könne man täglich mehr als
1000 Menschen testen. Im Kreis leben 530 000 Einwohner.

Landrat Eininger berichtete, dass wieder mehr Menschen mit schwerem
Krankheitsverlauf stationär in Kliniken aufgenommen werden müssten.
So befänden sich etwa in Kirchheim unter Teck drei Patienten auf der
Isolationsstation. In Nürtingen seien fünf Patienten isoliert - zwei
davon auf der Intensivstation. Sie müssten beatmet werden. In Ruit
wird ein Patient auf der Intensivstation versorgt.

Der Kreis Esslingen hatte am Vortag als erste Region im Land die
kritische Marke von 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb
von sieben Tagen überschritten. Er gilt nun offiziell als einer von
aktuell rund zehn innerdeutschen «Hotspots». «Und der Kreis Esslingen

lag bislang immer 14 Tage vor den anderen», sagte Eininger.

Trotz der ansteigenden Infektionszahlen klagte die FDP-Fraktion über
Alarmismus und kritisierte erneut das Vorgehen der Landesregierung.
«Wir fordern die Landesregierung auf, von ihrer Zahlenfixierung der
positiven Laborergebnisse bei COVID-19 weg zu kommen», teilten der
Fraktionsvorsitzende Hans-Ulrich Rülke und der gesundheitspolitische
Sprecher, Jochen Haußmann, mit. So müssten etwa schwere
Krankheitsverläufe berücksichtigt werden. «Ein Alarmismus anhand von

unreflektierten Zahlen trägt jedoch nur zur Verunsicherung bei.» Ein
Wettlauf um die Einschränkung von Freiheitsrechten helfe nicht
weiter.