Baden-Württemberg schlägt Alarm - Verschärfte Corona-Kontrollen

Das Coronavirus kommt zurück, das Land droht die Kontrolle zu
verlieren. Die Landesregierung zündet deshalb erstmals die nächste
Alarmstufe im Frühwarnsystem, um einen Lockdown zu vermeiden.

Stuttgart (dpa/lsw) - Angesichts steigender Infektionszahlen
verschärft das Land die Kontrollen der Corona-Regeln. Die
grün-schwarze Landesregierung rief am Dienstag erstmals den Eintritt
in die zweite Stufe eines dreistufigen Warnsystems aus. Damit einher
gehen stärkere Appelle an die Bevölkerung und schärfere Kontrollen -

etwa im Nahverkehr, in Läden, Restaurants, Bars und Kneipen. Die
Stufe beinhaltet zunächst keine neuen landesweiten Einschränkungen.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann sprach von einer
«Hab-Acht-Stufe». «Wir müssen jetzt alles tun, damit sich kein
exponentieller Anstieg entwickelt», sagte der Grünen-Politiker.

Deutlich ansteigende Infektionszahlen, ein diffuses
Infektionsgeschehen in einzelnen Landkreisen, zahlreiche Ausbrüche
nach privaten Feiern sowie neue Infektionen in Pflegeheimen seien
ausschlaggebend für den Schritt gewesen, teilte das Staatsministerium
mit. Kretschmann appellierte an die Bürger: Es liege an allen, einen
zweiten landesweiten Lockdown zu verhindern und damit nicht erneut
Schulen, Kitas oder Geschäfte flächendeckend schließen zu müssen.


Die Landesregierung hatte im September ein dreistufiges Alarm-System
im Kampf gegen eine zweite Welle vorgestellt. Entscheidend für die
Einstufung dabei ist die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz. Sie zeigt
die Zahl der Neuinfektionen innerhalb einer Woche pro 100 000
Einwohner. Aber auch andere Faktoren spielen bei der Bewertung eine
Rolle, etwa die absoluten Infektionszahlen, die Zahl der Tests oder
der Reproduktionswert (R-Wert), der angibt, wie viele Menschen ein
Erkrankter im Schnitt mit dem Virus ansteckt.

Die Pandemiestufe 2 gilt, wenn die landesweite Sieben-Tage-Inzidenz
von 10 Fällen je 100 000 Einwohner überschritten wird und zusätzlich

das Infektionsgeschehen diffus ansteigt oder sich die landesweiten
wöchentlichen Fallzahlen innerhalb von zwei Wochen verdoppeln. Die
landesweite Sieben-Tage-Inzidenz lag am Montag bei 16,4.

Die dritte, kritische Phase gilt ab einer landesweiten
Sieben-Tage-Inzidenz von 35 Fällen auf 100 000 Einwohner. Das Konzept
sieht dann etwa eine Ausweitung der Maskenpflicht an Schulen etwa auf
den Unterricht vor. In der Gastronomie könnten dann der Ausschank von
Alkohol eingeschränkt und der Betrieb auf Außenbereiche beschränkt
werden. Veranstaltungen sollen dann eingeschränkt, Hygienemaßnahmen
sowie Sanktionen bei Verstößen ausgeweitet werden.

Derzeit bleibt es noch bei Kontrollen und Appellen. Die zweite Stufe
sieht bei Bedarf auch das Hochfahren von Corona-Ambulanzen und
Teststellen vor. Dies habe man aber bereits in der ersten, stabilen
Phase erledigt, sagte Sozialminister Manne Lucha (Grüne).

Besonders kritisch ist derzeit die Lage im Kreis Esslingen, in dem
innerhalb von sieben Tagen 40,4 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner
registriert wurden. Damit liegt der Kreis momentan ebenso über der
kritischen Marke von 35 neuen Fällen wie die Stadt Stuttgart mit 35,4
und bis vor kurzem Mannheim mit am Montag noch 36,1 Ansteckungen. Am
Dienstag unterschritt die Quadratestadt den brisanten Wert aber
wieder.

Eine Sprecherin des Landkreises Esslingen sprach am Montag von einem
diffusen Infektionsgeschehen im Kreis. Es gebe keine einzelnen
Hotspots, sondern Ausbrüche in Unterkünften für Flüchtlinge, in
Familien, Sportvereinen und Betrieben.

Das Landratsamt Esslingen schränkt deshalb private Feiern im Kreis
ein. In öffentlichen oder angemieteten Räumen wie Gaststätten sollen

dort höchstens noch 50 Personen gemeinsam feiern dürfen, in privaten
Räumen die Hälfte. Auch die Verwaltung Mannheims ordnete diese
Regelung an. Darüber hinaus besteht jetzt im Jungbusch, dem
Ausgehviertel der Stadt eine Maskenpflicht für Menschen, die vor
Cafés, Restaurants und Kneipen warten.

Die Zahl der Coronavirus-Infektionen hat sich in Baden-Württemberg im
Vergleich zum Vortag um 388 Fälle erhöht. Insgesamt haben sich im nun

51 570 Menschen nachweislich mit dem Erreger Sars-CoV-2 angesteckt,
wie das Landesgesundheitsamt am Dienstag (Stand: 16.00 Uhr)
mitteilte. Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus
blieb unverändert bei 1894. Als genesen gelten 44 932 Menschen - 236
mehr als am Vortag.

Liegt die Inzidenz über 50, wird die Teilnehmerzahl bei Feiern weiter
begrenzt. Auf diese Einschränkungen hatten sich Bund und Länder
geeinigt. Das grün-schwarze Kabinett beschloss am Dienstag eine
entsprechende Änderung der Corona-Verordnung des Landes.

Zudem können falsche persönliche Angaben in Gästelisten in
Restaurants nun mit einem Bußgeld belegt werden. Gäste, die über ihre

Identität falsche Angaben machen, können mit einem Bußgeld zwischen
50 und 250 Euro bedacht werden. Lucha betonte vor allem die Bedeutung
der Nachverfolgung von Infektionsketten. Deshalb werde auch in
Gaststätten und Kneipen verstärkt kontrolliert, dass Kontaktlisten
ordentlich ausgefüllt werden. Die Wirte müssten da eine erste
Plausibilitätskontrolle als ersten niederschwelligen Schritt machen,
sagte Kretschmann.

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband lehnt allerdings eine
Verantwortung der Wirte für diese Kontaktlisten strikt ab. «Wir sind
Gastgeber und keine Hilfspolizisten», sagte ein Sprecher des
Landesverbandes. Es gebe keine Rechtsgrundlage, die die Gastronomen
verpflichte, ihre Gäste zu kontrollieren. «Unsere Betriebe können das

auch gar nicht leisten», sagte der Dehoga-Sprecher. Er appellierte an
die Besucher von Restaurants und Kneipen, die Listen richtig
auszufüllen. «Das ist eine wichtige Sache», sagte er. «Da gibts
keinen Raum für Späße.»