Wie kranken Zellen mit einer besonderen Schere geholfen wird Interview: Steffen Trumpf, dpa

Zwei Wissenschaftlerinnen werden in diesem Jahr mit dem Nobelpreis
für Chemie geehrt, weil sie eine bahnbrechende Methode zur
Erbgut-Veränderung entwickelt haben. Mit der Genschere lässt sich das
Erbgut etwa bei Krankheiten verändern.

Stockholm (dpa) - Dank der Arbeit der beiden diesjährigen
Chemie-Nobelpreisträgerinnen kann bei Genen die Schere angesetzt
werden. Das von Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna
entwickelte Verfahren ist ein entscheidendes Werkzeug im Kampf gegen
Krankheiten, wie Johan Åqvist vom Chemie-Nobelkomitee der
Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm sagt.

Frage: Wie lässt sich die Bedeutung der Entdeckungen von Emmanuelle
Charpentier und Jennifer Doudna am besten bemessen?

Antwort: Es gab ja eine Menge Spekulationen, dass sie den Preis
bekommen, und es ging tatsächlich ungewöhnlich schnell, kann man
sagen. Die Entdeckungen, für die sie ausgezeichnet werden, wurden
gerade einmal vor weniger als zehn Jahren gemacht. Das zeigt, welch
enormen Einfluss diese Methode sowohl auf die biomedizinische
Forschung als auch auf verschiedene Anwendungsbereiche gehabt hat.

Frage: Inwieweit hilft diese Genschere der Menschheit?

Antwort: Im Moment nutzt man sie, um einige Erbkrankheiten
anzugreifen. Die Sichelzellanämie ist da ein klassisches Beispiel.
Dabei hat man Störungen im Hämoglobin. Man kann dort hineingehen und
den Fehler in den roten Blutkörperchen korrigieren. Außerdem kann
diese Methode bei Arzneimitteln und Medikamenten benutzt werden, um
zu verifizieren, ob man das verändern kann, für das die Mittel
gedacht sind. Funktioniert ein Medikament oder nicht? Es ist also
auch in der pharmazeutischen Forschung ein sehr wichtiges Werkzeug.

Frage: Der Begriff Genetik enthält beinahe auch den Begriff Ethik.
Tatsächlich spielen ethische Bedenken in der Genetik eine große
Rolle. Was wird getan, damit Entdeckungen wie diese nicht missbraucht
werden?

Antwort: Die gesamte internationale Gemeinschaft hat bei der
Gentechnologie bereits sehr strikte Vorschriften und Gesetze. Die
Gentechnik gibt es seit über 40 Jahren. Wir wissen, wie wir im
Prinzip mit ihr umzugehen haben. Natürlich besteht dabei immer das
Risiko, dass sie jemand missbraucht. Aber es gibt ein sehr starkes
Bewusstsein dafür, wo die Grenzen liegen, was man tun darf und was
nicht. Es herrscht weltweiter Konsens, wo die Grenzen für diese Art
von Technologie liegen sollten. Aber wie bei vielen anderen
Technologien wie etwa auch Atombomben kann das Wissen manchmal für
böse Dinge benutzt werden.

Frage: Den diesjährigen Chemie-Nobelpreis teilen sich zwei
Wissenschaftlerinnen. Startet eine neue Ära in der Geschichte der
Nobelpreise mit mehr und mehr Frauen unter den Preisträgern?

Antwort: Die Preise werden ohne jegliche Berücksichtigung des
Geschlechts vergeben. Die Preisträger werden dafür ausgezeichnet, was
sie getan haben. In diesem Fall waren diese beiden Preisträgerinnen
eindeutig diejenigen, die diese fantastische Entdeckung gemacht
haben. Aber allgemein gesprochen: Da zwischen der getätigten Arbeit
und dem Gewinn des Preises eine gewisse Zeit vergeht, könnten sich
die Dinge in bestimmten Feldern verändern. In der Chemie sind heute
mehr Frauen aktiv. Deshalb könnte es sein, dass man in der Hinsicht
in der Tat einen Trend sehen wird.

ZUR PERSON: Johan Åqvist gehört dem für den Chemie-Nobelpreis
zuständigen Nobelkomitee der Königlich-Schwedischen Akademie der
Wissenschaften in Stockholm an. Er ist Professor am Institut für
Zell- und Molekularbiologie an der Universität in Uppsala.