«Auf der Tagesordnung» - Sexismus in der Politik Von Cindy Riechau und Corinna Schwanhold, dpa

Mit einem als sexistisch empfundenen Witz geriet FDP-Chef Christian
Lindner in die Kritik. Dann sorgte eine frauenfeindliche Äußerung
über eine SPD-Politikerin für neuen Ärger. Wie verbreitet ist
Sexismus in der Politik?

Berlin (dpa) - «Das ist widerlicher Dreck!» Mit diesen Worten machte
die Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär (CSU), ihrem Ärger
vor einigen Tagen auf Twitter Luft. Der Grund: ein sexistischer
Kommentar über die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli im Magazin
des Publizisten Roland Tichy («Tichys Einblick»). Bär kündigte aus

Protest ihre Mitgliedschaft in der Ludwig-Erhard-Stiftung, der Tichy
bislang noch vorsitzt. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn
(CDU) lässt seine Mitgliedschaft ruhen.

Inzwischen hat Tichy angekündigt, den Vorsitz der Stiftung abzugeben.
Bei der nächsten Wahl - geplant für den 30. Oktober - will er sich
nicht mehr bewerben. Der «Rücktritt» sei «längst überfällig
»
gewesen», twitterte Chebli dazu, «aber er löst natürlich nicht das

Riesenproblem, das wir mit Sexismus haben.» Mit dieser Meinung ist
sie nicht allein.

Die FDP-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagt: «Insbesondere
seit dem Einzug der AfD ist Sexismus im Bundestag, aber auch
außerhalb des Parlaments, gegenüber Politikerinnen eher Alltag als
Randnotiz.» Sie selbst sei von einem AfD-Politiker belästigt worden,
als sie eine Lederjacke getragen habe. «Auf seine Frage, ob ich jetzt
die Peitsche herausholen würde, habe ich ihn nur gefragt, ob bei ihm
zu Hause Notstand herrschen würde. Dann war schnell Ruhe.»

Die Rheinländerin sagt, sie selbst lasse sich nicht so schnell
einschüchtern. Aber: «Für junge und neue Kolleginnen ist das eine
Zumutung, die Verunsicherung schürt.» Auch Henning von Bargen von der
Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung sagt, gerade bei der AfD sei
Sexismus an der Tagesordnung. Er werde jedoch zum Teil auch von
Politikern anderer Parteien gestützt - auch von Grünen.

Auch FDP-Chef Christian Lindner geriet wegen einer als sexistisch
empfundenen Äußerung in die Kritik. Zum Abschied von
Generalsekretärin Linda Teuteberg hatte er gesagt, er habe mit
Teuteberg «ungefähr 300 Mal den Tag zusammen begonnen.» Nach
Gelächter im Saal fuhr er fort: «Ich spreche über unser tägliches,

morgendliches Telefonat zur politischen Lage. Nicht, was ihr jetzt
denkt.» Später entschuldigte er sich für eine «missglückte
Formulierung».

Antifeminismus sei kein neues Phänomen, sagt van Bargen. Bereits seit
den Anfängen der Frauenbewegung gebe es das, so der Leiter des
Gunda-Werner-Instituts für Feminismus und Geschlechterdemokratie der
Böll-Stiftung. «Wenn man an die 70er und 80er Jahre denkt, war
Sexismus da noch mal wesentlich verstärkt und gesellschaftlich
akzeptiert.» Die AfD verschaffe dem Thema mit Schlagworten wie
«Gender-Ideologie» und «Frühsexualisierung» neue Aufmerksamkeit.

«Dadurch fühlen sich diejenigen bestärkt, die schon immer fanden,
dass bei der Gleichberechtigung genug erreicht sei und Männer die
Unterdrückten seien.»

Auch Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth meint: «Der sexistische
Umgang mit Frauen in Politik und Medien hat leider eine lange
Tradition.» Die ehemalige Grünen-Parteivorsitzende kritisiert zudem
die niedrige Anzahl an Parlamentarierinnen. Im Bundestag liegt der
Frauenanteil aktuell bei 31,2 Prozent. In der vergangenen
Legislaturperiode waren es noch 37,3 Prozent.

Eine Benachteiligung sieht auch die Europäische Akademie für Frauen
in Politik und Wirtschaft, die derzeit Parteikulturen und Teilhabe
von Frauen in der Politik untersucht. «Politikerinnen wird weniger
zugehört oder sie werden am Rednerpult häufiger unterbrochen», sagt
die Vorsitzende Helga Lukoschat. Die FDP-Abgeordnete
Strack-Zimmermann meint: «Wenn eine Frau, vor allem von Linken oder
Grünen, ans Rednerpult tritt, drehen die Männer aus der AfD-Fraktion
mit an Primitivität kaum zu überbietenden Sprüchen besonders am Rad.
»
Auch Roth spricht von lautem Gemurmel, hämischem Lachen und
sexistischen Sprüchen der AfD, wenn Frauen im Plenum sprechen.

Politikerinnen erleben Lukoschat zufolge auch sexuelle Belästigungen
- wie ungewollte Berührungen oder Anmachen. «Da sollten wir
eigentlich längst weiter sein», sagt Lukoschat. Sie spricht sich
dafür aus, dass die Parteien ihre Orts- und Kreisverbände schulen, um
eine politische Kultur zu schaffen, die auch Frauen anspricht. Gegen
Sexismus und Rassismus müsse immer konsequent vorgegangen werden,
sagt auch von Bargen. «Es muss klar sein: Das gehört nicht zu unserem
Miteinander, nicht zu unserer Demokratie.» Gerade Männer engagierten
sich noch zu wenig.

Grünen-Politikerin Roth sagt, dass Frauen sich über die Parteigrenzen
hinweg solidarisch zeigten, gebe ihr große Hoffnung. «Es ist ein
Anfang. Aber wir sind noch lange nicht am Ziel.»

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