Trumps Corona-Infektion: Verschwörungstheorien und Legendenbildung Von Can Merey, dpa

Erst hat er die Corona-Gefahr kleingeredet, nun ist Donald Trump
selbst erkrankt. Das ändert für eingefleischte Anhänger nichts daran,

dass er der beste US-Präsident aller Zeiten ist. Manche raunen, wie
es überhaupt zur Infektion kommen konnte - so kurz vor der Wahl.

Bethesda (dpa) - Die Schnellstraße vor dem Walter-Reed-Krankenhaus in
Bethesda ist normalerweise kein Ort für Versammlungen. Auf ihr
pendeln Berufstätige zwischen Washington und den nördlichen Vororten
der US-Hauptstadt. Die Metro-Station Medical Center spuckt alle paar
Minuten Passagiere aus, die sich schnell zerstreuen, weil es keinen
Anlass zum Verharren gibt. Seit US-Präsident Donald Trump wegen
seiner Covid-Erkrankung in dem Militärkrankenhaus behandelt wird, ist
das anders: Der Straßenabschnitt davor ist zum Pilgerort für einen
harten Kern seiner Anhänger geworden. Am Sonntag hat Trump für die
«großartigen Patrioten» dort eine Überraschung parat.

TWEETS STATT WAHLKAMPF-AUFTRITTE

Im gepanzerten Wagen lässt sich der mutmaßlich hochinfektiöse
Präsident an jubelnden Sympathisanten vorbeichauffieren. Aus dem
Wagen heraus winkt der 74-Jährige, der eine Stoffmaske trägt. Auf
Fernsehbildern ist zu sehen, wie er beide Daumen nach oben reckt.
Dann kehrt der Konvoi zum Krankenhaus zurück. Unmittelbar vor dem
Kurzausflug hatte Trump die Stippvisite via Twitter angekündigt. «Ich
verrate es niemandem außer Ihnen, aber ich mache gleich einen kleinen
Überraschungsbesuch», sagt er in einem Video, das er an seine knapp
87 Millionen Twitter-Abonnenten schickt.

Nach widersprüchlichen, teils alarmierenden Angaben zu Trumps
Gesundheitszustand will der Präsident zeigen, dass er sich vom Virus
nicht unterkriegen lässt - erst recht nicht so kurz vor der Wahl in
weniger als einem Monat. Am Montag kündigt er an, dass er das
Krankenhaus noch am Abend (Ortszeit) verlassen werde. Schon davor hat
er sich auf Twitter ganz in alter Form gegeben. Innerhalb von einer
halben Stunde setzt der Präsident 16 Nachrichten ab, in denen er um
seine Wiederwahl wirbt. In einem Tweet heißt es: «Stimmen Sie besser
für Ihren Lieblingspräsidenten, oder verabschieden Sie sich von
niedrigen Steuern und Waffenrechten!»

«WAS IST IM ROSENGARTEN GESCHEHEN???»

Vor dem Walter-Reed-Krankenhaus harrt am Abend vor Trumps Stippvisite
auch Will aus, der nur seinen Vornamen preisgeben möchte. Wenn er
nicht angesprochen wird, steht der ernst dreinblickende Mann
schweigend zwischen den Dutzenden Trump-Unterstützern und präsentiert
sein Pappschild. «Attentat?? Terrorismus??? Was ist im Rosengarten
geschehen??? Ermittelt!!!», steht auf der einen Seite. Auf der
Rückseite ist eine längere Liste mit den Namen jener Personen, die am
26. September im Rosengarten des Weißen Hause waren und danach
positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Ganz oben stehen der
republikanische Präsident und die First Lady.

Die Frage, was passiert ist, könnte man so beantworten: Trump hatte
mehr als 100 Menschen in den Rosengarten eingeladen, um seine
Kandidatin für den freigewordenen Richterposten am Supreme Court
vorzustellen. Andernorts übliche Schutzmaßnahmen wurden in den Wind
geschlagen. Die Stühle standen eng beisammen. Kaum jemand trug eine
Maske. Manche Gäste schreckten sogar vor Umarmungen nicht zurück.
Unter den Besuchern war vermutlich ein Super-Spreader, der das Virus
unwissentlich weitergab. Will möchte das nicht gänzlich ausschließen,

raunt aber auch: «Manchmal werden biologische Waffen eingesetzt, und
Menschen geben es nicht zu, wenn sie sie benutzen.»

«WARUM STECKEN SICH KEINE DEMOKRATEN AN?»

Wer Will für einen durchgeknallten Verschwörungstheoretiker halten
sollte, wäre in der Menge vor dem Walter-Reed-Krankenhaus womöglich
in der Minderheit. Will erhält jedenfalls viel Zuspruch. «Das ist
schon merkwürdig», pflichtet ihm ein Trump-Unterstützer bei, nachdem

er das Schild gelesen hat. «Alter, das ist supermerkwürdig», erwidert

seine Begleiterin. «Warum stecken sich keine Demokraten an?» Das
liegt womöglich daran, dass kaum Demokraten im Rosengarten gewesen
sein dürften - und dass es deren Präsidentschaftskandidat Joe Biden
(77) mit dem Corona-Schutz viel genauer nimmt als Amtsinhaber Trump.

Tucker Carlson sticht unter den Moderatoren bei Fox News als
besonders fanatischer Unterstützer Trumps hervor, was bei dessen
Lieblingssender einiges heißen will. Carlson nennt es in seiner Show
am Freitag gleich zwei Mal «ein bisschen merkwürdig», dass Trump sich

ausgerechnet einen Monat vor der Präsidentschaftswahl angesteckt hat,
obwohl das Virus schon viel länger zirkuliert. Er sagt: «Ich bin kein
Verschwörungstyp, ich stelle nur fest.» Der Subtext: Vielleicht sind
andere dafür verantwortlich, dass Masken-Muffel Trump infiziert wurde
und das Virus womöglich an andere weitergegeben hat.

EIN UNEIGENNÜTZIGER PRÄSIDENT?

Trump hat in den vergangenen Wochen Massenveranstaltungen abgehalten
und noch am Donnerstag zahlreiche Spender getroffen - trotz des
Infektionsrisikos. Nun stellt er es so dar, als habe er sich für das
Amt aufgeopfert. «Ich hatte keine Wahl, weil ich nicht einfach im
Weißen Haus bleiben wollte. Mir wurde diese Alternative geboten»,
sagte er in einer Videobotschaft am Samstag. «Das ist das mächtigste
Land der Welt. Ich kann nicht in einem Zimmer im Obergeschoss
eingesperrt und völlig sicher sein und einfach sagen: «Hey, was auch
immer passiert, passiert». Das kann ich nicht tun.» Er fügte hinzu:
«Als Anführer muss man Problemen ins Auge sehen.»

Trumps Anwalt Rudy Giuliani schlägt in dieselbe Kerbe. «Er hätte die

Wahl gehabt, sich fünf Monate lang im Weißen Haus zu verstecken»,
sagte der frühere New Yorker Bürgermeister am Sonntag nach einem
Telefonat mit Trump. «Aber er sagte: «Das konnte ich nicht tun, ich
musste vorsichtig rausgehen und den Weg zurück weisen (aus der
Krise). Wenn ich nicht führen würde, wer würde führen? Wenn ich mic
h
verkrochen hätte, wäre die ganze Wirtschaft im Keller geblieben».»


WECKRUF FÜR MASKEN-VERWEIGERER?

Zur Unterstützung Trumps hat sich vor dem Krankenhaus auch John
Maxwell eingefunden. Der 46-Jährige trägt ein Plakat mit der
Aufschrift «Donald Trump ist der beste Präsident in der Geschichte
der USA». Was er - wie die meisten seiner Mitstreiter hier - nicht
trägt: eine Maske. Ob Trumps Erkrankung nicht ein Umdenken erfordere?
«Ich will keine Maske tragen, Punkt. Wenn du denkst, dass ich dich
anstecken werde, dann hast du das Recht, nicht in meiner Nähe zu
sein», sagt Maxwell. Seine Freiheit gehe ihm über alles und schließe

die Freiheit auf Maskenverzicht ein. «Und wenn ich Covid habe und es
jemandem weitergebe, dann ist das Amerika, Mann. Das ist Amerika.»