Coronakrise in Frankreich und Spanien - Was macht Deutschland besser? Von Julia Naue, Emilio Rappold und Gisela Gross, dpa

Seit Wochen steigen in Frankreich und Spanien die Infektionszahlen
an. Obwohl die Corona-Regeln dort teils sogar viel strenger sind als
in Deutschland, ist die Lage deutlich angespannter. Woran liegt das?

Paris/Madrid/Berlin (dpa) - Es hätte so schön sein können: Nach dem
Ende der Ausgangsbeschränkungen begann die Reisezeit. Auf nach
Mallorca oder an die Côte d'Azur. Doch dann sprach die
Bundesregierung eine Reisewarnung nach der anderen für Regionen in
Spanien und Frankreich aus - in Spanien gilt sie mittlerweile für das
ganze Land. Die Corona-Neuinfektionen schnellten in beiden Ländern in
die Höhe. Auch in Deutschland steigt zwar die Zahl der neuen Fälle,
dennoch scheint es deutlich besser zu laufen als in Frankreich und
Spanien. Wie kann das sein?

Christian Drosten schaut aufmerksam auf die Entwicklung in
anderen EU-Ländern. In Deutschland müsse man sich klarmachen, «da
ss
wir, wenn wir die Kurven übereinanderlegen, etwas hinterherhinken
hinter Spanien und Frankreich und England», sagte Drosten, Leiter der
Virologie an der Charité, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Er
betonte, «dass wir uns aber auch nicht vormachen sollten, dass sich
das bei uns alles ganz anders entwickelt. Wir machen auch jetzt nicht
sehr viele Sachen sehr anders».

«Es gibt ein paar Details, die vielleicht bei uns anders sind als in
Südeuropa. Unsere Haushalte sind häufig kleiner, wir haben mehr
Einpersonenhaushalte», sagt Drosten. Es gebe weniger
Mehr-Generationen-Familien, in denen das Virus über die Altersgrenzen
sehr leicht verbreitet werde. «Das sind sicher Unterschiede. Aber
ansonsten ist Deutschland nicht viel anders als diese europäischen
Nachbarländer. Darum müssen wir da sehr vorsichtig sein und sehr
genau beobachten, wie es jetzt weitergeht.»

Seit Wochen rätseln und diskutieren die Spanier: Warum sind das Land
und vor allem seine Hauptstadt Madrid nach dem erfolgreichen Kampf
gegen Corona inzwischen wieder zu Epizentren der Pandemie in Europa
geworden? Einschließlich nachgemeldeter Fälle gibt es seit Wochen
jeden Tag landesweit 10 000 und auch mehr Neuinfektionen.

Dabei gelten Vorsichtsmaßnahmen, die so drastisch sind wie kaum sonst
wo in Europa. Etwa die strenge Maskenpflicht auch im Freien, die
praktisch von allen eingehalten wird. «Verweigerer» sieht man kaum.
Warum also? Die Behörden haben einige Antworten parat, die die
Malaise zum Teil erklären. Es werde viel mehr getestet, deshalb gebe
es auch mehr positive Ergebnisse, heißt es. Hinzu komme eine größere

Mobilität als zum Ende der Ausgangsbeschränkungen.

Mehr Tests, mehr Freiheiten - das gilt aber auch für andere Länder.
Anders ist dagegen: die Fiesta. Die kontaktfreudigen und partywütigen
Spanier seien vor allem bei Privattreffen sowie bei dem Besuch von
Bars, Restaurants und Nachtlokalen «nachlässiger» geworden, meinten
viele Expertinnen und Experten und auch Ministerpräsident Pedro
Sánchez übereinstimmend. «Unsere sozialen Bräuche und Gewohnheiten

spielen bei der Ausbreitung des Virus eine entscheidende Rolle»,
schrieb auch die Zeitung «La Vanguardia».

Zu viel Fiesta, zu wenig Siesta, meint auch der angesehene spanische
Genforscher Salvador Macip von der Universität Leicester in England.
Vor allem im Sommer seien die Spanier mehr als andere Menschen
einfach darauf programmiert, zusammenzukommen und «viel zu
sozialisieren». Aber auch die Behörden in Spanien haben Fehler
gemacht. So litt das System zur Nachverfolgung der Infektionsketten
lange unter Personalmangel. Neue Einschränkungen der
Bewegungsfreiheit wurden in Hotspots oft zu spät beschlossen.

In Frankreich schaut man etwas irritiert nach Deutschland, wo es
schon wieder so viel besser zu laufen scheint. Im westlichen
Nachbarland hat die Zahl der täglichen Corona-Neuinfektionen wie
in Spanien bereits die 10 000er-Marke geknackt. Zum Vergleich: In
Deutschland erreichte die Zahl Mitte September zwar ihren Höchststand
seit April, lag aber mit gut 2000 noch deutlich unter den Werten
anderer EU-Länder.

In Städten wie Marseille, Bordeaux oder Paris ist die Lage besonders
ernst. Allerdings testet auch Frankreich deutlich mehr als noch im
Frühjahr. Die Auslastung der Krankenhäuser wird zwar mit Sorge
betrachtet - ist aber insgesamt zumindest landesweit noch auf einem
recht niedrigen Niveau. Im Süden werden aber die Intensivbetten
knapp. Und: Die Gesundheitsbehörden warnten am Freitag, dass zum
ersten Mal seit dem Ende der Ausgangsbeschränkungen ein Anstieg der
Todesfälle zu beobachten sei. Die Situation verschlechtere sich
insgesamt deutlich.

Der Mediziner und frühere Gesundheitsdirektor William Dab kritisierte
im «Journal du Dimanche», dass Premier Jean Castex zuletzt keine
wirklich starken Maßnahmen angekündigt habe, sondern nur Anpassungen.
Castex wolle das Leben mit dem Virus und dem Wirtschafts- und
Schulleben aussöhnen. Die Strategie Frankreichs ist immer noch nicht
klar definiert - hatte man im Frühjahr noch eindeutig auf den
zentralisierten Staat gesetzt und dieselben strengen
Ausgangsbeschränkungen für alle verhängt, nimmt die Regierung jetzt
die Regionen in die Pflicht.

So verkündeten die Behörden in Bordeaux, Marseille und Nizza nach
Aufforderung der Regierung zuletzt strengere Maßnahmen - konkret sind
das etwa Einschränkungen beim Alkoholkonsum auf öffentlichen Plätzen.

Generell sind die Regeln auch in Frankreich teils strenger als in
Deutschland - so gilt in vielen Städten ähnlich wie in Spanien eine
Maskenpflicht im Freien. Außerdem ist die Maske bei der Arbeit
Pflicht. Doch es läuft auch einiges deutlich laxer.

Frankreich testet Reiserückkehrer weniger umfangreich als Deutschland
- eine Quarantäne- und Testpflicht gilt nur für einige ausgewählte
Länder. Auch bei der Nachverfolgung hapert es. Die
Corona-Tracking-App «StopCovid» ist - das muss man so deutlich sagen
- ein Flop. Sie wurde mehr als zwei Millionen Mal runtergeladen und
hat weniger als 200 Mal angeschlagen, was sogar von offizieller Seite
als «lächerlich» bezeichnet wird. In Restaurants und Bars gibt es
keine Formulare, um Kontaktfälle zu identifizieren.

Ähnlich wie in Spanien infizieren sich vor allem Jüngere mit dem
Virus. Auch hier geht man davon aus, dass zu viel gefeiert wird. In
den französischen Medien merkt man außerdem an, dass der
Mindestabstand in Frankreich bei einem Meter liegt - nicht wie in
Deutschland bei 1,50 Meter. Und zur Begrüßung gehören eigentlich die

Bise - also Küsschen - dazu. Auch wenn sich die Französinnen und
Franzosen bemühen: Das berühmte Küsschen wegzulassen, fällt schwer.