«Keine Angst vor Covid» - Trump drängt zurück in den Wahlkampf Von Can Merey, dpa

Vor kurzem noch war es Donald Trump gelungen, das Coronavirus-Thema
in den Hintergrund zu drängen. Vier Wochen vor der Wahl ist es mit
Wucht zurückgekehrt. Nun versucht er, die eigene Erkrankung zu seinem
Vorteil zu nutzen - und lässt sich als «unbesiegbarer Held» feiern.

Washington (dpa) - Mehr als 210 000 Tote in den USA, Zehntausende
Neuinfektionen jeden Tag, Millionen Arbeitslose durch die Pandemie -
und dann hat Donald Trump diese Empfehlung an seine Landsleute:
«Haben Sie keine Angst vor Covid», schreibt der US-Präsident in einer

Twitter-Nachricht. «Lassen Sie es nicht Ihr Leben dominieren.» Die
Angehörigen der Opfer der Pandemie dürften das als Affront empfinden.
Dasselbe gilt für viele Infizierte. Anders als der amerikanische
Präsident können sie nicht auf eine erstklassige Behandlung etwa mit
einem experimentellen Antikörper-Cocktail zählen.

Der Covid-19-Patient Trump checkt am Montagabend nach drei Tagen im
Militärkrankenhaus Walter Reed aus und kehrt zurück ins Weiße Haus.
Nachdem er seinen Beschluss per Twitter verkündet hat, sagt sein
Leibarzt Sean Conley, es spreche nichts gegen eine Entlassung - auch
wenn Trump «noch nicht endgültig über den Berg ist». Der Sender CNN

zitiert Quellen, wonach Trumps Ärzte ihn überreden mussten, das
Krankenhaus nicht schon am Sonntag zu verlassen. Trump sei besorgt
gewesen, dass ihn der Aufenthalt «schwach aussehen lässt».

TRUMP WILL ZURÜCK IN DEN WAHLKAMPF

Vier Wochen vor der Präsidentschaftswahl kann es sich Trump kaum
erlauben, Schwäche zu zeigen. In Umfragen liegt der 74-Jährige
Republikaner hinter seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden
(77). Trump drängt nun zurück in die Arena. «Werde bald wieder auf
Wahlkampftour sein!!!», kündigt er am Montag auf Twitter an.

Trumps Wahlkampfchef Bill Stepien ist derzeit zwar ebenfalls mit
einer Coronavirs-Infektion außer Gefecht gesetzt. Der Sprecher des
Wahlkampfteams, Tim Murtaugh, kündigt im Sender Fox News aber schon
einmal an, dass Trump beabsichtige, am zweiten TV-Duell mit Biden
nächste Woche teilzunehmen. Bei der ersten Debatte hatte Trump Biden
dafür verspottet, stets eine Maske zu tragen. Der Präsident verkündet

am Dienstag: «Ich freue mich auf die Debatte am Donnerstagabend, dem
15. Oktober, in Miami. Es wird großartig werden!»

«EIN UNBESIEGBARER HELD»

Die Trump-freundliche Boulevardzeitung «New York Post» schreibt:
«Wenn der Präsident wieder auf Wahlkampftour zurückkehrt, wird er ein

unbesiegbarer Held sein, der nicht nur jeden schmutzigen Trick der
Demokraten überlebt hat, sondern auch das chinesische Virus. Er wird
Amerika zeigen, dass wir keine Angst mehr haben müssen.» Trump
verbreitet die Passage am Montag über sein Twitter-Konto und ergänzt,
eigentlich habe er den Sieg schon in der Tasche gehabt, bevor «die
Seuche aus China» in die USA gekommen sei. «Werde trotzdem gewinnen.»


WIE DAS VIRUS TRUMPS THEMENSETZUNG TORPEDIERT

Problematisch für Trump: Seit seiner Infektion beherrscht das
Coronavirus wieder die Schlagzeilen, und aus denen wollte er die
Pandemie eigentlich verdrängen. Kurz vor seiner Ansteckung war Trump
das kurzzeitig gelungen, als ihm ein Thema in den Schoß fiel: Durch
den Tod der liberalen Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg
wurde ein Platz am Obersten Gericht frei, den Trump noch vor der Wahl
am 3. November mit seiner Kandidatin Amy Coney Barrett besetzen will.
Sollte der Plan wie erwartet aufgehen, wäre das ein Triumph: Dann
hätte er drei der neun Richter am Supreme Court auf Lebenszeit
ernannt und das Gericht womöglich auf Jahrzehnte konservativ geprägt.

Ironie des Schicksals: Trump stellte Barrett am 26. September im
Rosengarten des Weißen Hauses vor mehr als 100 Gästen vor, unter
denen womöglich ein mit dem Virus infizierter Super-Spreader war.
Rund ein Dutzend Teilnehmer wurden in den Tagen danach positiv
getestet, zuletzt teilt am Montag Trump-Sprecherin Kayleigh McEnany
mit, sie sei ebenfalls infiziert. Kaum jemand redet derzeit über
Barrett, jeder spricht über Trump und das Coronavirus.

DAS UMSTRITTENE KRISENMANAGEMENT

Die Pandemie dürfte Trumps Siegeschancen schmälern, in Umfragen
bescheinigt ihm eine Mehrheit ein schlechtes Krisenmanagement. Als
Vorbild taugte Trump kaum, eine Maske trug er fast nie, unbeirrt
hielt er weiter Veranstaltungen ab. Trump hat zugegeben, dass er die
Gefahr durch das Virus kleingeredet hat - angeblich, um Panik zu
vermeiden. Wahrscheinlicher ist, dass er die angeschlagene Wirtschaft
vor der Wahl um fast jeden Preis wieder ans Laufen bringen wollte.
Dass das Virus den mächtigsten Mann der Welt dann derart außer
Gefecht setzte, dass er ins Krankenhaus musste, sieht nicht gut aus.

«LERNEN, MIT COVID ZU LEBEN»

Auch nach seiner Erkrankung scheint Trump seiner Linie treu zu
bleiben, die Gefahr herunterzuspielen. «Ich fühle mich besser als vor
20 Jahren!», twittert er am Montag. «Unter der Trump-Regierung haben
wir einige wirklich großartige Medikamente und Kenntnisse
entwickelt.» Wie zu Beginn der Pandemie zieht er wieder Parallelen
zur Grippe, wegen der die USA schließlich auch nicht in den Lockdown
gingen. «Nein, wir haben gelernt, damit zu leben», schreibt er am
Dienstag auf Twitter. «So wie wir lernen, mit Covid zu leben.»

COVID-VETERAN TRUMP

Trump präsentiert sich nach seiner Erkrankung als Covid-Veteran. «Es
war eine sehr interessante Reise», sagt er am Sonntag in einem Video
aus dem Krankenhaus. «Ich habe viel über Covid gelernt. Ich habe es
gelernt, indem ich wirklich zur Schule gegangen bin. Das ist die
echte Schule. Das ist nicht die «Lasst uns die Bücher
lesen»-Schule«.» Sein Fazit über das Virus: «Ich verstehe es.»


Sein Stabschef Mark Meadows sagt am Montag im Sender Fox News, der
Präsident verstehe nun besser, «was Millionen Amerikaner erleben
mussten, als sie mit dieser Krankheit in Kontakt kamen». Mit diesem
Spin dürfte das Trump-Lager versuchen, ein Manko auszubügeln, das dem
Präsidenten seit langem anhängt: dass er kaum Empathie zeigt.