Berliner Senat ringt sich zu Sperrstunde und Beschränkungen durch

In der Hauptstadt steigt die Zahl der Corona-Infektionen. Der
Berliner Senat hat lange beraten und beschließt neue Maßnahmen gegen
die Pandemie.

Berlin (dpa) - Nachdem die Zahl der Corona-Infektionen zuletzt immer
weiter gestiegen ist, gelten in Berlin bald eine nächtliche
Sperrstunde und strengere Kontaktverbote für drinnen und draußen.

Die meisten Geschäfte sowie alle Restaurants und Bars müssen von
23.00 Uhr bis 06.00 Uhr schließen. Ausnahmen sind etwa für Apotheken
oder Tankstellen geplant, letztere dürfen in der Nacht aber keinen
Alkohol mehr verkaufen.

Im Freien dürfen sich von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr nur noch fünf
Personen oder Menschen aus zwei Haushalten versammeln. An privaten
Feiern in geschlossenen Räumen dürfen nur noch maximal 10 statt
bisher 25 Personen teilnehmen.

Das beschloss der Senat am Dienstag und zielt damit vor allem auf
private Feiern und illegale Partys, die die Berliner Behörden als
Treiber des Infektionsgeschehens sehen. Die neuen Regeln sollen ab
Samstag gelten - und sind zunächst bis 31. Oktober befristet.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) verteidigte
die Entscheidungen: «Ich bitte Sie alle einzuordnen, wie die
Situation wäre, wenn wir nicht entschlossen handeln», sagte er am
Dienstagabend nach der Sondersitzung des Senats. «Wir würden in eine
Situation kommen über kurz oder lang, wo wir noch ganz andere
Maßnahmen ergreifen müssten in Richtung eines Lockdowns, wo es nicht
Einschränkungen geben würde für die Gastronomie zum Beispiel, sondern

überhaupt keine Möglichkeit mehr, gastronomische Betriebe aufrecht zu
erhalten.» Das gelte es zu verhindern.

Auch Kultursenator und Bürgermeister Klaus Lederer (Linke) warnte vor
schlimmeren Folgen. «Die Lage ist eindeutig sehr ernst», sagte er.
Wenn der Anstieg der Neuinfektionen nicht abgefangen werde, dann sei
zu einem an einen Lockdown erinnernden Zustand wie im März und April
kaum eine Alternative denkbar. Lederer sagte, das gesellschaftliche
Leben müsse verlangsamt werden. «Wir müssen alle Menschen auffordern,

auf unnötige soziale Kontakte zu verzichten, private Kontakte auch
einzuschränken.»

Nach den Worten von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) werden auch
die Bußgelder für Verstöße gegen die Corona-Regeln erhöht. Er
ermunterte zudem die Bezirke ausdrücklich, Gastro-Betriebe bei
Verstößen vermehrt dauerhaft zu schließen, wenn nichts anderes helfe.


Nach Angaben der Politiker könnten auch Teile der Verwaltung wieder
stärker heruntergefahren werden, um Ansteckungsgefahren zu
verringern. Oder umorganisiert, um Beschäftigte dort einzusetzen, wo
sie im Moment besonders gebraucht werden, etwa bei der Nachverfolgung
von Kontakten. Der Service in den Bürgerämtern, wo es während der
Pandemie zwischenzeitlich große Probleme gab und teils noch gibt,
solle «leistungsfähig» bleiben, betonte Müller.

Der Regierungschef wies Kritik an Berlin zurück. Auch andere große
Städte wie München, Köln oder Frankfurt hätten überdurchschnittli
ch
hohe Werte bei den Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb
von sieben Tagen. «Wer kann eigentlich auf dieser Grundlage mit dem
Finger auf wen zeigen?», fragte er. «Wir haben alle was zu tun.»

Erst seit vergangenem Samstag gelten in Berlin neue Beschränkungen,
die der Senat in der Vorwoche beschlossen hatte: Private Feiern im
Freien mit mehr als 50 Teilnehmern sind seitdem verboten. In
geschlossenen Räumen gilt eine Obergrenze von 25 Teilnehmern. Neu ist
auch eine Maskenpflicht in Bürogebäuden.

Trotz dieser Beschlüsse war Berlin wegen des raschen Anstiegs der
Infektionszahlen weiter unter Druck geraten. Mehrfach forderten
Vertreter der Bundesregierung öffentlich, die Stadt möge mehr zur
Bekämpfung der Corona-Pandemie und zur Durchsetzung der Regeln tun,
zuletzt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

Unterdessen zeigt das Berliner Ampelsystem zur Bewertung der
Corona-Lage dem Senat zum ersten Mal Handlungsbedarf an. Laut
Gesundheitsverwaltung liegt nunmehr neben der Zahl der Neuinfektionen
im Verhältnis zur Einwohnerzahl in den vergangenen sieben Tagen auch
die Reproduktionszahl über den als kritisch definierten Grenzwerten.
Damit steht die Ampel nun auf Doppel-Rot. Für diesen Fall hatte der
Senat vereinbart, dass die Umsetzung von Maßnahmen erforderlich wird.

Die Corona-Ampel berücksichtigt drei Indikatoren: die
Reproduktionszahl (kurz R-Wert), die Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner in den vergangenen sieben Tagen und die Auslastung der
Intensivbetten mit Covid-19-Patienten. Für jedes Kriterium wurden
Grenzwerte definiert. Werden sie mindestens drei Mal in Folge
überschritten, wechselt die Ampelfarbe.

Auf Rot gesprungen ist die Ampel nun auch bei der Reproduktionszahl -
mit einem Wert von 1,26. Das bedeutet, dass ein Infizierter mehr als
einen anderen Menschen ansteckt. Um die Pandemie zu bremsen, müsste
der Wert kleiner als 1 sein. Bei den Neuinfektionen pro 100 000
Einwohner in den vergangenen sieben Tagen wird inzwischen ein Wert
von 44,2 erreicht - und liegt damit nur noch knapp unter der als
kritisch eingestuften Schwelle von 50. In den Innenstadtbezirken sind
die Werte deutlich höher als am Stadtrand, Neukölln sticht mit 87,3
heraus. Das Ampelsystem war im Mai in Berlin eingeführt worden.