Sechs Monate Corona-Beschränkungen: Hessens neue Normalität Von den dpa-Korrespondenten

Im März stand das öffentliche Leben auch in Hessen weitestgehend
still. Ein halbes Jahr nach dem Corona-Lockdown sind zwar viele
Regeln gelockert. Aber es gibt immer noch Einschränkungen - und die
Lage ist in vielen Branchen prekär.

Wiesbaden/Frankfurt (dpa/lhe) - Zur Bekämpfung der Corona-Pandemie
hatten Bund und Länder ab Mitte März beispiellose Einschränkungen f
ür
Unternehmen und Bevölkerung verhängt. Gaststätten, Geschäfte und
Schulen wurden geschlossen, Konzerten, Festen und Sportevents
abgesagt. Hinzu kam die rigorose Begrenzung persönlicher Kontakte. Wo
steht Hessen ein halbes Jahr nach dem Lockdown? Eine Auswahl:

- Die GASTSTÄTTEN und HOTELS blicken auf ein großes Minus. «Die
Bilanz ist katastrophal. Das sind die größten Umsatzeinbrüche, die
wir seit dem Zweiten Weltkrieg im Gastgewerbe verzeichnet haben»,
sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und
Gaststättenverbands (Dehoga) Hessen, Julius Wagner. Seit Angang März
hätten die Betriebe im Vorjahresvergleich Einbußen von 60 Prozent
verkraften müssen. Obwohl viele Menschen Urlaub in Deutschland
gemacht haben, verzeichneten die Hotels den Angaben zufolge im Juli
ein Minus von 50 Prozent, so Wagner. Hessen sei ein starker Messe-
und Kongressstandort - und dieser Bereich sei total eingebrochen.

- Besonders prekär ist die Lage für CLUBS und DISKOTHEKEN, die
weiterhin geschlossen sind. «Dort gab es in den letzten sechs Monaten
null Euro Umsatz», sagte Dehoga-Chef Wagner. «Die Betreiber brauchen
dringend eine Perspektive, ihnen steht das Wasser über dem Hals.» Es
sei ärgerlich zu sehen, welche Bemühung dagegen um die Fans in
Fußballstadien gemacht werde. Zugleich gebe es illegale Partys, bei
denen Abstandsregeln nicht eingehalten würden. Es brauche dringend
eine Lösung für Clubs, so Wagner. «Wir erwarten mehr Bewegung in der

Politik, aber die Gespräche sind zäh.»

- Um die Regeln für SCHULEN wurde heftig gestritten, auch weil
berufstätige Eltern von den Schließungen besonders betroffen waren.
Mit Beginn des neuen Schuljahrs im August startete landesweit wieder
der reguläre Unterricht. Wegen akuter Corona-Fälle wurden mehrere
Klassen und ihre Lehrer aber direkt wieder in Quarantäne geschickt.
Zu Beginn dieser Woche war laut Kultusministerium eine Schule im Land
wegen Corona geschlossen. Hessenweit gilt, dass Schüler wie Lehrer
auf dem Schulgelände eine Alltagsmaske tragen müssen. Bei steigenden
Infektionszahlen kann dies auch im Unterricht gelten. Zudem müssen
die Klassenzimmer mindestens alle 45 Minuten gelüftet werden.

- Beim SPORT mussten sowohl die Amateure als auch die Profis eine
längere Pause einlegen, Training und Wettkampf in der Gruppe waren
erst einmal nicht möglich. Mit Ausnahme einiger Profiligen wie etwa
der Fußball-Bundesliga wurde in Hessen erst im Juni wieder
«Kontaktsport» mit bis zu zehn Personen zugelassen. Mittlerweile
können Vereine wieder einigermaßen normal - so eben möglich unter

Corona-Bedingungen - trainieren und Wettkämpfe bestreiten. Eintracht
Frankfurt soll bei Heimspielen bald wieder vor Zuschauern auflaufen
dürfen - auch wenn die Zahl auf einige Tausend beschränkt sein wird.

- Auch KULTUR und KIRCHE bekamen den Lockdown und seine Folgen
deutlich zu spüren. Die Bad Hersfelder Festspiele wurden in der 70.
Jubiläumssaison abgesagt. Viele Theater- und Opernhäuser blieben bis
zum Start der neuen Saison im September ganz geschlossen. Dennoch
unterstützten Besucher die Häuser, indem sie auf eine Rückerstattung

der Karten verzichteten - so kamen etwa in der Oper Frankfurt mehr
als 110 000 Euro zusammen. Auch in den Kirchen des Landes werden
wieder Messen gefeiert - ebenfalls unter Einhaltung der Hygiene- und
Abstandsregeln. Anders war es noch zu Ostern, als die Gottesdienste
per Livestream übertragen wurden.

- Hart getroffen hat es auch die REISEBRANCHE. Am Frankfurter
Flughafen sackten die Passagierzahlen im April, Mai und Juni um mehr
als 90 Prozent im jeweiligen Vorjahresvergleich ab. Auch im August
startete nur ein Bruchteil der üblichen Zahl von Deutschlands größtem

Airport: Gut 1,5 Millionen Passagiere, das waren 78,2 Prozent weniger
als ein Jahr zuvor. Für die Lufthansa wurde ein milliardenschweres
Rettungspaket geschnürt. Herbe Einschnitte bei Personal und Flotte
sind dennoch nicht zu vermeiden. Bislang hat der in der Krise aus dem
Dax geflogene Konzern angekündigt, weltweit 22 000 Stellen streichen
zu wollen. Doch der Abbau dürfte noch umfangreicher ausfallen.

- Auch in der im Umbruch befindlichen AUTOMOBILBRANCHE stehen
Tausende Jobs auf der Kippe, in Hessen vor allem bei den
Zulieferbetrieben. IG Metall und Betriebsräte fürchten etwa die
Schließung der Elektronik-Produktion des Zulieferers Continental in
Karben mit knapp 1100 Beschäftigten sowie einen Abbau des Großteils
der zuletzt 3300 Jobs im Conti-Werk im südhessischen Babenhausen.

- Um Entlassungen zu vermeiden, schickten viele BETRIEBE ihre
Mitarbeiter in Kurzarbeit. Dennoch stieg die Zahl der Arbeitslosen
seit März Monat für Monat. Im August wurden 208 467 Arbeitslose in
Hessen gezählt, die Quote stieg auf 6,0 Prozent. Das Land versucht,
die Folgen der Krise abzufedern. Laut dem hessischen
Wirtschaftsministerium sind von Anfang April bis Anfang August rund
6,6 Milliarden Euro staatliche Unterstützung an Unternehmen und
Freiberufler im Land geflossen. Dazu zählen steuerliche
Erleichterungen, Zuschüsse, Kredite und Bürgschaften.

- Die KOMMUNEN in Hessen erwarten die schlimmsten Auswirkungen nach
dem 1,2 Milliarden Euro umfassenden Hilfspaket des Landes für
Gewerbesteuerausfälle dieses Jahr erst in den kommenden Jahren. «2020
geht es wahrscheinlich noch einmal einigermaßen», sagte David Rauber
vom Hessischen Städte- und Gemeindebund. «Die Aussichten sind trübe,

weil die Erholung länger dauern wird.» Die bösen Jahre kämen von 20
21
bis 2023. Auch beim Einkommenssteueranteil werde es Einbrüche geben.
Steuererleichterungen als Teil der Konjunkturpakete wirkten sich zwar
offensichtlich positiv auf die Wirtschaftslage aus, doch sie rissen
auch «tiefe Krater in die öffentlichen Haushalte».

- Auf die starken Einschränkungen des öffentlichen Lebens folgten
nach und nach LOCKERUNGEN. Vieles ist wieder möglich, wenn auch unter
bestimmten Bedingungen, aber noch lange nicht alles. Weiterhin gilt
die Regel, dass sich maximal eine zehnköpfige Gruppe im
öffentlichen Raum treffen darf, unabhängig von der Zahl der
Haushalte, aus denen die Menschen stammen. Größere Versammlungen
unterliegen Hygiene- und Abstandsbestimmungen. Verboten sind -
ausgenommen vom privaten Bereich - weiterhin Feste jeglicher Art,
vom Straßenfest über Winzerfeste bis zur Kirmes. Großveranstaltunge
n
sind bis Jahresende untersagt. Auch Bordelle bleiben in Hessen zu.

- Auch der hessische LANDTAG musste in den Krisenmodus umschalten,
und zwar nicht nur in Sachen politischer Entscheidungen. Erst einmal
sei es darum gegangen, die Arbeitsfähigkeit zu gewährleisten, sagt
Landtagspräsident Boris Rhein (CDU). «Gerade Krisensituationen sind
nur mit einem aktiven und handlungsfähigen Parlament zu bewältigen.»

So mussten Plenar- und Ausschusssitzungen mit Abstands- und
Hygieneregeln stattfinden. Besuche des Landesparlaments sind nach wie
vor noch nicht möglich. Alternativ arbeite man an virtuellen
Konzepten und an Konzepten, die den Landtag und seine Angebote der
politischen Bildung vor Ort brächten - etwa an die Schulen.