Physik-Nobelpreis an Deutschen für Erforschung Schwarzer Löcher

Der Physik-Nobelpreis geht in diesem Jahr auch nach Deutschland:
Reinhard Genzel teilt sich ihn mit einer US-Forscherin und einem
Briten. Andrea Ghez ist erst die vierte Frau, die diesen Preis
erhält.

Stockholm (dpa) - Für die Erforschung eines Schwarzen Lochs erhält
der deutsche Astrophysiker Reinhard Genzel in diesem Jahr den
Nobelpreis für Physik. Der 68-Jährige hatte zugleich mit der
US-Forscherin Andrea Ghez das supermassereiche Schwarze Loch im
Zentrum unserer Milchstraße entdeckt. Dafür erhalten die beiden die
eine Hälfte des Preises, wie die Königlich-Schwedische Akademie der
Wissenschaften am Dienstag in Stockholm mitteilte. Die zweite Hälfte
geht an den Briten Roger Penrose, der erkannte, dass die Bildung von
Schwarzen Löchern eine Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie
ist.

Geboren wurde Genzel 1952 im hessischen Bad Homburg, er studierte in
Freiburg und Bonn und arbeitete später unter anderem in den USA.
Schon sein Vater war Physiker - und ebenfalls Max-Planck-Direktor.
Den Nobelpreis sieht der Astrophysiker vom Max-Planck-Institut für
extraterrestrische Physik (MPE) auch als Ehre für sein ganzes Team.
Jetzt dürfe man sich aber nicht darauf ausruhen und einschlafen. «Von
nix kommt nix.»

Genzel und Ghez (55) entdeckten mit Hilfe riesiger Teleskope
unabhängig voneinander, dass ein unsichtbares und extrem schweres
Objekt die Umlaufbahnen der Sterne im Zentrum unserer Galaxie
beherrscht. Ein supermassereiches Schwarzes Loch sei dafür die
einzige derzeit bekannte Erklärung, erläuterte die Akademie. Beide
hatten seit Anfang der 1990er Jahre Forschungsgruppen geleitet, die
sich mit dem Zentrum unserer Galaxie beschäftigen.

«Das war eine Frage der Zeit», sagte Dieter Breitschwerdt,
Astrophysiker an der Technischen Universität Berlin, mit Blick auf
den Nobelpreis für Genzel. «Mich hat beeindruckt, dass Herr Genzel
Fragen gestellt hat, die an den Kern der Sache gehen. Er hat weniger
Wert darauf gelegt, immer nett und höflich zu sein, sondern war eher
wissenschaftlich direkt.» Genzel ist der sechste Deutsche seit 2000,
dem der Physik-Nobelpreis zuerkannt wird, insgesamt gibt es mehrere
Dutzend deutsche Preisträger.

Ghez ist erst die vierte Frau, die einen Physik-Nobelpreis erhält.
«Ich hoffe, ich kann junge Frauen für das Fachgebiet inspirieren»,
sagte Ghez. Es gebe noch so viel mehr als Schwarze Löcher zu
erforschen, erläuterte sie, als sie nach der Verkündung von der
Königlich-Schwedischen Akademie telefonisch zugeschaltet wurde. «Der
Preis für Andrea Ghez ist hochverdient, und ich freue mich, dass eine
Frau ihn bekommen hat», sagte Anton Zensus, Direktor am Bonner
Max-Planck-Institut für Radioastronomie. «Ich hoffe, dass das noch
viel öfter passieren wird.»

«Die Preise zeigen, dass die Gruppe aus den USA und die
europäisch-deutsche Gruppe auf Augenhöhe forschen», so Zensus weiter.

Genzel habe über viele Jahre etwa mit dem Very-Large-Teleskop der
Europäischen Südsternwarte das Zentrum unserer Milchstraße und die
Bahnen der Sterne beobachtet, um daraus Hinweise auf das Schwarze
Loch abzuleiten. «Er hat eine unglaubliche Begeisterung für die
Wissenschaft und für sein Feld.»

Roger Penrose (89), der an der University of Oxford arbeitet, fand
geniale mathematische Methoden, um mit Albert Einsteins Allgemeine
Relativitätstheorie zu arbeiten, wie das Nobelkomitee mitteilte. Zehn
Jahre nach Einsteins Tod habe Penrose aufgrund dieser Theorie dann
1965 gezeigt, dass Schwarze Löcher existieren - jene Monster in Zeit
und Raum, die alles erfassen, was ihnen zu nahe kommt. Einstein
selbst habe nicht an die Existenz Schwarzer Löcher geglaubt. Wichtige
Vorarbeiten habe bereits der deutsche Astrophysiker Karl
Schwarzschild 1916 geleistet.

Ein Doktorand von Penrose war der 2018 gestorbene Physiker Stephen
Hawking. Würde er den Nobelpreis nun auch erhalten, wenn er noch
leben würde? «Die Vorhersagen von Penrose zu den Eigenschaften von
Schwarzen Löchern sind vielleicht noch ein bisschen fundamentaler
gewesen», erläuterte Lutz Wisotzki vom Leibniz-Institut für
Astrophysik Potsdam. «Aber natürlich hat Hawking da auch visionäre
Beobachtungen angestellt.»

Schwarze Löcher lassen durch ihre extreme Masse noch nicht einmal das
Licht entkommen und sind somit nur indirekt nachweisbar. Doch warum
fällt dann nicht unsere ganze Galaxie in das Schwarze Loch in ihrer
Mitte? «Das Schwarze Loch ist kein Staubsauger», sagte Wisotzki. Es
wechselwirke über seine Gravitationskraft mit der Umgebung. Bei einem
gewissen Sicherheitsabstand und einer hohen Geschwindigkeit gebe es
stabile Bahnen für Objekte um das Loch herum.

Die höchste Auszeichnung für Physiker ist in diesem Jahr mit
insgesamt zehn Millionen Kronen (rund 950 000 Euro) dotiert - eine
Million Kronen mehr als im Vorjahr.

Am Montag war der Nobelpreis für Medizin den Virologen Harvey J.
Alter (USA), Michael Houghton (Großbritannien) und Charles M. Rice
(USA) zuerkannt worden. Sie hatten maßgeblich dazu beigetragen, das
Hepatitis-C-Virus zu erforschen. Am Mittwoch werden die Träger des
Chemie-Nobelpreises verkündet, es folgen die Bekanntgaben der
Preisträger für Literatur und für Frieden. Der Reigen endet am Montag

mit dem von der schwedischen Reichsbank gestifteten
Wirtschafts-Nobelpreis. Die Überreichung der Preise erfolgt
traditionsgemäß am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters
Alfred Nobel.

2019 hatte James Peebles (Kanada/USA) für seine Erkenntnisse zur
Entwicklung des Universums die eine Hälfte des Physik-Nobelpreises
erhalten. Die andere ging an Michel Mayor und Didier Queloz (beide
Schweiz), die den ersten Exoplaneten entdeckt hatten, der um einen
sonnenähnlichen Stern kreist.