Medizin-Nobelpreis: «Davon haben Millionen Individuen profitiert» Von Walter Willems, dpa

Nobelpreise für den Kampf gegen ein Virus: Die ausgewählten drei
Forscher schufen die Grundlagen für die Heilung einer mitunter
tödlich verlaufenden Infektion. Eine Parallele zur heutigen
Situation?

Stockholm/Berlin (dpa) - Diese Auszeichnung hat Symbolcharakter:
Inmitten der Corona-Pandemie belohnt der diesjährige Nobelpreis für
Medizin den erfolgreichen Kampf dreier Wissenschaftler gegen ein
Virus. Auf den ersten Blick hat das Hepatitis-C-Virus (HCV) nur wenig
mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 gemeinsam. Eine HCV-Infektion kann
jahrzehntelang schleichend verlaufen, bevor Menschen Leberzirrhose
und Leberkrebs entwickeln. Aber ähnlich wie Sars-CoV-2 ist das Virus
weltweit verbreitet: Schätzungsweise 72 Millionen Menschen sind
chronisch infiziert, rund 400 000 sterben nach Angaben der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) noch immer pro Jahr an der
Infektion.

In Deutschland sind schätzungsweise 250 000 Menschen infiziert - die
meisten, ohne es zu ahnen. «Das Hepatitis-C-Virus ist eine der
häufigsten Ursachen von Leberzirrhose und Leberkrebs», sagt Michael
Manns von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). «Es war lange
Jahre die Hauptursache für eine Lebertransplantation.»

Das sich das geändert hat, beruht auf der Forschung der drei
Nobelpreisträger. Ihre Arbeit zeigt beispielhaft, wie Beharrlichkeit
selbst unter widrigsten Umständen zum Erfolg führen kann.

Denn jahrzehntelang gleicht die Suche nach der Ursache von Hepatitis
C einem Stochern im Nebel. Bis in die 1970er Jahre kennen Ärzte zwei
Viren, die eine Entzündung der Leber verursachen: die vor allem über
Lebensmittel übertragene Hepatitis A (HAV) und die schwerere
Hepatitis B (HBV), die über Blut und Körperflüssigkeiten übertragen

wird.

Harvey Alter, einer der diesjährigen Preisträger, zeigt an den
National Institutes of Health der USA, dass es noch einen weiteren
Erreger geben muss. Dies weist er nach, indem er Schimpansen - die
einzige Art außer dem Menschen, die für die Infektion anfällig ist -

mit Blutserum von Patienten infiziert.

Die mysteriöse Erkrankung wird anfangs nonA-nonB-Hepatitis (NANBH)
genannt. Zwar stehen da schon Blutkonserven als eine Ursache der
Infektion unter Verdacht - aber ohne praktische Konsequenz. Denn wie
soll man die Präparate auf einen Erreger testen, den niemand kennt?

Die Lage ändert sich erst etwa ein Jahrzehnt später: 1989 weisen
Forscher um den britischen Biochemiker Michael Houghton von der
Pharmafirma Chiron im Blutserum von Patienten ein Virus nach, das sie
Hepatitis C nennen. Und Charles Rice von der Washington University in
St. Louis liefert schließlich den Nachweis, dass dieses Virus allein
für eine Infektion ausreicht.

Damit ist ein Meilenstein erreicht: Die Identifizierung des Erregers
ermöglicht es erstmals, Menschen darauf zu testen. Zudem kann man nun
Blutpräparate prüfen - und damit seit Anfang der 90er Jahre einen
wichtigen Übertragungsweg ausschließen.

Ein weiterer Durchbruch für die Therapieforschung gelingt später in
Heidelberg: 1999 findet ein Team um den Virologen Ralf Bartenschlager
ein Verfahren, Virussequenzen im Labor zu vermehren - damit kann man
nun Wirkstoffe einfacher testen. Heutzutage gibt es verschiedene
Tabletten, die die Vermehrung des Virus hemmen und die chronische
Infektion bei mehr als 95 Prozent der Patienten heilen.

Wirksame Medikamente hätten das Schicksal HCV-infizierter Patienten
verändert, schreibt das Nobelkomitee. «Von dieser herausragenden
Leistung haben schon Millionen Individuen weltweit profitiert.» Die
verbleibenden Hürden lägen nun darin, alle Infizierten zu ermitteln -
und in den hohen Therapiekosten. In Deutschland kostet die orale
Therapie, die 2014 für 60 000 Euro auf den Markt kam, inzwischen noch
etwa 25 000 Euro. Aber grundsätzlich, so das Komitee, sei eine
weltweite Ausmerzung des Virus erreichbar.

«Ich denke, es ist relativ einfach, sich auf die heutige Situation zu
beziehen», sagt Patrik Ernfors von der Nobelversammlung des
Karolinska-Instituts. Habe man erst einmal das verursachende Virus
identifiziert, dann sei dies der Startpunkt zur Entwicklung von
Medikamenten und auch von Impfstoffen. «Die eigentliche virale
Entdeckung ist ein entscheidender Moment.»

Die Parallele zur Corona-Pandemie unterstreicht ebenfalls Reinhold
Kreutz. Die Hepatitis-C-Therapie eliminiere das Virus im Körper, sagt
der Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie und
Toxikologie der Charité in Berlin. «Das wäre ja der absolute Traum

auch in Hinblick auf Sars-CoV-2.»