Frau im Vollrausch überfahren - Angehörige hoffen auf Aufklärung

Eine 20-Jährige musste sterben, weil ein betrunkener Fahranfänger sie
überfuhr. Als Strafe musste er 5000 Euro zahlen - das sorgte für
Empörung. Nun wird das Urteil nochmal überprüft.

Würzburg (dpa) - In der Hoffnung auf eine umfangreiche Aufklärung hat
der Berufungsprozess um eine totgefahrene 20-Jährige durch einen
betrunkenen Fahranfänger begonnen. Man wolle dieses Mal das Urteil
verstehen, sagte der Vater der Verstorbenen am Mittwoch. In einem
schwarzen Kapuzenpullover mit einem Pfeil auf dem Rücken saß er als
Nebenkläger im Gerichtssaal des Landgerichts Würzburg. Das Symbol ist

angelehnt an eine Tätowierung seiner Tochter und bedeute: Immer nach
vorne schauen.

Die Familie hofft auf eine sorgfältige Aufklärung des Unfalls vom
April 2017, denn nach dem ersten Verfahren, im Oktober 2019, seien
viele Fragen offen geblieben. Was ist also in der Nacht passiert, als
die junge Frau zusammen mit ihrem Freund auf dem Seitenrand einer
Ortsstraße lief? Beide feierten mit Freunden in seinen Geburtstag,
bevor sie sich auf den Heimweg bei Untereisenheim (Landkreis
Würzburg) machten. Ihr Freund musste an seinem Geburtstag zusehen,
wie sie von einem Auto erfasst und 13 Meter weit geschleudert wurde.
Alleine in der Dunkelheit leistete er erste Hilfe, wartete laut
eigenen Angaben rund zwanzig Minuten auf den Notarzt. 

Der Fahrer des Wagens war ein damals 18-Jähriger. Er kam von einem
unterfränkischen Weinfest, fuhr mit erhöhter Geschwindigkeit und
hatte knapp drei Promille im Blut. Ihm wird von der
Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung vorgeworfen. Drei Mitfahrer
müssen sich ebenfalls vor Gericht wegen unterlassender Hilfeleistung
verantworten. Sie legten sich nach dem Unfall schlafen, hatten nach
dem Aufprall keine Hilfe geleistet. Theresa starb wenige Tage nach
der Unfallnacht im Krankenhaus.

Die vier Angeklagten wollten zum Auftakt am Mittwoch zunächst nicht
erneut aussagen und verwiesen auf ihre Angaben, die während der
Ermittlungen und bei der Verhandlung im vergangenen Oktober gemacht
wurden. Der Vorsitzende Richter Reinhold Emmert bat daraufhin
eindringlich, diese Strategie noch einmal zu überdenken - auch um den
Angehörigen die Trauerarbeit zu erleichtern. Er unterbrach die
Sitzung, um den Angeklagten und ihren Verteidigern Zeit zum
Nachdenken zu geben. Anschließend sagten die drei Mitfahrer aus,
hatten aber demnach wegen des starken Alkoholkonsums viele Filmrisse
von der Unfallnacht. Der Hauptangeklagte sagte nicht aus.

«Der Aufklärung, die man den Hinterbliebenen schuldet, wird aus
meiner Sicht von den Angeklagten nicht nachgekommen», sagte Anwalt
Philipp Schulz-Merkel, der Angehörige des Opfers in der Nebenklage
vertritt. Er bemängelte, dass die Fragen der Kammer von den jungen
Männern nur sehr knapp beantwortet wurden. Für den Vater der
Verstorbenen sei es dennoch «fast wie eine Erleichterung» gewesen,
dass die Angeklagten sich doch den Fragen der Kammer stellten.

Die jungen Männer wurden bereits im Oktober 2019 vor dem Amtsgericht
Würzburg zu Geldstrafen verurteilt. Der 21-jährige Hauptangeklagte
bekam wegen fahrlässiger Volltrunkenheit nach Jugendstrafrecht
(Paragraf 323a des Strafgesetzbuches) eine Geldstrafe von 5000 Euro
und ein Jahr Fahrverbot auferlegt. Das milde Urteil hatte in der
Öffentlichkeit für Empörung gesorgt. Die Staatsanwaltschaft und die
Familie in der Nebenklage legten Berufung gegen das Urteil ein. 

Die Staatsanwaltschaft fordert in ihrer Begründung eine Verurteilung
des Hauptangeklagten wegen fahrlässiger Tötung nach
Erwachsenenstrafrecht. Vergangenen Oktober plädierte sie ebenfalls
dafür und forderte eine Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahren.
Damals stufte ein Gutachten den jungen Mann zum Tatzeitpunkt als
schuldunfähig ein - wegen seines Vollrausches. 

Im Mittelpunkt der weiteren Verhandlung stehen nun zwei Gutachten,
die die Schuldfähigkeit des Hauptangeklagten beurteilen sollen. Eines
vom selben Gutachter vom Oktober 2019. Ein anderes von Psychiater
Hans-Ludwig Kröber, ein bekanntes Gesicht aus Verfahren wie um die
verschwundene Peggy Knobloch, Gustl Mollath oder Jörg Kachelmann.
Sein Gutachten wird voraussichtlich zum Fortsetzungstermin am 24.
September vorgetragen. Ein Urteil könnte zur letzten vorgesehenen
Sitzung am 25. September fallen.

Kommt die Kammer zu dem Entschluss, der Unfall sei im Zustand der
Schuldfähigkeit erfolgt, kommt eine Verurteilung wegen fahrlässiger
Tötung in Betracht. Bei Schuldunfähigkeit sei eine Verurteilung wegen
vorsätzlichen Vollrausches denkbar, sagte Richter Emmert. Bei einem
vorsätzlichen Vollrausch wird juristisch davon ausgegangen, dass der
Betroffene sich bewusst war, dass sein Konsumverhalten zu einem
Vollrausch führt. Der Strafrahmen sei dabei der gleiche wie im Falle
der fahrlässigen Tötung - eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu
fünf Jahren.

Für die Angehörigen stehen bis zur Urteilsverkündung weiterhin
schmerzhafte Stunden im Gerichtssaal bevor. Seit dem Unfall kämpft
die Familie mit einer Kampagne gegen Alkohol am Steuer. «Für mich war
es das Schlimmste, was mir jemals passiert ist», sagte der Freund des
Opfers am Mittwoch vor Gericht. Seither leide er unter einer
Posttraumatischen Belastungsstörung. Den Pfeil trägt er mittlerweile
als Tattoo. Auch ihre Halbschwester und ihr Vater ließen sich den
Pfeil als Tattoo stechen.