BH-Boykott - Oben ohne ist nicht nur eine Frage der Bequemlichkeit Von Julia Naue, dpa

Wer im Homeoffice arbeitet, verzichtet in der Regel auf die
Business-Garderobe und macht es sich bequem. Manche Frauen lassen
dann auch gern den BH weg - finden das angenehmer. Doch oben ohne
außerhalb der eigenen vier Wände erregt heute immer noch die Gemüter.


Paris (dpa) - Ein BH gehört für die meisten Frauen so
selbstverständlich in den Kleiderschrank wie Socken. Keine Frage - so
scheint es für viele: Verlässt frau das Haus, geht zur Arbeit, trägt

sie einen Büstenhalter. Doch dass das ganz und gar nicht
selbstverständlich so sein muss, wurde schon vor Jahrzehnten
diskutiert. Damals wurde das Kleidungsstück von Feministinnen infrage
gestellt - als Symbol der Unterdrückung und Fremdbestimmung. Und auch
heute setzen einige Frauen wieder auf Verzicht - doch diese
Entscheidung wird auch heute noch nicht als selbstverständlich
akzeptiert.

Eine Umfrage aus Frankreich hat jüngst gezeigt, dass vor allem
jüngere Frauen vermehrt auf den BH verzichten. Die Umfrage legt
zumindest nahe, dass seit den Corona-Ausgangsbeschränkungen, die für
viele Homeoffice statt Büro bedeuteten, etwas mehr Frauen ohne BH
unterwegs sind als vorher. Freundinnen berichten Ähnliches.

«Offenbar ist es einigen Frauen zum Beispiel im Homeoffice ein
Bedürfnis, keinen BH zu tragen - es ist angenehmer, bequemer», sagt
Sexualwissenschaftler Heinz-Jürgen Voß von der Hochschule Merseburg.
«Da kann man sich die Frage stellen: Warum wird dann in der
Öffentlichkeit, auf Arbeit ein BH getragen?»

Im Netz wimmelt es von Frauen, die von ihrem
Oben-ohne-Selbstversuchen erzählen - und das nicht erst seit Corona.
Eine von ihnen war 2017 Hillary Brenhouse. «Es war keine politische
Entscheidung - außer insofern, als dass alles, was eine Frau mit
ihrem Körper macht, wenn sie sich nicht von jemand anderem diktieren
lässt, was sie damit tun soll, eine politische Entscheidung ist»,
schrieb sie im US-Magazin «The New Yorker».

Ähnlich sieht es Voß: «Die ganze Debatte entsteht ja im Kontext einer

sexistischen Gesellschaft. Das Oben-Ohne bei Frauen wird diskutiert -
das Oben-Ohne bei Männern hingegen nicht.»

In der Umfrage aus Frankreich war fast die Hälfte der befragten
Männer und Frauen der Ansicht, dass eine Frau ohne BH Gefahr läuft,
belästigt oder angegriffen zu werden. Und jeder Fünfte ist sogar
überzeugt, dass die Tatsache, dass eine Frau ihre Brustwarzen unter
einem Oberteil zeigt, in Fällen sexueller Übergriffe als mildernder
Umstand für den Angreifer gelten sollte. Das ist klassisches «Victim
Blaming» - also Täter-Opfer-Umkehr.

Dass frau ganz und gar nicht frei ist in ihrer Entscheidung für oder
gegen einen BH, musste Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete erfahren.
Als sie im vergangenen Jahr zu einer Anhörung vor Gericht ohne BH
erschien, ereiferte sich die italienische konservative Zeitung
«Libero» und forderte mehr Anstand. Italienerinnen solidarisierten
sich mit Rackete und riefen zum #freenipplesday in sozialen
Netzwerken auf.

Die Kampagne Free the Nipple (deutsch etwa: Befrei die Brustwarze)
gibt es bereits seit einigen Jahren. Sie prangert an, dass Frauen
ihre Brustwarzen anders als Männer nicht in der Öffentlichkeit zeigen
dürfen. Unterstützung gab es von Prominenten wie den US-Künstlerinnen

Lena Dunham und Miley Cyrus.

Für die Feministin und Publizistin Gitti Hentschel ist das Thema
Büstenhalter nicht neu. «In den Hochzeiten der zweiten Frauenbewegung
in den 70er Jahren ging es bei der Frage, ob der BH ein
Unterdrückungsinstrument ist oder nicht, hoch her», erzählt die
Mitbegründerin der «Tageszeitung» (taz). Sie habe damals zunächst
einen BH getragen - später nicht mehr, auch weil sie es bequemer
fand. «Und es hatte einfach auch was Befreiendes. Wenn mich jemand
dann nur als Sexobjekt betrachtet, ist es nicht mein Problem», so
Hentschel.

Auch für Hentschel geht die BH-Frage weit über das Kleidungsstück an

sich hinaus. «Keinen BH zu tragen, ist Ausdruck von befreiter
Sexualität. Der Affront: Frauen definieren selbst, wie sie aussehen
wollen», sagt sie. «Ich finde es furchtbar, dass wir ähnliche
Debatten, die wir in den 70er Jahren hatten, immer noch führen. Egal
wie eine Frau rumläuft - niemand hat ein Recht, sie zu attackieren.»
Die MeToo-Debatte über Sexismus und sexualisierte Gewalt habe noch
einmal das Bewusstsein gestärkt, dass Frauen ständig mit Übergriffen

lebten, so Hentschel. Wirklich besser werde es aber leider nicht.

Die Frage des Verzichts auf den BH hat noch eine andere Dimension -
eine medizinische. Ist es gesünder, den BH wegzulassen - oder schadet
es gar?

«Das Brustgewebe zu stützen, hat in erster Linie eine kosmetische
Funktion, keine gesundheitliche», erklärt Christian Albring,
Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. Es werde durch den BH
nicht geschwächt, und das Weglassen des BHs stärke das Gewebe auch
nicht. Mit einer großen Brust lange Zeit ohne BH zu verbringen,
verursache bei vielen Frauen aber Rückenschmerzen. Er hat einen
simplen Ratschlag: «Welche Variante für die Frau angenehmer ist, das
muss sie selbst ausprobieren, wenn sie das möchte.»

Online-Wechsel: In drei Minuten in die TK

Online wechseln: Sie möchten auf dem schnellsten Weg und in einem Schritt der Techniker Krankenkasse beitreten? Dann nutzen Sie den Online-Beitrittsantrag der TK. Arbeitnehmer, Studenten und Selbstständige, erhalten direkt online eine vorläufige Versicherungsbescheinigung. Die TK kündigt Ihre alte Krankenkasse.

Jetzt der TK beitreten





Zur Startseite