Papst Franziskus fordert «Die beste Politik» Von Petra Kaminsky, dpa

Eine neue Ethik in der Weltpolitik, mehr Einfluss für Frauen in der
Kirche und Nächstenliebe: Die Themen der neuen Sozial-Enzyklika von
Papst Franziskus sind vielfältig. Sie ist eine Summe seines Denkens.

Rom (dpa) - Papst Franziskus hat zwei sehr verschiedene Orte gewählt,
um seiner Enzyklika weltweit Aufmerksamkeit zu geben: Erst
unterschrieb er das Dokument im kargen Stein-Gewölbe am Grab seines
Namensgebers, des Heiligen Franz von Assisi. Dabei saßen nur wenige
Kirchenleute am Samstag in der Unteren Basilika in Assisi auf
Holzbänken und klatschten. Am Sonntag wählte der 83-Jährige sein
Angelus-Gebet am Fenster des Palastes über dem monumentalen
Petersplatz in Rom für die Weltpremiere. Eine Enzyklika ist eine
zentrale Botschaft an die katholischen Gläubigen und an die
Kirchenoberen.

Er gab den Text mit dem Titel «Fratelli tutti» vor Gläubigen frei.
Die Enzyklika liest sich wie die Summe früherer Mahnungen des
Papstes, sie ist aber auch eine klare Forderung nach einer neuen
Politik. Die Corona-Pandemie solle zum Wendepunkt für mehr
Mitmenschlichkeit werden, verlangt er.

Das Grundsatzpapier hat rund 150 Seiten. Es trägt in der deutschen
Übersetzung den Untertitel «Über die Geschwisterlichkeit und die
soziale Freundschaft». Franziskus schreibt in klaren, gut
verständlichen Worten. Was er dabei inhaltlich fordert, geht ans
große Ganze: eine neue Ethik den internationalen Beziehungen ebenso
wie eine Migrationspolitik, die von Nächstenliebe geprägt ist. Er
nennt etwa in der Flüchtlingsfrage durchaus Konkretes: «Es müsste
eine größere Zahl von Visa ausgestellt werden und die
Antragsverfahren müssten vereinfacht werden», schreibt der Papst.

Im fünften Kapitel, das mit «Die beste Politik» überschrieben ist,

entwirft er eine Vision einer gerechteren Welt, in der «soziale und
politische Liebe» den Weg bestimmen. Viele Kirchenexperten sprachen
deshalb in ersten Reaktionen von einer sehr politischen Enzyklika.

Der deutsche Jesuit und Vatikan-Kenner Bernd Hagenkord bilanzierte,
dass viele Aspekte der Papst-Kritik an der modernen Wirtschaft, an
einer Epoche voller Konflikte und Populismus nicht neu seien.
«Aufmerksamkeit finden werden Sätze wie der, dass das Recht auf
Eigentum nicht absolut sei oder der Aufruf zur Reform der Vereinten
Nationen», schrieb er auf der katholischen Medienplattform «Vatikan
News». Das seien aber nur Aspekte des übergreifenden Gedankens, dass
es dem Papst um die Schaffung eines «Wir» gehe.

Außerdem weist Hagenkord darauf hin, dass das Papst-Schreiben
ausgerechnet kurz vor der US-Präsidentenwahl erschienen ist. Darin
schreibt Franziskus Sätze über unsere Zeit wie: «Verbohrte,
übertriebene, wütende und aggressive Nationalismen leben wieder auf.»

Trotzdem dürfe das nach Ansicht Hagenkords nicht einfach zum
«Fingerzeigen» führen. Franziskus wolle in der Enzyklika alle
Menschen ansprechen: «Gläubige sollen bei sich selber anfangen.»

Auch dass der Papst aus Argentinien wiederholt den Großimam von
Kairo, den islamischen Würdenträger Ahmed al-Tajib, erwähnt, hat fü
r
Vatikankenner viel Gewicht. Franziskus ruft vehement zum Dialog
zwischen den Weltreligionen auf. Zudem spricht er von der «Einheit
aller Christen».

«Es ist darüber hinaus dringend notwendig, weiterhin Zeugnis von
einem Weg der Begegnung zwischen den verschiedenen christlichen
Konfessionen zu geben», heißt es in der Enzyklika. Aus deutscher
Sicht passt eine solche Aussage für manche nicht zum Ausbremsen des
Vatikans bei dem Wunsch nach einem gemeinsamen Abendmahl von
katholischen und evangelischen Christen. Doch dieser Widerspruch ist
ebenfalls nicht neu. Experten erklären ihn auch mit dem Unterschied
zwischen Papst-Visionen und den konkreten Vorgaben aus der
Vatikan-Bürokratie für den Kirchenalltag und für die Lehre.

Die Theologie-Professorin Margit Eckholt von der Universität
Osnabrück sagte, es gehe Franziskus darum zu zeigen, wie sehr der
christliche Glaube in einer universalen Perspektive der Nächstenliebe
verankert sei. «Der Papst bleibt sich und seiner Linie in dieser
Enzyklika treu», urteilte sie.

Viele katholische Frauen im deutschen Sprachraum fühlten sich jedoch
anfangs von der Ansprache der Enzyklika wegen des Titels «Fratelli
tutti» ausgeschlossen. Denn in Übersetzungen aus dem Italienischen
war von «Alle Brüder» die Rede. Kirchenobere argumentierten nach
Protesten, dass es sich um ein Zitat des mittelalterlichen Heiligen
Franz von Assisi handele. Das überzeugte die Kritikerinnen nicht. Der
Vatikan gab nach. Jetzt wird in der deutschen Übersetzung des
Lehrschreibens meist von «Geschwisterlichkeit» gesprochen. Im Text
erwähnt Franziskus wiederholt, dass die Rolle der Frauen in der
katholischen Kirche gestärkt werden solle.