Absichtliche Corona-Infektionen: Ein guter Weg zum Impfstoff? Von Larissa Schwedes, dpa

Die Welt kämpft mit den Folgen der Corona-Pandemie. Die Sehnsucht
nach einem wirksamen Impfstoff gegen das Virus ist groß. Das führt
dazu, dass einige auch auf umstrittene Methoden setzen.

London (dpa) - Während in aller Welt Mediziner um das Leben schwer
erkrankter Corona-Patienten ringen, infiziert ein kleines Ärzte-Team
in einer Londoner Klinik Menschen gezielt mit dem Virus. Was erstmal
etwas gruselig klingt, könnte in wenigen Monaten Realität sein.
Dahinter steht ein ehrgeiziges Ziel: Mit sogenannten Human Challenge
Trials soll schneller ein wirksamer Corona-Impfstoff gefunden werden.
Doch die Vorgehensweise ist ziemlich umstritten.

Bei Human Challenge Trials, die bei der Entwicklung von Grippe- oder
Malaria-Impfstoffen bereits zum Einsatz kamen, wird möglichst fitten,
gesunden Freiwilligen zunächst ein potenzieller Impfstoff
verabreicht. Dann werden die Probanden absichtlich dem jeweiligen
Erreger ausgesetzt. Die Forscher wollen sehen, wieviele Probanden
sich trotz Impfung anstecken. Der Vorteil an diesem Prozedere: Die
Wirksamkeit kann vergleichsweise effizient getestet werden. Das
übliche Verfahren sieht vor, Zehntausende zu impfen und dann zu
schauen, ob sich weniger Menschen auf natürliche Weise infizieren als
in einer ungeimpften Kontrollgruppe.

In London sollen nun weltweit erstmalig ab Januar solche Tests mit
Bezug auf Corona stattfinden, wie die «Financial Times» unter
Berufung auf Projektbeteiligte berichtet. Man arbeite mit mehreren
Partnern zusammen, um mithilfe von «Human Challenge»-Tests die
Entwicklung von Impfstoffen zu beschleunigen, bestätigte ein
Regierungssprecher der Deutschen Presse-Agentur in London.

Diese Partner sind zum einen das Londoner Imperial College sowie das
Pharma-Forschungsinstitut hVivo, das bereits ähnliche Studien bei
anderen Mitteln durchgeführt hat. In der kommenden Woche soll das
Projekt offiziell vorgestellt werden.

Die ganze Welt sehnt sich nach einem Impfstoff, der die Pandemie
unter Kontrolle bringt. Da klingt alles, was ein solches Mittel
schneller verfügbar machen könnte, erst einmal vielversprechend. Doch
so einfach ist es bei den Human Challenge Trials nicht: «Je
gefährlicher eine Krankheit ist, desto mehr spricht dagegen, solche
Tests durchzuführen», sagt Joerg Hasford, der in Deutschland den
Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen leitet.

Covid-19 sei erwiesenermaßen tödlich, teilweise auch für junge
Menschen, und es gebe bislang kein zuverlässiges Gegenmittel. «Ich
finde, das ist auch eine Zumutung für die Ärzte. Stellen Sie sich
vor, Sie sind Arzt und infizieren jemanden, und der stirbt.» Der
Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) nennt solche Studien
im Zusammenhang mit Sars-CoV-2 sogar «inakzeptabel».

Neben ethischen Bedenken steht auch die wissenschaftliche
Aussagekraft der Trials in Zweifel. Impfstoffe könnten keinesfalls
auf diese Weise an Senioren und chronisch Kranken getestet werden,
betont der vfa - obwohl gerade diese Gruppen besonders durch das
Coronavirus gefährdet seien. «Es ist eben nicht so, dass man
Ergebnisse von jungen Frauen so leicht auf alte Männer übertragen
kann. Das körpereignes Abwehrsystem wird mit dem Alter in der Regel
nicht besser», meint auch Hasford.

In Deutschland sind «Human Challenge»-Studien nach Einschätzung des
Experten mit Corona-Impfstoffen quasi undenkbar. Gerichte könnten das
Vorgehen bei Klagen als «sittenwidrig» einschätzen, da die
Fürsorgepflicht eines Arztes nicht durch die Einwilligung eines
Patienten aufgehoben werde. «Das gibt das deutsche Grundgesetz nicht
her», so Hasford. Nach vfa-Angaben hat bislang auch kein
Pharmaunternehmen entsprechende Verfahren in Deutschland beantragt.

Der Wettlauf um einen Impfstoff läuft weltweit auf Hochtouren. Einige
wenige Mittel sind bereits in der entscheidenden Testphase III mit
Zehntausenden Probanden. Dabei wird überprüft, ob der Impfstoff nicht
nur verträglich ist, sondern auch tatsächlich vor einer
Corona-Infektion schützt. Noch ist das für kein Mittel nachgewiesen.


Bis das Projekt in London anlaufen kann, gibt es noch Hürden. So
steht dem «Financial Times»-Bericht zufolge etwa noch nicht final
fest, ob dafür eine Quarantäneklinik von hVivo im Osten Londons
genutzt werden kann - oder ein neues Gebäude gebaut werden muss. Die
US-amerikanische Lobby-Organisation 1DaySooner, die sich für
Covid-19-«Human Challenge»-Studien stark macht, setzt sich für die
öffentliche Förderung eines Neubaus in London ein.

Bei 1DaySooner haben sich auch bereits rund 2000 Freiwillige
gefunden, die im Fall der Fälle in Großbritannien an einer solchen
Studie teilnehmen wollen. Medizinethiker Hasford bleibt
skeptisch: «Ich könnte mir vorstellen, dass es großen international
en
Protest geben wird.»

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